Vom Parthenon-Fries inspiriert: In Romeo Castelluccis Performance "Le Metope del Partenone" geschehen schreckliche Unfälle.

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Bilderstürmer: der italienische Regisseur Romeo Castellucci.

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So unterschiedlich seine Arbeiten sind: Es ist die Macht der Bilder, die einen kleinsten gemeinsamen Nenner ergibt. Oftmals kaum erträgliche, von lauten Klängen und eindrücklichen Lichtlandschaften akzentuierte Szenenbilder, die in ihrer Monumentalität eine Auseinandersetzung einfordern. Leichte Sachen sind nicht Romeo Castelluccis Ding. Der 1960 im italienischen Cesena geborene Regisseur ist mit seiner Theatercompagnie Societas Raffaello Sanzio seit mehr als drei Jahrzehnten Gast großer europäischer Festivals. Legendär seine Version von Dantes Inferno in Genf oder von Glucks Orfeo ed Euridice bei den Festwochen, bei der er mit einer Wachkomapatientin arbeitete.

STANDARD: Vergangenen Sommer inszenierten Sie eine hymnisch gefeierte "Salome" bei den Salzburger Festspielen, jetzt kommen Sie mit zwei Performancearbeiten zu den Festwochen. In welchem Verhältnis stehen Ihre Performances zu Ihren Theater- und Opernarbeiten?

Castellucci: Der Zugang ist ein komplett anderer. Beide Stücke, die ich heuer bei den Festwochen zeige, sind ein immersives Erlebnis für den Zuschauer. Anstatt auf Theatersesseln Platz zu nehmen, muss sich der Besucher im Raum positionieren. Er hat dadurch eine ganz andere Nähe zum Geschehen, da ist kein Sicherheitsabstand. Es kann gefährlich werden!

STANDARD: Warum das?

Castellucci: Weil sich der Besucher im Angesicht einer Katastrophe befindet. Bei Le Metope del Partenone passieren schreckliche Unfälle. Und der Besucher muss entscheiden, wie viel Nähe er erträgt. Da gibt es keine Theaterarchitektur, die ihn schützen kann.

STANDARD: Warum ist Ihnen das wichtig?

Castellucci: Es ist eine moralische Entscheidung, die der Besucher treffen muss. Was mache ich mit meinem eigenen Körper, was mute ich ihm zu?

STANDARD: Wie reagieren die Zuschauer normalerweise?

Castellucci: Sie gehen entweder auf große Distanz oder kommen ganz nahe. So etwas wie Gleichgültigkeit gibt es selten.

STANDARD: In Ihren künstlerischen Arbeiten hat der Zuschauer selten die Möglichkeit, sich dem Geschehen auf der Bühne zu entziehen. Warum erlauben Sie es ihm diesmal?

Castellucci: Normalerweise bevorzuge ich traditionelles, frontales Theater. Bei den zwei Performances, die ich in Wien zeige, ist es eine dramaturgische Entscheidung. Es ist eine Konfrontation mit dem Tod, mit dem eigenen Tod und gar nicht so sehr mit jenem der anderen. Ein sehr dunkler Spiegel, in dem man da blickt. Die Unfälle, die passieren, passieren so auch im realen Leben.

STANDARD: Wie entwickeln Sie Ihre Performances?

Castellucci: Bei Metope del Partenone ging ich, wie der Name schon sagt, von antiken Friesen aus. Sie sind das Fundament der westlichen Ästhetik. Auf dem Parthenon-Fries gibt es viele Darstellungen von Gewalt und Tod. Sie sind die Krone der Schönheit. Während man im traditionellen Theater meist von einem Text ausgeht, habe ich in diesem Fall einige Szenen aus dem Fries ausgewählt. Wir wissen nicht, was sie genau bedeuten oder wie es dazu kam, wir sehen nur die Folgen. Bei Metope del Partenone sind Ärzte die Hauptdarsteller.

STANDARD: Es geht nicht um Unfälle, sondern um Rettung?

Castellucci: Die Ärzte schaffen es aber nicht. Das ist eine Allegorie unseres Lebens. Nach jedem Unfall wird auf eine Wand ein Rätsel projiziert – und der Besucher muss es lösen. Der emotionalen Zumutung folgt eine intellektuelle. Wie wenn eine Sphinx auftreten würde, die die Frage nach Leben und Tod stellt. Sie sehen, es ist ein sehr griechisches Stück.

STANDARD: In Ihrer Karriere spielen Stoffe, die auf antiken Mythologien basieren, eine wichtige Rolle. Warum?

Castellucci: Ich habe keine archäologische Sichtweise auf das griechische Theater. Es ist wichtig, weil es am Anfang aller Dinge steht. Es drückt die wichtigsten Fragen von uns Menschen in essenziell verdichteter Weise aus.

STANDARD: Haben Sie auch beim zweiten Wiener Stück, "La vita nuova", einen ähnlichen Zugang gewählt?

Castellucci: Nein, er ist komplett anders. Die Zuschauer finden sich auf einem Parkplatz mit vielen Autos wieder, mitten in der Nacht. Eine kleine Gruppe schwarzer Schauspieler spricht über das Leben und die Zukunft. Einer von ihnen schlägt vor, den Weg des Ornaments zu wählen.

STANDARD: Des Ornaments?

Castellucci: Ich beziehe mich auf den Philosophen Ernst Bloch. Verkürzt gesagt, meinte er, dass man sich ein gewisses Handwerkszeug zurechtlegen muss, um das Leben besser zu machen. Dekoration, das Ornament ist ein solches Werkzeug.

STANDARD: Teile der Moderne stellten sich vehement gegen das Ornament, man denke etwa an Adolf Loos. Warum eine Renaissance des Ornaments?

Castellucci: Gerade in Wien weiß man, dass das Ornament selbst Kunst sein kann. Damit wird auch die Unterscheidung von klassischer Kunst und populärer Kunst aufgehoben. Es gibt in dem Stück eine Referenz zu Afrika, deswegen die schwarzen Schauspieler. Dort sind diese Unterscheidungen im täglichen Leben nicht so wichtig. Aber das ist nicht der einzige Grund.

STANDARD: Weil es in Ihren Stücken immer eine ganze Reihe von Gründen gibt?

Castellucci: So ist es. Es interessiert mich nicht, einen einzigen Grund anzuführen. So funktionieren meine Stücke nicht. Sie sind selbst eine Sphinx. (Stephan Hilpold, 29.5.2019)