Wer die 130 Kilometer von Wien nach Zwettl mit Öffis zurücklegen will, muss einmal umsteigen, 26 Euro bezahlen und braucht für die Strecke etwa 2,5 Stunden. Mit dem Auto dauert die Fahrt eine Stunde, 15 Minuten. Man kann sagen: Die Anbindung ins Waldviertel könnte besser sein.

Dennoch, so meldete die Initiative "Wohnen im Waldviertel" jüngst bei einer Pressekonferenz, sei das Waldviertel ein Zuwanderungsgebiet. 227.500 Hauptwohnsitzer gibt es insgesamt, seit der Gründung der Initiative 2009 seien "um 3369 mehr Hauptwohnsitzer zu- als abgewandert" , freuten sich die Vertreter des Vereins Interkomm, der hinter der Initiative steht. Sie führten die Erfolge auf ihre Arbeit in den letzten Jahren zurück. Zahlreiche Medien berichteten über das Waldviertel als Zuwanderungsregion.

Freilich, die Daten führen in die Irre: Die Zahl 3369, so bestätigen auch die Verantwortlichen, bezieht sich auf das gesamte Waldviertel – also inklusive Wachau und Krems an der Donau, die keineswegs von Abwanderung betroffen sind. In den 56 Gemeinden, die am Projekt "Wohnen im Waldviertel" teilnehmen und im nördlichen Waldviertel liegen, gibt es eine positive Wanderungsbilanz von nur 963 Personen. So viele Hauptwohnsitzer mehr sind zugewandert als abgewandert.

Die positive Wanderungsbilanz im Waldviertel ist Zuzügen aus dem Ausland zu verdanken.
Grafik: Der Standard

Wie Zahlen der Statistik Austria zeigen, sind die Zuzüge in die teilnehmenden Waldviertler Gemeinden zwischen 2009 und 2017 vor allem auf eine positive Wanderungsbilanz mit dem Ausland zurückzuführen. Es sind also viele Menschen aus dem Ausland in die "Wohnen im Waldviertel" -Gemeinden zugezogen, weit mehr, als aus den Gemeinden ins Ausland abgewandert sind.

Worauf ist das zurückzuführen? Besonders viele Zuwanderer aus dem Ausland kamen 2015. Wie STANDARD-Recherchen ergeben haben, ist der Zuzug vor allem Asylwerbern zu verdanken, die Quartieren in der Region zugeteilt wurden.

Klammert man diese Wanderungsbewegung vom und ins Ausland aus, betrachtet man also nur die Zu- und Wegzüge innerhalb Österreichs, liegt die Wanderungsbilanz in den teilnehmenden Gemeinden bei minus 994. Von einer beliebten Zuzugsregion bei Menschen in Restösterreich kann also keine Rede sein.

Dem widerspricht Josef Wallenberger von der Wallenberger & Linhard Regionalberatung, die "Wohnen im Waldviertel" als Generalunternehmen umsetzt. Die Zuwanderungszahlen von 2015 seien "auf zehn Jahre gesehen kleine Ausreißer". Warum das Projekt sich diese Zahlen dennoch auf die Fahnen hefte, kommentiert Wallenberger mit: "Das ist eine Frage des Fokus. Die Wanderungsbilanz ist schon seit einem längeren Zeitraum positiv."

Am Projekt "Wohnen im Waldviertel" nehmen vor allem Gemeinden im Norden der Region teil.

Zu den Angeboten des Projekts zählen eine Immobilien- und Jobplattform, außerdem gibt es Infos zu Schulen, Gesundheit und Freizeit. Die Initiative macht Werbung für das Waldviertel als Wohnort. Zuzügler bekommen eine Infomappe und werden weiterbetreut, wenn sie das wollen. Ein Mitarbeiter des Vereins Interkomm arbeitet Vollzeit für das Projekt.

Jährliche Beiträge

Laut Eigenaussage belaufen sich die jährlichen Projektkosten auf 321.500 Euro, 51 Prozent bezahlen die Gemeinden, 26 Prozent die Projektpartner und Raiffeisen, und 23 Prozent kommen vom Land NÖ. Eine andere, frühere Aufstellung der Finanzierung aus einem Gemeinderatssitzungsprotokoll von Schwarzenau führt von 2013 bis 2015 Projektkosten in der Höhe von 1,2 Millionen Euro an, 550.000 vom Land, 100.000 von Raiffeisen und 320.000 Euro aus den Gemeinden. Das Land Niederösterreich gab dem STANDARD bis Redaktionsschluss keine Auskunft zur Höhe der Förderung.

Die 56 teilnehmenden Gemeinden sind Mitglied im Verein Interkomm und zahlen dafür jährliche Beiträge, die sich nach der Einwohnerzahl richten. Laut Gemeinderatsbeschlüssen sind es im 1200 Einwohner großen Jaidhof 1800 Euro, im 2700 Einwohner großen Weitra 2400 Euro und im 6500 Einwohner großen Horn 4500 Euro brutto.

Manchen ist das zu viel, etwa Gerhard Kirchmaier, Bürgermeister von Heidenreichstein. Wegen finanzieller Engpässe habe man um ein Pausieren der Mitgliedschaft gebeten. "Unsere Probleme haben dort aber niemanden interessiert", so Kirchmaier. Deshalb ist die Gemeinde aus dem Verein ausgetreten. Kirchmaier hat Zweifel, dass die Mitgliedschaft etwas bringt: "Ich glaube nicht, dass wir durch neue Bürger mehr einnehmen, als wir Beiträge zahlen." Dem Verein sind die nicht teilnehmenden Gemeinden ein Dorn im Auge. "Geworben wird für die ganze Region, auch für Gemeinden, die nicht mitmachen. Solidarisch ist das aber nicht", sagt Johann Müllner, bis vor kurzem Obmann des Vereins Interkomm.

Bessere Infrastruktur

Kritiker der Initiative gibt es im Waldviertel weiterhin, obwohl auch sie dem Projekt etwas abgewinnen können. "Es schaut schlecht aus mit dem Zuzug, deshalb sind wir über jede Initiative froh", sagt Walter Kogler von den Grünen in Horn.

Mancherorts wünscht man sich allerdings, dass die Gelder "sinnvoller" eingesetzt werden als für "Wohnen im Waldviertel". Christina Lechner von der Liste "Wir für Weitra" fordert etwa, dass stattdessen in bessere Mobilfunknetze und Internetverbindungen investiert werden sollte. Apropos Infrastruktur. Noch ein Vorschlag, der die Region attraktiver machen würde: eine günstigere und schnellere öffentliche Anbindung. (Bernadette Redl, Michael Matzenberger, 20.4.2019)