Es bedarf nicht eines einzigen Wortes, um klarzumachen, wer ab jetzt fährt. Mit einem spitzbübischen Lächeln schafft es Veit Heinichen nicht einmal, ganz ums Auto zu gehen, bevor er die Fahrertür öffnet. Die Begrüßung war kurz, aber herzlich. "Ich habe gedacht, du kommst mit einer blauen Alpine", sagt er, als er den Startknopf drückt. Der französische Sportwagen springt röchelnd an. Veit grinst.

Die Alpine. Noch ohne den Veit.
Foto: Guido Gluschitsch

Es ist kurz nach Mittag, und er muss schon recht hungrig sein. Ein Glück, so gesehen, dass die Alpine ein so schlankes Auto ist, dass der Veit den Weg rauf zum Wirt so gut kennt wie die Protagonisten seiner Bücher – und der Veit auch g'scheit was von Autos versteht. Er war ja nicht immer Autor. Er kommt ja quasi vom Auto.

Die Benzinkarriere

Nach dem Abitur arbeitete er bei Daimler, in der Zentrale in Untertürkheim. Die zahlten ihm auch sein Studium der Betriebswirtschaft. Drei Jahre war er dort. Aber nicht bei den Sportwagen. Bei den Schwer-Lkws. Seine Benzinkarriere begann aber noch früher. Davon erzählt er aber erst später. Wir sind beim Lokal angelangt, nehmen Platz und legen die Speisekarte gleich wieder zur Seite. Ami Scabar, die Restaurantbesitzerin, ist Veits Lebensgefährtin, stellt uns schnell ein exquisites Menü zusammen, das sich ausschließlich um ein Thema dreht: Meeresinnereien.

Noch schnell ein Foto am Parkplatz neben dem Restaurant.
Foto: Guido Gluschitsch

Während wir Fisch und Meeresfrüchte essen, roh und kalt, heiß und duftend oder gemeinsam mit Pasta, kommt Veit noch einmal auf die Farbe der Alpine zurück. "Als ich ein Junge war, hatte in der Nachbarschaft jemand eine Alpine. Natürlich eine blaue." Und der Wagen faszinierte den jungen Veit. Die Enttäuschung darüber, dass sein Testbolide grau ist, legte sich aber nach einer kurzen Erklärung.

Noch schnell ein Foto mit Ami Scabar vorm Restaurant.
Foto: Guido Gluschitsch

Die erste Version der neuen Alpine, die gab es nur als Pure. Das heißt so viel wie spartanisch. Veits Test-Alpine ist aber eine Légende. Das heißt so viel wie verstellbare und beheizbare Komfortledersitze statt nicht verstellbare Schalen. Und auch sonst findet man in dieser Alpine mehr Luxus als Spartanismus und damit auch Farben. "Stimmt", sagt er, "man kann über den Komfort in diesem Auto nicht klagen." Über die Sportlichkeit aber auch nicht. Hier treffen 252 PS aus dem Mittelmotor über einen Heckantrieb auf nur 1.123 Kilogramm Sportwagen, dessen Struktur fast nur aus Alu gefertigt ist. Das heißt: 4,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h.

Ami nutzt die Gelegenheit, kurz Platz zu nehmen in der noblen Version der Alpine.
Foto: Guido Gluschitsch

Ein, zwei Bissen später meint er dann: "Aber wegen des Alters ... Wenn er noch einen Knopf hätte, wo der Sitz rausfährt ..." Dabei hat er nun wirklich keine Mühen, in die und aus der Alpine zu kommen. Obwohl es stimmt. Es ist schon ein paar Jahre aus, dass Veit Heinichen am heimischen Hof an der NSU von 1946 herumgezangelt hat – Veit feierte erst vor wenigen Tagen seinen 62. Geburtstag. Als Bub holte er Motorräder aus diversen Schupfen in der Nachbarschaft, später dann auch Autos, und richtete sie zumindest so weit her, dass sie noch ein paar Monate lang hielten. Oder zumindest für die eine oder andere Wettfahrt mit Freunden. Die NSU machte den Anfang. Einen, der schon zeigte, wie viel Benzin im Blut dieses Mannes steckt.

Die erste Fahrt mit der NSU

"Die alte Zweitaktermaschine stand ewig rum. Ich hab Benzin eingefüllt, den ich aus dem Ersatzkanister meines Papas geklaut habe. Angestartet, springt an. Irgendwann fängt das Ding zu pfeifen, zu klingeln an, wird langsamer und stirbt ab. Ich wusste nicht, was los war, ich hatte ja noch keine Ahnung, dass ein Zweitakter Öl braucht. Aber ich wusste damals schon, wenn was quietscht, dann hilft Öl. Also schüttete ich etwas Öl in den Tank, und sie sprang wieder an."

Veit Heinichen hat es anscheinend gerne eilig.
Foto: Guido Gluschitsch

Von Aufspringen indes kann keine Rede sein, wir trennen uns nur ungern von Ami. Doch die Arbeit ruft. "Macht ihr einen Ausflug?", fragt sie. Natürlich nicht. "Wir arbeiten", sagt Veit und zeigt auf den zu testenden, fast 68.500 Euro teuren Wagen vor dem Haus. Obwohl, bei dem Preis muss man eigentlich ja fast schon günstig sagen. Und obwohl wir schon ausgemacht haben, dass wir einen kleinen Ausflug machen. Zum Starec. Nach San Dorlingo. Der hat angeblich das beste Olivenöl im ganzen Karst.

