Masturbation ist schädlich, Sex vor der Ehe tabu – die Sexualpädagogik ist nach dem Bekanntwerden der Botschaften des christlichen Sexualkundevereins Teenstar zum Diskussionsthema geworden. Die unprofessionelle Arbeit hat Konsequenzen – auch für Institutionen, die gute Arbeit leisten. Die Krux des Erlasses, mit dem das Bildungsministerium reagierte: Wollen Lehrer künftig mit außerschulischen Vereinen zusammenarbeiten, müssen sie beim Unterricht anwesend sein. Genau das sehen Pädagogen aber kritisch.
Schwierig mit der Lehrerin zu besprechen
"Es gibt Themen, die Schüler nicht mit der Lehrerin besprechen wollen, die sie jahrelang unterrichtet und beurteilt. Daher ist ein externes Angebot sehr wichtig", so Marion Thuswald vom Institut für das künstlerische Lehramt an der Akademie der bildenden Künste Wien, die ein zweijähriges Forschungsprojekt zu Sexualität, visueller Kultur und Pädagogik betreut. Natürlich müsse die Qualität garantiert sein, aber externe Angebote könnten schulinterne grundsätzlich gut ergänzen.
Denn Schulen sind keine asexuellen Orte. Das Thema nur im Biologieunterricht zu behandeln ist nicht zeitgemäß. "Sexualität und Lust dürfen nicht tabuisiert werden. Hat alles den Schleier des Verbotenen, können junge Menschen schwer unterscheiden, was selbstbestimmt ist und was ein Übergriff", erklärt Thuswald die Notwendigkeit sexueller Bildung. Ein lustvoller diskriminierungsfreier Zugang sei auch eine effektive Prävention von Gewalt und Rassismus.
Gemeinsame Forschung
Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte geht es in dem vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft geförderten Projekt Imagining Desires darum, die wissenschaftliche, pädagogische und peerkulturelle Diskussion über Sexualität und Bilder zu erforschen. Schüler, Jugendliche, Wissenschafter und Lehramtsstudierende ergründen gemeinsam in verschiedenen Projekten Sexualität und erproben u. a. didaktische Methoden, wie etwa Bildanalyse, als Basis für weitere Unterrichtsmittel.
Angemessene Sprache finden
Zunächst geht es aber oft darum, eine jugendgerechte Sprache für sexuellen Themen zu finden: "Brust" klingt medizinisch, der Ausdruck "Möpse" wäre vulgär. Wie wäre es mit "Busen"? Um das anzusprechen, braucht es aber Überwindung und einen geschützten Rahmen. "Anfangs ist für manche Jugendliche alles pervers, wenn sie über Sexualität sprechen", weiß die Bildungswissenschafterin Thuswald.
Begriffe hinterfragen
Eine der pädagogischen Aufgaben ist es zu differenzieren: Was ist sexy? Was ist sexistisch? Was ist sexuell? Ein Video kann zwar sexy sein, aber nicht sexistisch, weil es selbstbestimmt ist. Eine Produktwerbung, die nichts mit dem Körper einer Frau zu tun hat, aber damit wirbt, ist sexistisch. Die Unterschiede sind nicht immer klar.
Damit die Schüler Persönliches nicht vor der Peergroup ansprechen müssen, arbeitet man im Rahmen von Imagining Desires mit visuellem Material, das sie selbst sammeln. Darauf sind Kondome, Miniröcke und BHs zu sehen, genauso wie rote Münder oder eine gefesselte Frau. "Spannend war, dass sich der Eindruck eines Bildes oft geändert hat, je mehr es analysiert wurde", erzählt eine beteiligte Schülerin.
Körpernormen diskutieren
Thema war auch ein Selfie der Künstlerin Arvida Byström auf Instagram. Die Aktivistin inszeniert sich lustbetont mit rot geschminkten Lippen und Fingernägeln und lässt eine Kirsche über ihrem nackten, unretuschierten Oberschenkel mit Cellulite baumeln. "Wir haben diskutiert, ob das Lust darstellt oder nicht. Im Endeffekt fanden wir das Bild sehr schön, weil es die Künstlerin zeigt, wie sie wirklich ist", so ein Schüler.
Körpernormen sorgen bei den Projekten immer für viel Diskussionsstoff. Inge Wellnhofer, Lehrerin an der NMS Sir-Karl-Popper-Schule im 15. Bezirk, erzählt von ihrer Klasse: "Für Jugendliche ist es ohnehin schwierig, mit Erwachsenen über Sexualität zu sprechen. Umso wichtiger sind dabei außerschulische Personen. Ich selbst war bei dem Projekt nicht in der Klasse anwesend – ein absolutes Muss für eine ungehemmte, freie Auseinandersetzung."(Marietta Adenberger, 14.4.2019)