Die Ähnlichkeit von Blüten mit menschlichen Geschlechtsteilen hat schon viele Künstler fasziniert. Renate Bertlmann schuf 1985 ihre Reihe "Fleur du Mal".

Foto: Renate Bertlmann

Messer, Herz und Brüste: Bertlmanns "Ex Voto" (1985) spielt mit reichlich Symbolik.

Foto: Renate Bertlmann

Renate Bertlmanns Fotoserie "Zärtliche Berührungen" von 1976/2009.

Foto: Renate Bertlmann / Richard Saltoun, London / Galerie Steinek, Wien

Augenzwinkernd: Renate Bertlmanns Skultpur "Viagra" von 1998 hat klar die männliche Potenz zum Thema.

Foto: Renate Bertlmann / Galerie Steinek, Wien / Foto: Pixelstorm

Die Zeichnung "Übergestülpt" aus dem Boris-Zyklus von 1976.

Foto: Renate Bertlmann / Richard Saltoun, London / Foto: Pixelstorm

Künstlerin Renate Bertlmann ist die erste Künstlerin, die den österreichischen Pavillon allein bespielen darf.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Renate Bertlmann mit Felicitas Thun-Hohenstein, von der sie zur österreichischen Biennale-Vertreterin berufen wurde.

Foto: Irina Gavrich

Noch nie in der Geschichte des österreichischen Pavillons wurde dieser von einer Frau alleine bespielt. Ab kommender Woche ist es so weit: Die Wiener Foto-, Objekt- und Performancekünstlerin Renate Bertlmann wird den Josef-Hoffmann-Pavillon in Beschlag nehmen. Womit? Das wird man am Donnerstag sehen.

STANDARD: Von Anfang an gibt es in Ihrem Werk eine Konstante: den Penis. Warum?

Bertlmann: Für den Mann ist der Phallus ein wichtiges Organ, sein Geschlechtsorgan. Aber er ist auch seine Waffe. Zu dieser Erkenntnis bin ich durch feministische Analysen in den 1970er-Jahren gekommen. Endlich haben wir damals begonnen, über unsere Sexualität zu sprechen: welchen Stellenwert sie in unserem Leben hat.

STANDARD: Der Penis als das böse Andere?

Bertlmann: Die Sexualität ist der Angelpunkt bei der Unterdrückung der Frau. Wir wissen, dass alle zwei Minuten eine Frau vergewaltigt wird, dass systematische Vergewaltigung ein wichtiges Kriegsmittel ist.

STANDARD: Jüngere Feministinnen haben ein differenzierteres Bild.

Bertlmann: Es ist gut, dass die Lustkomponente mittlerweile stärker betont wird, dass Frauen fordern, dass sie Lust erleben wollen. Wenn der Partner nicht entspricht, wird er von der Bettkante gestoßen.

STANDARD: Sie sind von Feministinnen angegriffen worden, weil der Phallus eine so große Rolle in Ihrem Werk spielt.

Bertlmann: Von feministischer Seite wurde zu Recht gefordert, dass wir Frauen uns mit unserem eigenen Körper, unserer Sexualität auseinandersetzen. Meine wichtigste Motivation für die Auseinandersetzung mit dem Thema war Angst.

STANDARD: Ihre eigene Angst?

Bertlmann: Das eigene Werk ist natürlich stark biografisch geprägt. Meine Eltern waren beide im Krieg, sie haben die Zeit beschädigt überlebt. Meine Mutter war stark angstbesetzt. Ich habe ihre Angst mit der Muttermilch aufgesogen: Ich habe mich von Männern bedrängt gefühlt.

STANDARD: Dennoch ist Ihr künstlerischer Umgang mit dem Phallus ein ironischer, spielerischer. Das erstaunt angesichts Ihrer Worte. Woher die Ironie?

