Im Jänner präsentierte Kircher eine Broschüre gegen Missbrauch. Vom Ballett war da noch keine Rede.

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Angetreten ist Christian Kircher im Jahr 2016, um nach dem Finanzskandal am Burgtheater mehr Transparenz in die Bundestheater-Holding zu bringen. Zu dem staatlichen Bühnenkonzern gehören neben der Burg auch die Volks- und Staatsoper. Finanziell ist der Kulturtanker wieder auf Kurs, seit dem Vorjahr aber hat Kircher an einer anderen Baustelle allerhand zu tun.

Im Februar 2018 veröffentlichten rund 60 Mitarbeiter des Burgtheaters im STANDARD einen offenen Brief, in dem sie Machtmissbrauch unter der Direktion von Matthias Hartmann beklagten; im April desselben Jahres berichtete der Kurier über einen mutmaßlich sexuell übergriffig gewordenen Musiker im Staatsopernorchester – nach einer Untersuchung steht es Aussage gegen Aussage, derzeit ruht die juristisch heikle Causa.

Holdingchef Christian Kircher nützte die Gelegenheit seiner Jahresbilanz-Pressekonferenz im Jänner, um erste Maßnahmen gegen derartige Fälle vorzustellen. Er präsentierte die an alle Mitarbeiter des Konzerns gerichtete Broschüre "Kein Spielraum für sexuelle Belästigung & Mobbing". Darin enthalten ist eine lange Liste an internen und externen Personen, an die sich Betroffene im Ernstfall wenden können.

Dass zu dieser Zeit in der Akademie des Staatsopernballetts bereits Untersuchungen der Kinder- und Jugendanwaltschaft stattfanden, wusste Kircher damals noch nicht, wie er dem STANDARD sagt. Er sei erst vor wenigen Tagen informiert worden, als die Recherchen des Falter Details über mutmaßliche Gewaltanwendung ans Licht brachten. "Offenbar war man anfangs in der Wahrnehmung weit weg von einem Skandal. So kann ich es mir erklären, dass ich da nicht früher informiert wurde", sagt Kircher.

Bedauern und Entschuldigung

Ihm sei es "ein großes Anliegen", sein Bedauern und auch eine klare Entschuldigung gegenüber den betroffenen Kindern und Jugendlichen und deren Familien auszusprechen. "Jeglicher Missbrauch des im künstlerischen Bereich besonderen Autoritätsverhältnisses zwischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrenden muss konsequent und bedingungslos aufgeklärt werden."

Er habe verlangt, "dass diese Aufklärung rechtlich von externer Seite begleitet wird, auch im Hinblick auf etwaige disziplinarrechtliche Verfehlungen." Der nächste Schritt sei jetzt die Einrichtung der von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) geforderten Sonderkommission.

Über weitere Suspendierungen oder Rücktritte von Verantwortungsträgern sagt Kircher nur so viel: "Es wird Gegenstand der kommenden Überprüfungen sein, inwieweit auch Führungskräfte nicht richtig reagiert haben." Er könne aber "keine Rücktritte symbolisch verlangen, Rücktritte wären angebracht, wenn die Aufsichtspflicht verletzt wurde oder wenn man nach Bekanntwerden der Probleme nicht richtig reagiert hätte". Was er bis jetzt gesehen habe, ist, "dass allesamt hohes Interesse daran haben, die Dinge aufzuklären."

Die Verträge von Staatsoperndirektor Dominique Meyer und Staatsballett-Chef Manuel Legris laufen regulär nur noch bis 2020. Beide vertrauen darauf, dass auch Ballettakademie-Leiterin Simona Noja an der Aufklärung der Missstände sinnvoll mitwirken kann.

Selbstkritisch in die Zukunft

Dass, wie am Freitag Ö1 berichtete, Kinder laut Schulordnung "verpflichtet" gewesen wären, als Statisten an Staats- und Volksoper mitzuwirken und dies im Graubereich zu verbotener Kinderarbeit stattfinde, will Kircher erst genau untersuchen, "bevor man sich dazu seriös äußern kann". Eine ehemalige Schülerin berichtete dem STANDARD, man hätte die Bühnenauftritte stets "gerne gemacht" und Entlohnung erhalten.

Prinzipiell hält Kircher fest, dass ein Missbrauch von Autoritätsverhältnissen in allen Gesellschaftsbereichen vorkommt. Am Theater aber "kommt hinzu, dass wir versuchen, sinn- und kulturstiftend zu wirken, wir schreiben uns selbst eine gesellschaftsverbessernde Kraft zu. Daher wirkt es dort ungleich konterkarierend." Man könne kaum verhindern, dass es Einzelfälle gibt, aber systemische Dinge gehörten "abgestellt".

Beim Thema Ballett, so Kircher, werde "oft die Analogie zum Spitzensport hergestellt: dass Höchstleistungen seelisch und körperlich etwas abverlangen." Er glaube nur, "dass die Mittel zum Erfolg nicht gegen die Menschenwürde verstoßen dürfen – das ist wie beim Thema Doping." Das Posting eines DER STANDARD-Nutzers, wonach "überall dort, wo Kinder auf Topleistung getrimmt werden, Missbrauch stattfindet", kann Kircher nachvollziehen. Deswegen sei die Verantwortung gegenüber den Kindern eine doppelt hohe. "Alle müssen in die Pflicht genommen werden: Eltern, Lehrer, Führungskräfte. Wir sagen oft, wir sind der größte Theaterkonzern der Welt, aber es ist noch ein großer Schritt dahin, dass er auch der beste wird", so Kircher selbstkritisch. (Stefan Weiss, 12.4.2019)