Ein kurzer Besuch beim Starec.
Foto: Guido Gluschitsch

Anscheinend sind wir wieder spät dran. Was vielleicht daran liegt, dass Veit einen ziemlichen Umweg fährt. Jedenfalls sind wir flott. Sehr flott. "Man merkt den Leichtbau", sagt er. Er spricht über seine Eindrücke vom Mittelmotor, erörtert gefühlte Details der Abstimmung der Lenkung. So genau kann man das jetzt nicht mehr wiedergeben, weil wegen des Gebrülls des Motors und des Rauschens des Blutes in den Ohren dringen nur Wortfetzen bis ins Beifahrerhirn. So viel bleibt aber hängen: saubere Linie, Herr Heinichen.

Die Armaturen der Alpine schauen in jedem Setup anders aus. Das hier ist der Racing-Modus.
Foto: Guido Gluschitsch

Der Besuch beim Starec ist ein kurzer, obwohl das Lokal voll ist und Veit ein gerngesehener Gast. Doch man merkt, die Männer kennen einander. Da bedarf es keiner großen Worte über die Literatur. Da redet man kurz über den Boliden – und keine Viertelstunde später geht es auch schon wieder weiter. Im gewohnten Tempo.

200 km/h und mehr

Sollte Ihnen also irgendwann Veit Heinichen erklären, wie sich die Alpine jenseits der 200 km/h anfühlt, schenken Sie ihm Glauben. Er weiß, wovon er spricht. Auch wenn er kurz darauf zum Schluss kommt: "Das Auto ist nichts für mich!" Ist er zu schnell? Hat er Angst, damit ständig Strafe zahlen zu müssen? Würde es ihm schwerfallen, keine unnötigen Kilometer mit dem Wagen zurückzulegen? "Na, pass auf, ich zeig es dir", sagt er, blinkt, und weiter geht die Hast.

In der Légende gibt es im Innenraum viel Leder.
Foto: Guido Gluschitsch

Konzentriert sitzt er in der Alpine. Die engen Gassen im Karst kennt er wie seine Westentasche. Dort und da zeigt er mit dem Finger ins Gelände und erinnert an Episoden aus seinen Büchern. Da lag eine Leiche, dort ist das passiert, hier jenes. Es ist so ganz nebenbei eine Tour zu den wichtigsten Orten seiner Romane. Mit einem Ziel. Prepotto.

Am Hof von Edi Kante.
Foto: Guido Gluschitsch

Auf dem Hof des Weinbauern Edi Kante ist niemand überrascht, Veit Heinichen zu sehen. Der Literat ist ein Botschafter des Weins aus dem Karst. Seine Lieblingssorte ist der Vitovska. Und den besten Vitovska im Karst, den keltert Edi Kante. Veit verschwindet im Agriturismo, kommt mit einem Karton Wein zurück und verstaut ihn mühevoll im kleinen Gepäckabteil, vorne, wo für gewöhnlich der Motor sitzt. Dann macht er einen Schritt zurück, stemmt die Hände in die Hüften und meint: "Hier kann ich einfach nicht genug Wein einladen. Darum ist die Alpine kein Auto für mich. Sie ist ein nettes Spielzeug, und der Preis ist so, dass ihn sich nicht nur Alte leisten können. Sie ist karstfest, und die Kurven liegen dem Wagen. Aber ich brauche ein temperamentvolles Auto mit viel Platz. Einen Drittwagen hingegen, den brauche ich nicht."

Die einzige Schwäche der Alpine ist die Größe des Gepäckraums.
Foto: Guido Gluschitsch

Was wir brauchen, das ist jetzt ein Glas Wein. Wir bringen die Alpine in ihr Nachtquartier und trinken ein Glas Kante. Erst bei Veit auf der Terrasse, mit Blick über die Bucht von Triest. Dann, natürlich, wie könnte es anders sein, als Aperitif in der Gran Malabar in Triest, bevor wir direkt am Meer zu Abend essen.

Veit geht fremd

Dort finden wir erstmals Zeit, über sein neues Buch zu reden, das am 2. Mai auf den Markt kommt. "Ich bin fremdgegangen", gesteht Veit. "Ich hab den Laurenti in fünf Romanen versucht umzubringen, jetzt setz ich ihm eben die Hörner auf." Xenia Zannier, die Lesern bereits bekannt ist, ist die Protagonistin seines neuen Buches Borderless. Kein Krimi. "Ein Thriller. Mit starken Frauenfiguren. Es spielt in mehreren Ländern, im Kanzleramt in Berlin, in Salzburg wie in München Pullach, wo der alte Stammsitz des BND ist, im Innenministerium in Rom, in Zagreb und Rijeka, dann geht es an die syrisch-türkische Grenze." Veit erzählt in klaren Bildern von seinem Roman. Wohl auch deshalb, weil die internationale Filmproduktion schon von Anfang an mitgedacht wurde.

Veit bei sich zu Hause.
Foto: Guido Gluschitsch

Wir denken auch etwas an. Den Abend ausklingen zu lassen. Es ist spät, und nicht nur der Vitovska ist kalt, inzwischen ist es auch die Luft. Draußen wartet bereits das Taxi auf uns. Ein Hybrid. Ein Toyota Prius. Es bedarf nicht eines einzigen Wortes, um klarzumachen, wer ab jetzt fährt. (Guido Gluschitsch, 29.4.2019)