Bild nicht mehr verfügbar.

Was leicht aussieht, ist Ergebnis einer harten Ausbildung. Oft ist im Ballett bei körperlichen Strapazen aber noch nicht Schluss.

Foto: AP Photo/Alexander Zemlianichenko

Wien – Das Wiener Wochenmagazin "Falter" erhebt in seiner neuen Ausgabe (Mittwoch) schwere Vorwürfe gegen die Ballettakademie der Staatsoper. Kinder seien dort "Opfer autoritärer, gewalttätiger und gefährlicher Unterrichtsmethoden geworden", wird eine Lehrerin zitiert. Das Spektrum der Vorhaltungen reicht von Demütigungen, Gewalt und Drill bis hin zu einem sexuellen Übergriff.

Die notfallmedizinische Behandlung nach Unfällen sei mangelhaft, psychologische und ernährungswissenschaftliche Beratung für die Kinder entgegen internationalen Standards praktisch nicht vorhanden. Schülerinnen seien hingegen geradezu in die Bulimie oder Anorexie getrieben worden. Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft ist bereits seit Monaten tätig. "Im Grunde hätten wir diesen Laden sofort zusperren müssen", wird ein anonymer Beamter der Kinder- und Jugendanwaltschaft zitiert.

Staatsoperndirektor fordert "totale Aufklärung"

Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat sich am Dienstag im "ZiB 2"-Interview selbstkritisch angesichts der im aktuellen "Falter" veröffentlichten Missstände in der Ballettakademie seines Hauses gezeigt: "Ich will nicht meine Verantwortung abstreiten – so ein Mensch bin ich nicht." Er setze nun auf völlige Offenheit: "Ich will eine totale Aufklärung von allem, was in dieser Schule nicht stimmt."

ORF

Schon vor zwei Jahren sei die im Zentrum der Vorwürfe stehende Ballettlehrerin mündlich wegen ihres Verhaltens verwarnt worden. "Es ist ein paar Monate besser gelaufen – dann ist sie in die gleichen Gewohnheiten zurückgefallen." Daraufhin sei die schriftliche Verwarnung erfolgt. Nach abermaligem Fehlverhalten habe man dann die Kündigung ausgesprochen. "Ich mache mir selber Vorwürfe, dass ich das vielleicht schneller hätte machen müssen", so Meyer. Die Lehrerin hätte immer sehr gute Ergebnisse erzielt, aber: "Ich bedauere, dass wir langsam agiert haben in dieser Geschichte."

Zugleich stellte sich Meyer nach jetzigem Kenntnisstand explizit hinter die jetzige geschäftsführende Direktorin der Akademie, Simona Noja. Sie habe auf die Vorwürfe reagiert und etwa Fälle von Fehlernährung von Kindern aktiv angegangen und die Eltern kontaktiert: "Ich will nicht alle Probleme auf dem Rücken von Frau Noja abhandeln – das wäre nicht fair." Meyer plädierte deshalb für Sachlichkeit in der Debatte: "In der Wortwahl dieser Materie wird vieles übertrieben." Wenn man sich in der Ballettakademie bewege, sehe man hauptsächlich glückliche Kinder: "Man muss aufpassen, wenn man alles schwarzmalt."

Blutig gekratzt und an Haaren gerissen

Ein Teil der Vorwürfe konzentriert sich auf eine im Jänner gekündigte Lehrerin, die Schülerinnen unter anderem getreten, blutig gekratzt und an den Haaren gerissen haben soll. Gegenüber der Wochenzeitung rechtfertigt sich die Betroffene: "Es tut mir leid, wenn die Mädchen gelitten haben." Sie habe immer versucht, das Beste aus ihren Schülerinnen herauszuholen.

ORF

"Ich bin sehr betroffen, wenn ich all das höre. Es ist klar, dass sich hier eine Lehrerin sehr schlecht benommen hat", stellt Staatsoperndirektor Dominique Meyer gegenüber dem "Falter" klar: "Das wollen wir nicht, und das dulden wir nicht."

