Viele Frauen, die ungewollt schwanger sind, ziehen eine Bilanz über ihre Lebenssituation.

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Ergebnisoffen zu beraten muss das oberste Credo einer jeden Einrichtung sein, die ungewollt Schwangere berät, sagt Nina Stastný.

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Die Petition #Fairändern fordert unter anderem eine verpflichtende Bedenkzeit für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen wollen. Die Psychologin Nina Stastný hat ungewollt schwangere Frauen in Konfliktsituationen im Ambulatorium Pro Woman beraten. Frauen können mit dieser Situation vor allem dann gut umgehen, wenn sie diese Entscheidung informiert und selbstbestimmt treffen können, sagt sie.

STANDARD: Welche Fragen haben die Frauen in der Beratung besonders oft?

Stastný: Viele Frauen möchten wissen, ob ein Schwangerschaftsabbruch schmerzhaft ist, wie gesundheitsgefährdend ein Abbruch ist und wie hoch das Risiko ist, nach einem Abbruch keine Kinder mehr bekommen zu können. Auch nach der Wahrscheinlichkeit von Komplikationen wird oft gefragt – und ob sie die Einzigen sind, denen "so etwas" passiert.

STANDARD: Wie meinen die Frauen das?

Stastný: Viele ungewollt schwangere Frauen haben das Gefühl, sie seien die Einzigen, denen das passiert. Für die Frauen ist es ein besonderes einzigartiges Ereignis in ihrem Leben, insofern können viele nicht sehen, dass das sehr häufig passiert.

STANDARD: Was brauchen Frauen, die völlig ratlos vor dieser Entscheidung stehen?

Stastný: Sie brauchen in erster Linie klare Informationen, sie müssen wissen, dass sie gut betreut sind und dass ihre Entscheidung respektiert wird. Es ist wichtig zu wissen, dass jemand da ist und sich kümmert, falls sie sich für einen Abbruch entscheidet. Viele Frauen, die ungewollt schwanger sind, ziehen eine Art Bilanz. Wie ist die Wohnsituation? Wie ist die Beziehung? Wie stehe ich im Job da? Eine ungewollte Schwangerschaft ist für viele Frauen ein Moment in ihrem Leben, in dem sie sich viele Fragen stellen und der Status quo überdacht wird.

STANDARD: Auf welcher Grundlage entscheiden sich die Frauen?

Stastný: Wenn die Frauen in eine Beratungsstelle kommen, von der sie wissen, dass dort auch Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, haben sie in vielen Fällen schon eine gewisse Tendenz. Sie wissen, dass sie dort einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen können, wenn sie sich dafür entscheiden. Trotzdem muss ergebnisoffen zu beraten immer das oberste Credo sein. Und es ist auch wichtig, Frauen an relevante Stellen weiterzuverweisen, ihnen zu helfen, noch mehr Informationen zu bekommen, beispielsweise wenn es um Fragen rund um Karenz oder Kinderbetreuungsgeld geht.

Die allermeisten Frauen treffen diese Entscheidung selbstständig und informiert. Sie wissen, was sie tun, und sind sich ihrer Verantwortung bewusst. Mit einer solchen Entscheidungsgrundlage kann man wenig belastet aus dem Prozess eines Schwangerschaftsabbruchs herausgehen. Es wird meinem Eindruck nach politisch völlig hochgespielt, dass ein Schwangerschaftsabbruch hochproblematisch sein müsse und eine Disposition für eine psychische Erkrankung sei. Das Post-Abortion-Syndrom, das von AbtreibungsgegnerInnen propagiert wird, wird von der Weltgesundheitsorganisation an keiner Stelle erwähnt und gibt es so nicht.

STANDARD: Sie sagen, ergebnisoffene Beratung ist das Um und Auf. Trotzdem lassen sich viele Beratungseinrichtungen zuordnen: in die, die eher die Perspektive der Frauen einnehmen, und jene, die den sogenannten Schutz des Lebens betonen.

