Der ehemalige ÖVP-Chef Mitterlehner hält wenig von seinem Nachfolger.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Wien – Die Körperhaltung ändert sich jenseits der 50 wohl nicht mehr so schnell. Mit leicht hochgezogenen Schultern, dafür mit lässigem Schritt und wissendem Lächeln trat am Mittwochvormittag einer vor Medien und interessierte Öffentlichkeit, der seine innere, aufrechte Haltung jetzt in Buchform darlegen will. Es soll keine Abrechnung sein, sagt Reinhold Mitterlehner, ihm gehe es um eine Klarstellung.

Im Vorfeld war viel über den Inhalt seines Buches "Haltung – Flagge zeigen in Leben und Politik" spekuliert worden. Der frühere Vizekanzler selbst berichtet von Anrufen, die ihn bis zuletzt von der Veröffentlichung seiner "politischen Biografie", die er als eine Art "zeitgeschichtliches Dokument" verstanden wissen will, abhalten wollten.

Sonntags mal die Steuerreform

Und er wagt eine Prognose: Spätestens am Wochenende würden die Agenda-Setter seines Nachfolgers an der ÖVP-Spitze ausrücken und ein Ablenkungsthema positionieren. Wohl die Steuerreform, mutmaßt Mitterlehner.

Dass er die folgenden fast 60 Minuten seiner Buchpräsentation dann doch überwiegend dem "Machtwechsel" widmet, mit dem es dem heutigen Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz gelungen sei, ihn aus dem Sessel des Parteichefs zu drängen, erklärt Mitterlehner mit Sätzen wie diesen: "Nur damit Sie mich verstehen: Eine normale Intrige im Bereich der Volkspartei kostet mich nicht einmal ein Wimpernzucken." Aber mit ihm, dem passionierten Tarockspieler, sei von Anfang an ein falsches Spiel gespielt worden. Er sei schon mit Vorbehalt zum Parteichef gewählt worden.

Blasse Revolutionäre

Und ab 2016 sei es so richtig zur Sache gegangen: Wie Kurz, dessen Namen er nur auf Nachfrage in den Mund nimmt, und seine Getreuen die Machtübernahme vorbereitet hätten, sei "noch nie dagewesen". Der damalige Außenminister habe bereits Fundraising betrieben, Strategiepapiere entwickelt, eine Art Schattenkabinett aufgebaut. Mitterlehner: "Da ist eine Energie verwendet worden, die in Umfang und Dynamik jeden russischen Revolutionär vor Neid erblassen lassen würde."

Nachsatz: So bösartig habe er das im Buch dann gar nicht formuliert, denn "einiges habe ich Ihnen und mir erspart". Was das ist, wollte er auf Nachfrage naturgemäß nicht beantworten – könnte ja Teil eines weiteren Buches sein, "wenn's gut ankommt".

Türkis-blaue Verrohung

An der türkis-blauen Regierung findet der frühere ÖVP-Chef kaum Gutes. Er ortet eine Abwertung der repräsentativen Demokratie, eine Verrohung der Sprache, eine Aufweichung der Gewaltenteilung, kurz gefasst: eine "besorgniserregende Entwicklung von einer offenen pluralistischen Gesellschaft hin zu einer Gesellschaft, die ausgrenzt und geschlossen ist".

Stichwort Flüchtlinge: Das Thema werde aufgebauscht, Maßnahmen wie ein von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) angedachter Stundenlohn von 1,5 Euro für Asylwerber, die Hilfstätigkeiten übernehmen, sind für Mitterlehner schlicht "menschenverachtend und zynisch". Was die Umbenennung der Flüchtlings-Erstaufnahmestellen in Ausreisezentren anlangt, erklärt Mitterlehner: "In meiner Zeit hätte so jemand als Minister zurücktreten müssen."

Wider das Schweigen

Was er ebenfalls als zentrale Botschaft mitgeben wollte: Es könne nicht sein, "dass schweigend alle zuschauen", während "die Ausgrenzungspolitik ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht hat". Mit seinem Buch wolle er die Christlich-Sozialen in seiner Partei aufrütteln. Das wäre auch für die Partei wünschenswert, bei der er immer noch Mitglied ist.

Was die eigene politische Zukunft anlangt, will Mitterlehner nichts ausschließen. Er sei "derzeit ziemlich en vogue, was die Themen anlangt", habe aktuell aber "überhaupt keine Neigung", in die Politik zurückzukehren. Doch sag niemals nie: Eine Kandidatur bei der nächsten Bundespräsidentenwahl wollte er auf Nachfrage jedenfalls nicht ausschließen. (Marie-Theres Egyed, Karin Riss, 17.4.2019)