Impfungen schützen, daran gibt es keinen Zweifel. Dennoch glaubt noch immer mehr als die Hälfte der Österreicher, dass Impfungen häufig schwere Nebenwirkungen haben.

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Bereits 79 bestätigte Fälle von Masern gab es heuer laut der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages). Zum Vergleich: 2018 wurden insgesamt 77 Fälle gemeldet. Bis Ende April 2019 gab es mit 36 Meldungen die meisten registrierten Erkrankungen in der Steiermark, gefolgt von 19 Fällen in Kärnten, 15 waren es in Salzburg. Laut WHO sind derzeit 84 Prozent der Österreicher gegen Masern geimpft. Um einen Herdenschutz zu erreichen, der auch Menschen schützt, die nicht geimpft werden können, ist eine Immunisierungsrate von 95 Prozent notwendig. "Von diesem Ziel sind wir meilenweit entfernt", sagt Volksanwalt Günther Kräuter, der am Montag einen "Impfgipfel" mit Experten und Vertretern der Parteien in Wien abhielt, die FPÖ war nicht anwesend.

Die Forderung von Kräuter: eine möglichst schnelle Einführung einer Impfpflicht im Gesundheitswesen. "Ich erwarte mir bis Jahresende eine Lösung. Kein vernünftiger Mensch kann hier widersprechen. Letztendlich liegt es an den Ländern, das mit Berufsgesetzen zu regeln, wie das bereits in der Steiermark umgesetzt wurde", so der Volksanwalt. Vorstellbar sei für ihn aber auch eine Regelung über Bundesgesetze.

Immunisierung aller Ärzte

Kräuter verwies auch auf den Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer, Thomas Szekeres, der ebenfalls beim "Impfgipfel" anwesend war und sich in seinem Bereich für die Immunisierung aller Ärzte ausgesprochen hatte. Außerdem seien gegen Mediziner, die von Impfungen abraten, Maßnahmen geplant, so Szekeres.

Dass das derzeitige System der Freiwilligkeit oder "Selbstbestimmung", wie es Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein nennt, nur begrenzt funktioniert, zeigt eine aktuelle repräsentative Umfrage des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller (ÖVIH), wonach drei Prozent der Österreicher Impfungen als "sehr negativ" und 13 Prozent sie als "eher negativ" sehen. Von Personen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, haben zwölf Prozent zumindest eine "eher negative" Einstellung zum Thema Impfen.

Grassierende Mythen

Der Grund dafür sind Falschinformationen, die Ängste schüren. So glauben 51 Prozent der Österreicher, dass Impfungen häufig schwere Nebenwirkungen verursachen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, in Summe überwiegen die Vorteile der Impfung deutlich, wie eine systematische Übersichtsarbeit des globalen Cochrane-Netzwerks unabhängiger Wissenschafter gezeigt hat. Schätzungen zufolge hat die Masernimpfung allein im Zeitraum 2000 bis 2016 etwa 20,4 Millionen Todesfälle verhindert.

Eine Mumps-Masern-Röteln-Impfung (MMR) verursacht bei fünf bis 15 pro 100 Geimpften Fieber, in seltenen Fällen auch Fieberkrämpfe. In etwa fünf von 100 Fällen löst sie einen vorübergehenden Hautausschlag, sogenannte nichtansteckende Impfmasern, aus.

In der Cochrane-Studie wurde auch ein möglicher Zusammenhang der MMR-Impfung mit Autismus, Asthma, Leukämie, Diabetes, Morbus Crohn und MS untersucht. Für keine dieser Krankheiten konnten die Forscher ein erhöhtes Risiko feststellen.

Dringlichster Schritt

Eine Maserninfektion kann hingegen zu ernsthaften Komplikationen führen, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern. Dazu zählen starker Durchfall, Erblindung, Mittelohr- und Lungenentzündungen. Bisher gingen Experten davon aus, dass von 100.000 Masernerkrankten etwa eine Person im späteren Leben eine tödlich verlaufende Gehirnentzündung, im Fachjargon subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) genannt, entwickelt. Doch Studien aus den vergangenen Jahren deuten darauf hin, dass das Risiko wahrscheinlich unterschätzt wurde. Neueren Analysen zufolge haben von 10.000 Masernerkrankten nach einer überstandenen Infektion ein bis zwei Personen im späteren Leben SSPE, Kinder unter zwei Jahren sind vermutlich noch häufiger betroffen.

Für Volksanwalt Günther Kräuter ist deshalb die MMR-Impfpflicht für das österreichische Gesundheitspersonal nur der dringlichste Schritt: "Dass sich das längerfristig auch auf das pädagogische Personal erstrecken sollte, ist die logische Folge."

Auch die Aufnahme der MMR-Impfung in den Mutter-Kind-Pass sei für ihn ein geeignetes Instrument. Ebenso kann er sich vorstellen, dass Kinder öffentliche Kindergärten und Schulen nur dann besuchen dürfen, wenn sie nachweislich zwei Dosen der MMR-Impfung erhalten haben. (Günther Brandstetter, Bernadette Redl, 29.4.2019)