General Khalifa Haftar, 75 Jahre alt und von fragiler Gesundheit: Mitten in die Vorbereitung einer "Nationalen Konferenz" fällt seine Offensive auf die libysche Hauptstadt Tripolis.

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Wenn überhaupt, dann sei eine Dominanz General Khalifa Haftars in Westlibyen wohl nur in einem neuen gewalttätigen Konflikt zu erreichen, "der an Intensität und Dauer wohl alles übertreffen würde, was Libyen seit 2011 erlebt hat", schrieb der Libyen-Experte Wolfram Lacher (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) in einer Studie von Februar. In den vergangenen Tagen schien dieser neue Libyen-Kriegsausbruch unmittelbar bevorzustehen.

Der Uno-Sicherheitsrat in New York berief deshalb für Freitag eine Sondersitzung ein. Uno-Generalsekretär António Guterres, der diese Woche Libyen besuchte, um eine "Nationale Konferenz", die am 14. April beginnen sollte, vorzubereiten, flog am Freitag in den Osten, um Haftar zu treffen, kehrte aber unverrichteter Dinge wieder zurück. International wurde zur Zurückhaltung aufgerufen, auch von Unterstützern General Haftars wie den Vereinigten Arabischen Emiraten (UAE) – allerdings ohne eine Konfliktpartei beim Namen zu nennen.

Händeschütteln mit dem General.
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Die Truppen Haftars, der den Osten und seit wenigen Monaten auch den Süden Libyens kontrolliert, standen am Freitag vor Tripolis. Am Abend gaben die ostlibyschen Milizen an, den ehemaligen Flughafen von Tripolis südlich der Hauptstadt eingenommen zu haben, den sie aber später offenbar wieder räumen mussten. Zudem seien mehrere Orte in der Nähe der Hauptstadt erobert worden. Am Samstag versuchte ein einzelnes Flugzeug, in der Region Al-Aziziya etwa 50 Kilometer südlich der Hauptstadt der Vormarsch den Haftar-Truppen zu stoppen.

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Am Freitagabend trat Guterres in Bengazi die Heimreise an.
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Haftars sogenannte Libysche Nationale Armee (LNA) sprach von "heftigen Kämpfen" mit Milizen bei Tripolis. Am Freitag hatte er einen zuvor schon gewonnenen Checkpoint in Zawiya wieder verloren. Einen Bilder zeigten gefangen genommene Soldaten beziehungsweise Milizionäre Haftars – denn trotz des Namens "Nationale Libysche Armee" (LNA) handelt es sich bei seinen Truppen ja nicht um die offizielle Armee Libyens.

Vielzahl von Milizen

Was nicht etwa heißen soll, dass Haftar vor Tripolis die "echte" libysche Armee gegenübersteht. Eine Vielzahl von Milizen, am mächtigsten jene von Misrata, unterstützt offiziell zwar die im Dezember 2015 mit Uno-Vermittlung zustande gekommene Regierung von Fayez al-Serraj, die, machtlos wie sie ist, noch immer als die international legitime gilt. Aber diese Gruppen liegen untereinander oft selbst im Konflikt, es sind kriminelle Netzwerke dabei, denen es lediglich um die Verteilung von Einkünften geht. Im August 2018 kam es deswegen zu den schwersten Kämpfen in Tripolis seit Jahren.

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Pick-up mit Vierlingsgeschütz in Wadi al Rabih südlich von Tripolis.
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Die Frage war nun, ob diese Milizen angesichts der Bedrohung durch Haftar zusammenrücken oder ob sich einzelne dem starken Mann aus dem Osten nicht doch anschließen würden. Das hält der österreichische Sicherheitsanalyst und Libyen-Experte Wolfgang Pusztai (National Council on US-Libya Relations) auch nach dem Rückschlag für Haftar in Zawiya noch für möglich.

Divide et impera

Haftar könne es noch immer gelingen, die Einheit der Tripolis Protection Force (TPF) – so der Sammelname – zu brechen und einen guten Teil der Bevölkerung für sich zu gewinnen: "Dann kann er relativ kampflos in die Stadt hinein", sagt Pusztai zum STANDARD. "Bis dato hat es keine wirklich schweren Kämpfe gegeben. Wenn ihm das nicht gelingt, könnte sich die Front in der derzeitigen Linie länger festfressen."

Die Misrata-Miliz sei "eine Art Wildcard", sagt Pusztai: "Sie sichert die Tiefe des Raums in Tripolis, um die TPF für Einsätze am Stadtrand freizuspielen und Reserven für Gegenangriffe bereitzuhalten. Falls Haftar jedoch den Druck auf Sirte und Misrata selbst erhöht, werden diese Kräfte gezwungen sein, aus Tripolis abzuziehen."

Die Rhetorik Haftars in den vergangenen Tagen klang entschlossen, am Donnerstag wandte er sich an "unsere Armee, die bereit ist, in Tripolis einzumarschieren: Heute werden wir mit Gottes Hilfe unseren triumphalen Weg abschließen. Wir folgen den Ruf des geliebten Volkes in unserer geliebten Hauptstadt." Im Süden, Südwesten und Westen von Tripolis hatte er bis Donnerstag einige wichtige Ortschaften unter seine Kontrolle gebracht.

Internationale Bemühungen abgebrochen

Was Haftar veranlasst hat, die laufenden internationalen diplomatischen Bemühungen abzubrechen, doch noch eine Einigung zwischen ihm und Serraj herbeizuführen, ist nicht ganz klar. Noch Ende Februar hatte er mit Serraj in Abu Dhabi verhandelt. Ursprünglich waren bereits Wahlen für Dezember 2018 geplant gewesen, denen aber letztlich nicht zugetraut wurde, Legitimität herzustellen: Die Wahlen von 2014 hatten zur Spaltung zwischen West und Ost und direkt in den Krieg geführt.

Haftar ließ eine Nachricht an die Bevölkerung senden.

Khalifa Haftar, ein früher Vertrauter des 2011 gestürzten Machthabers Muammar Gaddafi und später ein bitterer Opponent im US-Exil, ist 75 Jahre alt und krank. Offenbar ist er der Meinung, seine Forderung nach einer entsprechenden nationalen Rolle mit militärischer Stärke untermauern zu müssen. So will er den Status quo brechen.

Manche Beobachter halten jedoch seine NLA für viel zu überdehnt, um eine schnelle und erfolgreiche Offensive gegen den Westen führen zu können. Aber auch seine Einnahme des Südens zu Jahresbeginn, wo Haftar auch das größte Ölfeld Libyens, al-Sharara, kontrolliert, erfolgte hauptsächlich auf dem Weg der Kooptierung lokaler Kräfte und weitgehend kampflos.

Obwohl es immer wieder internationale Bekenntnisse zugunsten der UN-Lösung mit Serraj gibt, ist die Unterstützung für dessen Gegenspieler zuletzt stetig gestiegen. So schwenkte etwa Frankreich, anders als Italien, zu Haftar um. Hinter ihm stehen auch Ägypten und die VAE, die in Haftar einen Kämpfer gegen den (von Katar und der Türkei unterstützten) Islamismus sehen. Ende März war er in Saudi-Arabien. Haftar hat auch gute Beziehungen zu Russland, das sich aber am Freitag von seiner Offensive distanzierte. (Gudrun Harrer, 5.4.2019)