Manchmal geht alles ganz schnell. Das hat Naomi Günes-Schneider in den vergangenen Monaten erfahren. Erst im letzten Jahr hat die Absolventin des Wiener Kollegs Herbststraße ihre Ausbildung beendet. Nun sind von ihr eine Leinenkombination und ein weit geschnittenes Kleid mit jeweils einem Kopftuch in Frankfurt im Rahmen der Ausstellung Contemporary Muslim Fashions zu sehen.

Mit der selbstbewussten Botschaft "Our Bodies Our Business" hat Günes-Schneider die erste Kollektion ihres noch jungen Labels Naomi Afia überschrieben. Als "Kopftuchdesignerin" will sie nicht verstanden werden, sie macht Modest Fashion, und das nicht nur für Musliminnen.

Mit dem Beitrag von Naomi Günes-Schneider ist auch ein Label aus Österreich dabei.
Foto: ilver&Soul

Der Begriff zieht sich wie ein roter Faden durch die Frankfurter Ausstellung. Doch was ist Modest Fashion eigentlich? "Damit ist ein zurückhaltenderer Stil, also legerere Schnitte, die ohne tiefe Ausschnitte auskommen, gemeint", erklärt Kuratorin Mahret Kupka, die die Schau in Frankfurt betreut hat. Das könne ein Kopftuch beinhalten, müsse aber nicht. Mit der problematischen Übersetzung "sittsam" will man in Frankfurt nicht hantieren.

Der Protest ließ trotzdem nicht lange auf sich warten. Schon jetzt kann man sagen: Günes-Schneiders Entwürfe sind Teil der meistdiskutierten Modeausstellung des Jahres. Noch vor deren Eröffnung in Deutschland (konzipiert wurde sie unter Max Hollein für das De Young Museum in San Francisco, erweitert wurde sie für Frankfurt um fünf Stücke aus dem deutschsprachigen Raum) gab es Gegenwind – aus dem rechten Eck und vonseiten des Magazins Emma. "Eine Werbeausstellung fürs Kopftuch", befand man da.

Die Anwältin und Imamin Seyran Ates erklärte dem Blatt, die Veranstalter verkauften sich "für viel Geld an die Textilindustrie und die Islamisten, die am liebsten alle Frauen dieser Welt verhüllen würden."

Die Ausstellung, in der weniger Kopftücher zu sehen sind, als es der erste Proteststurm vermuten lässt, entfachte in Deutschland eine Debatte um die politische Dimension von Modest Fashion. Auf die hat die westliche Modeindustrie in den vergangenen Jahren verzichtet. Sie geht längst auf die speziellen Bekleidungsbedürfnisse von Musliminnen, orthodoxen Jüdinnen oder Christinnen ein.

"Modest Fashion" sieht unterschiedlich aus. Mode von Feyza Baycelebi.
Foto: DarSalma Photography

Modest-Fashion-Markt

Unter welchen Umständen sich die Kundinnen bedecken? Völlig uninteressant. "Der neoliberale Kapitalismus vereinnahmt und vermarktet alles, was ihm in die Finger kommt – daran kommt auch Modest Fashion nicht vorbei", sagt die deutsche Kulturanthropologin Fatma Sagir. Rund 38 Milliarden Euro werden derzeit weltweit jährlich für Modest Fashion ausgegeben.

Davon profitiert nicht nur die türkische Modeplattform Modanisa.com, Marktführer in Sachen Modest Fashion. Marken wie H&M, Nike, Gucci oder Dolce & Gabbana umgarnen muslimische Kundinnen in den letzten Jahren offensiv mit Ganzkörperbadeanzügen und Couture-Roben. Die Nachfrage der kaufkräftigen Kundschaft schlägt sich im vielfältigen Angebot der Modeunternehmen nieder.

Bei Net-à-Porter wird Modest Fashion als eigene Kategorie geführt, gerade erst wurden von verschiedenen Designern Ramadan-Kollektionen entworfen. Seit 2017 gibt es die Luxus-E-Commerce-Website The Modist. Auf ihr werden rund 200 Designer, darunter viele westliche Marken wie Jil Sander oder Proenza Schouler vertrieben.

Auch Hijab-tragende Models sind sichtbarer geworden. Die US-Amerikanerin Halima Aden war im letzten Jahr neben anderen Models auf dem Titel der britischen Vogue und auf den Laufstegen von Max Mara oder Kanye Wests Label Yeezy mit Hijab zu sehen.

Körperbedeckt: die amerikanische Säbelfechterin Ibtihaj Muhammad in einem Hijab des Sportartikelherstellers Nike.
Foto: Nike, Inc.

Modest-Fashion-Bloggerinnen und -Influencerinnen mögen diese Entwicklung beschleunigt haben. "Sie weisen westliche wie muslimische Vorstellungen von weiblichen Idealbildern erst einmal zurück und erarbeiten sich Stück für Stück Elemente aus diesen Traditionen durch ihre Körper- und Bekleidungspraktiken.

Das äußert sich dann in offensichtlichen Widersprüchen: Sie tragen Kopftuch, Designermarken und Tattoos und schminken sich", sagt die Kulturanthropologin Fatma Sagir. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit jenen Influencerinnen, von denen viele in den USA oder in Großbritannien in einem westlichen Kontext leben und häufig einen ethnisch anderen Hintergrund als die Gesellschaft, in der sie leben, haben.

Dass diese Frauen eine ganze Palette an Identitätsmodellen ausloten könnten, mache das Internet möglich. Es verleihe ihnen wie anderen Lifestyle-Bloggerinnen Handlungsmacht, meint Sagir.

Daran, dass diese jungen Frauen oft nicht als selbstbestimmt wahrgenommen würden, manifestiere sich ein Generationenkonflikt, vermutet Kupka. Auch die in Deutschland geborene und in Wien lebende Designerin Günes-Schneider, ihr Vater stammt aus Ghana, ihre Mutter ist Deutsche, führt vor, wie vielschichtig der Umgang mit Modest Fashion ist. .

Denn Naomi Günes-Schneider macht nachhaltige Mode: "Ich habe in meinem Bekanntenkreis bemerkt, dass es eine Nachfrage gibt". Auf den Zentimeter kommt es ihr dabei nicht an. Teil ihrer neuen Kollektion ist ein ärmelloses, über dem Knie endendes Kleid: "Manche Frauen, die es mit der "Modesty" streng nehmen, würden das nicht anziehen." (Anne Feldkamp, RONDO, 26.4.2019)

Ein Look der Österreicherin Imen Bousnina bei der Modest Fashion Week in Jakarta. Bousnina machte ihre Ausbildung ebenfalls an der Modeschule Herbststraße.
Foto: Dandy Hendrata