Bundesparteitag der ÖVP in Linz: Sebastian Kurz wird zum Parteichef gewählt.

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Reinhold Mitterlehner ist heute nicht mehr im Hamsterrad der Tagespolitik gefangen. Er muss auf keine Umfragen oder Parteikollegen mehr Rücksicht nehmen und kann sagen und schreiben, was er tatsächlich für richtig hält. Wenn er also die Asylpolitik der türkis-blauen Regierung als zynisch bezeichnet oder einen respektlosen Grundton der Koalition beklagt, dann sollte man das nicht einfach als versuchte Rache eines beleidigten Ex-Parteichefs abtun. Seine Botschaft ist ihm ein echtes Anliegen.

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Man sollte aber auch mit politischer Verklärung vorsichtig sein. Ja, als Wirtschaftskämmerer war Mitterlehner dafür, die Arbeitsmöglichkeiten von Asylwerbern auszuweiten. Aber es war auch Mitterlehner, der dann als ÖVP-Obmann lautstark eine Asylobergrenze forderte (und auch von der SPÖ bekam), obwohl die im Ernstfall nicht umsetzbar gewesen wäre. Er war es auch, der die vom jetzt als Oberintrigant geouteten Wolfgang Sobotka geforderte Asyl-Notverordnung, mit der eine Art Ausnahmezustand hätte erklärt werden sollen, verteidigte. Das war genauso umfragegetriebene Symbolpolitik, wie er sie jetzt beklagt.

Und es war übrigens auch Mitterlehner, der die jetzt wieder erhobene Forderung nach einer früheren Anhebung des Frauenpensionsalters seinerzeit aufgab, weil er wusste, dass damit kein Blumentopf zu gewinnen ist – und weil die SPÖ dem Vorhaben nie zugestimmt hätte.

Hauptproblem

Womit wir beim Hauptproblem der Volkspartei wären: dem Verhältnis zur Sozialdemokratie. Fakt ist, Mitterlehner konnte gut mit Christian Kern. Fakt ist aber auch, dass große Teile der beiden Parteien eine abgrundtiefe Aversion gegenüber der anderen Seite empfinden. Das liegt quasi in der DNA von SPÖ und ÖVP.

Das sollte man mitbedenken, wenn man auf das Jahr 2017 zurückblickt. Sebastian Kurz und seine Adoranten verhielten sich zweifellos illoyal, haben quergeschossen, wo es nur ging, und sich von langer Hand auf die Machtübernahme vorbereitet. Aus Sicht des damaligen Vizekanzlers war das natürlich menschlich enttäuschend.

Aus machtstrategischer Sicht, und darum geht es letztlich immer in der Politik, haben Demontage, Neuwahl und Wechsel zur FPÖ aber den Zweck erfüllt. Kurz ist Kanzler, kann ohne große Widerstände eine konservative Wirtschafts- und Sozialpolitik machen und muss sich vor allem nicht mit der Sozialdemokratie herumärgern. Das war ihm wichtiger als Loyalität gegenüber seinem Vorgänger. (Günther Oswald, 17.4.2019)