Stastný: Es ist tatsächlich schwierig. Natürlich sagt es etwas aus, wie die Einrichtung heißt, zum Beispiel "Aktion Leben" oder "Leben mit Kind". Eine völlig neutrale Beratungsstelle für ungewollt Schwangere gibt es nicht. Für eine Frau ist es oft auch schon eine gewisse Richtung, wenn sie zu einer Beratungsstelle kommt, in der auch Schwangerschaftsabbrüche durchführt werden – auch wenn die Beratungen natürlich ergebnisoffen sind. Für Frauen ist die Beratungseinrichtung auch eine Entscheidungsgrundlage: Wie sind die Leute dort? Fühle ich mich dort wohl? Werde ich respektiert in meiner Situation?

STANDARD: Haben Sie die Aktivitäten von AbtreibungsgegnerInnen während Ihrer Zeit als Beraterin bei Pro Woman verfolgt?

Stastný: Ja, auch gezwungenermaßen hautnah, weil sie sich oft direkt vor das Ambulatorium stellen. Regelmäßig wird dort gebetet und gesungen, zu Ostern wird ein riesengroßes Kreuz aufgestellt. Schlimm ist es, wenn versucht wird, die Frauen zu manipulieren, wenn diese überredet werden, in ihre "Beratungsstelle" zu kommen. Dort werden ihnen Kaffee und Kekse angeboten, was schon mal fürs Erste verhindert, dass sie an diesem Tag einen Abbruch vornehmen können, für den man nüchtern sein muss.

STANDARD: Wäre eine verpflichtende Beratung, wie es sie in Deutschland gibt, sinnvoll?

Stastný: Das einzig Positive, das ich daran sehe, ist, dass es den Frauen den Zugang zu Informationen erleichtern könnte. Solange der Schwangerschaftsabbruch ein derart stark tabuisiertes Thema ist, das Stigmatisierung nach sich zieht, sind Beratungen wichtig. Es ist wichtig, die Frauen aufzufangen und die Situation zu normalisieren. Wenn man leicht an neutrale Informationen käme und die Wahlfreiheit klar wäre, wäre das anders und die Beratung hätte nicht so eine wichtige Funktion. Trotzdem bin ich dezidiert gegen eine Beratungspflicht. Die Frauen handeln selbstverantwortlich und können selbst entscheiden, ob sie sich beraten lassen wollen oder nicht. Abgesehen davon gibt es natürlich eine medizinische Aufklärungspflicht.

STANDARD: Sie sagen, die Frauen müssen die Entscheidung autonom treffen können. Sehen die Frauen das als ihre alleinige Entscheidung?

Stastný: Ich denke schon, dass das die meisten Frauen so sehen. In den meisten Fällen war den Frauen aber auch daran gelegen, den Mann einzubeziehen. Ich kann verstehen, dass man versucht, das partnerschaftlich zu entscheiden. De facto ist es aber eine Entscheidung von Frauen über ihren Körper. Auf der anderen Seite ist es für Frauen auch unterstützend zu wissen: Mein Mann oder mein Freund trägt die Entscheidung mit – aber eher in dem Sinn, dass er für mich unterstützend da ist.

STANDARD: Ist das katholisch geprägte Bild vom Schwangerschaftsabbruch als Sünde noch wirksam?

Stastný: Ja, wenn auch in einer gemilderten Form. Es würden die wenigsten sagen, dass sie es als Sünde empfinden, aber das Gefühl, es wäre ein Vergehen gegen das Leben – das gibt es schon.

STANDARD: Wie hat sich das Verhältnis zu einer ungewollten Schwangerschaft sonst noch verändert?

Stastný: Was sich in den letzten Jahren verstärkt eingeschlichen hat, ist ein Optimierungsdiskurs. Viele haben den Eindruck, man braucht mindestens eine 100-Quadratmeter-Wohnung, ein großes Auto und so weiter. Mein Eindruck ist, viele glauben, ganz viel zu brauchen, bevor sie sich entscheiden können, schwanger zu werden. (Beate Hausbichler, 7.5.2019)