Des Weiteren wirft ein ehemaliger Schüler einem einstigen Lehrer sexuelle Belästigung vor. Nach Vorlage des entsprechenden Protokolls wurde dieser Lehrer unmittelbar dienstfrei gestellt, es wurden Untersuchungen eingeleitet. Die Staatsoper hat am Dienstag eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermittelt.

"Sklavenmentalität"

Der "Falter" nennt bezüglich seiner Recherchen mehrere Quellen, darunter Jolantha Seyfried, unter Ioan Holender Leiterin der Ballettakademie. Sie beklagt eine "Sklavenmentalität": "Die Kinder sind hier nur eine Ware, um die Oper zu bespielen." Auch die einstige Ballerina Gabriele Haslinger konstatiert: "Die Eltern glauben, die Kinder in der Akademie in besten Händen zu wissen, aber das stimmt nicht." Die ausgeschiedene Tanzlehrerin Sharon Booth beklagt "Erziehungsmethoden aus dem 19. Jahrhundert". Neben Interviews beruft sich der "Falter" auch auf Chats und E-Mails von Betroffenen, die man eingesehen habe.

Die Liste der Mängel werde "Stück für Stück abgearbeitet", heißt es aus der Staatsoper. Man kooperiere seit Monaten mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft. "Wir wollen in allen Bereichen eine lückenlose Aufklärung", so ein Staatsopernsprecher. Unter anderem sollen eine Ombudsstelle eingerichtet und die Pädagogen entsprechend geschult werden. Auch soll verpflichtend das Fach Body Awareness eingeführt werden.

"Inakzeptabel", sagt die Staatsoper

"Die Schülerinnen und Schüler, die von physischen oder psychischen Übergriffen betroffen waren, haben jedenfalls unser volles Mitgefühl. Jegliche Form von Übergriffen, ob physischer oder psychischer Natur, Grobheiten, Respektlosigkeit und Missbrauch einer Machtposition sind inakzeptabel", so die Staatsoper in einem Statement. Die jetzige geschäftsführende Direktorin der Akademie, Simona Noja, verteidigt Operndirektor Meyer: "Der Vorwurf, sie hätte sich nicht um die Beschwerden gekümmert, ist nicht haltbar." Stattdessen habe sie sich persönlich für Mädchen eingesetzt und verschiedene Initiativen ergriffen.

In einem Statement spricht auch die Bundestheater-Holding von "nicht tolerierbaren Übergriffen". "Jeglicher Missbrauch des im künstlerischen Bereichs besonderen Autoritätsverhältnisses zwischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrenden muss konsequent und bedingungslos aufgeklärt werden", so Geschäftsführer Christian Kircher: "Dominique Meyer hat mich sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle informiert und hat meine volle Unterstützung bei allen Maßnahmen, die die Staatsoper gesetzt hat, um diese Vorfälle einerseits lückenlos aufzuklären und andererseits in Zukunft auszuschließen." Das gelte auch für alle Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Kinder- und Jugendanwaltschaft. "Es darf in unseren Häusern keinen Spielraum geben für sexuelle Belästigung und den Missbrauch von Autoritätsverhältnissen. Für mich gilt hier: Null Toleranz", so Kircher.

Blümel ordnete Sonderkommission an

Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) hat die Bundestheaterholding mit der Einrichtung einer Sonderkommission beauftragt. "Ein Verhalten wie das in den Vorwürfen angeprangerte ist vollkommen inakzeptabel", sagte Blümel in einem Statement.

Sobald er von den Vorwürfen erfahren habe, habe er Holding-Geschäftsführer Kircher mit der Einrichtung des Gremiums beauftragt, welches die Vorwürfe restlos klären soll, so Blümel: "Holding-Chef Christian Kircher wird einen umfassenden Bericht inklusive aller getroffenen Maßnahmen, um so etwas auch in Zukunft zu verhindern, vorlegen." (APA, 9.4.2019)