Bertlmann: Ich habe mich nie in die Reihen jener Frauen eingefügt, die "Schwanz ab" schrien. Ich wollte immer den Weg der Kommunikation und der Versöhnung gehen. In den 70er-Jahren war ich sehr unglücklich, sowohl privat, als auch was mein Studium an der Akademie anbelangte. Damals habe ich zur Meditation gefunden. Diese bringt automatisch Distanz mit sich. Und Distanz generiert einen klareren Blick. Auch wenn die Situation noch so angstauslösend ist, beinhaltet sie immer auch etwas Lächerliches.

STANDARD: Sich über den Mann und dessen Körper künstlerisch lustig zu machen, das war neu. Gab es viel Gegenwind?

Bertlmann: Heute sagt man, dass ich damals mutig war. Für mich war es eine normale, ironische Reaktion auf das Gockelgehabe im Kunstbetrieb. Als Valie Export Mitte 1975 eine Frauenausstellung in der Galerie nächst St. Stephan organisierte, wollte ich dort abstrahierte Hodenbilder ausstellen. Davon hat sich der Galerieleiter Oswald Oberhuber provoziert gefühlt. "Ich fühle mich exhibitioniert", sagte er und verlangte, dass das Bild entfernt wird. Bis heute bin ich dankbar für diese Reaktion: Ich habe die Reihe Exhibitionismus genannt, und diese hängt mittlerweile in der Tate in London.

STANDARD: Hat Sie die Ablehnung des Kunstbetriebs er- oder entmutigt?

Bertlmann: Ich war natürlich manchmal frustriert, wenn ich zu Ausstellungen nicht eingeladen wurde. Ich hatte keine eigene Galerie, zumindest keine im kommerziellen Bereich. Man hat mich schlichtweg nicht gekannt.

STANDARD: Selbstdarstellung gehört zum Kunstbetrieb. Warum haben Sie nicht versucht, mitzuspielen?

Bertlmann: Das ist eine Mentalitätsfrage. Ich habe 50 Jahre intensiv gearbeitet und dabei absolute Stille gebraucht. Ich hatte nicht mal ein Radio, war ein "lonely tramp". Heute rate ich den vielen jungen Frauen, von denen ich umgeben bin, Lobbying zu betreiben, sich gegenseitig zu unterstützen.

STANDARD: Sie haben sich anfangs nicht in Sexshops getraut. Dort besorgten Sie sich die Materialien für Ihre Kunst.

Bertlmann: Sie wissen nicht, wie das war: Ein Sexshop war für Frauen nicht zugänglich. Meinen Mann musste ich in Herren-WCs schicken, um Kondome für meine Kunst zu besorgen. In Sexshops fand ich später alles, was ich brauchte: Gummipuppen, Dildos, Schnuller, Gleitgel. Sexshops waren für mich unglaublich inspirierend, die Dinge waren lächerlich, grauslich, aber auch haptisch interessant.

STANDARD: Ihr Partner hat Sie immer unterstützt bzw. Sie ihn. War das eine Notwendigkeit, um in Ruhe Ihr Werk schaffen zu können?

Bertlmann: Ja, absolut. Ich spreche immer von einer Gnade, die über meinem Leben liegt. Zum einen konnte ich eine Partnerschaft leben, die mich sehr inspiriert und stützt, und zum anderen eine künstlerische Arbeit in Freiheit und Freude umsetzen. Dass sich jetzt auch noch der Erfolg einstellt, freut mich besonders.

STANDARD: Die Bespielung des österreichischen Pavillons ist der Höhepunkt Ihrer bisherigen Karriere. Kommissärin Felicitas Thun-Hohenstein kündigte an, dass Ihr Werk ein Kommentar zum Pavillon sein wird. Verraten Sie mehr?

Bertlmann: Der Pavillon hat Charakter. Seine Geschichte, auch jene der Giardini, war mir nicht so wichtig. Aber ich wollte ihn vereinnahmen, ihn umarmen, von der Frontseite, von innen, auch den Garten. Schließlich habe ich erstmals in der Geschichte die Gelegenheit, ihn als Frau alleine zu bespielen. Mehr verrate ich nicht.

STANDARD: Wie viele Penisse zeigen Sie?

Bertlmann: Vielleicht zeige ich diesmal nur indirekt welche. (lacht) (Stephan Hilpold, 5.5.2019)