Susie Wolff: "Die Formel E hatte in Hongkong ihr 50. Rennen, die Formel 1 in China ihr 1000. Unser Sport sollte natürlich wachsen."

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Die Elektroautos der Formel E sind größtenteils Standardisiert. Teams dürfen nur klar abgesteckte Bereiche, wie zum Beispiel die Software, entwickeln.

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Susie Wolff gehört zu den bedeutendsten Frauen im Motorsport. Die Schottin, seit 2016 Member of the Order of the British Empire, ist nicht nur Teamchefin, sondern auch Aktionärin des in Monaco ansässigen Venturi-Formula-E-Teams.

STANDARD: Vergangene Woche starteten die W Series. Was halten Sie von reinen Frauenrennen?

Wolff: Es ist positiv, dass mehr Fahrerinnen eine Chance bekommen. Im Motorsport gibt's aber keine Geschlechtertrennung. Wenn du als Frau im Wettbewerb bestehen und dir damit deinen Lebensunterhalt verdienen willst, musst du mit Männern konkurrieren. Auch die Siegerin der W Series muss am Ende wieder gegen Männer antreten. Das ist der einzige Weg, um in diesem Sport erfolgreich zu sein.

STANDARD: Welcher Pfad ist heute der beste in die Formel 1?

Wolff: Der beste Weg ist der bewährteste. Zunächst musst du erfolgreich im Kartsport sein, dann in die Formel Renault oder 3 gehen. Dann Formel 2 und Formel 1.

STANDARD: Wie schwer ist der Umstieg von der Formel 1?

Wolff: Nehmen wir Felipe Massa her (fährt für Wolffs Team Venturi, Anm.). Er hatte eine erfolgreiche Formel-1-Karriere. Seine Erfahrung bringt ein Team weiter. Natürlich bringt es etwas, wenn man weiß, wie man schnell fährt. Aber die Formel E ist anders. Man muss viel über Energiemanagement lernen. Auch der Renntag ist komplett verschieden. Trainingseinheiten, Qualifying und Rennen finden alle am selben Tag statt. Es bleibt nur wenig Zeit, Daten zu analysieren. Formel-1-Erfahrung ist also sicherlich ein Vorteil, aber die Formel E ist eine neue Herausforderung.

STANDARD: Apropos neue Herausforderung: Was haben Sie in Ihrem ersten Jahr als Teamchefin gelernt?

Wolff: In einigen Bereichen musste ich schnell lernen. Aber ich mag diese Herausforderung, raus aus der Komfortzone. Am liebsten habe ich aber noch immer den Renntag mit dem Team.

STANDARD: Wie fällt Ihr bisheriges sportliches Fazit aus? Edoardo Mortara ist Gesamtzehnter, Felipe Massa 16.

Wolff: Mortara hat im März in Hongkong das erste Formel-E-Rennen für Venturi gewonnen. Das hat unsere Arbeit bestätigt. Die Konkurrenz in der Formel E ist hart. Aber ich kümmere mich nie darum, was andere tun. Ich optimiere lieber unser Team. In drei Jahren soll Venturi beständig um Siege mitfahren.

STANDARD: Ihr Mann Toto Wolff ist ja auch Teamchef. Geben Sie sich gegenseitig Tipps?

Wolff: Er hat mit Mercedes fünfmal die Weltmeisterschaft der Formel 1 gewonnen. Es wäre vermessen, wenn ich ihm Tipps geben würde. Er hat mich schon oft inspiriert, aber ich muss jetzt meinen eigenen Weg und Stil finden.

STANDARD: In der Formel 1 gab es in dieser Saison vier Mercedes-Doppelsiege, in der Formel E acht verschiedene Sieger. Ist die Formel E spannender?

Wolff: Das wäre zu einfach gesagt. Autos und Plattform sind komplett anders. In der Formel 1 entwickelt jedes Team sein Auto von der ersten Schraube an selbst. Die Fahrzeuge in der Formel E sind größtenteils Standardisiert designt. Das Qualifying-Format sorgt dafür, dass nicht immer der schnellste Fahrer in der Pole-Position steht. Beide Rennserien bieten den Zuschauern unterschiedliche Unterhaltung.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die Atmosphäre?

Wolff: Die Events in der Formel E sind kleiner und haben meist weniger Zuschauer. Die Formel E ist kompakter, alles findet an einem Tag statt. Die Leute genießen nicht nur das Rennen, sondern auch den Veranstaltungsort.

STANDARD: Gerhard Berger bezweifelte unlängst, dass die Formel E nachhaltigen Erfolg haben wird. Was antworten Sie ihm?

Wolff: Gerhard hat unheimlich viel Erfahrung im Motorsport. Jeder hat das Recht auf die eigene Meinung. In manchen Punkten muss ich ihm sogar zustimmen. Ich war anfangs auch skeptisch.

STANDARD: Wieso? Als Sie noch bei Williams in der Formel 1 waren, haben Sie sogar ein Angebot von Venturi abgelehnt.

Wolff: Die Formel 1 war damals die Spitze im Motorsport. Die Formel E hatte ein komplett neues Konzept. Es war nicht immer klar, ob die Serie überlebt. Vor fünf Jahren hätte niemand geglaubt, dass einmal Elektroautos im Stadtzentrum fahren werden. Jetzt ist es Realität. Die Rennserie hat elf Teams und wächst beständig. Dieselgate hat die Entwicklung beschleunigt, auch die Autoindustrie setzt mehr auf E-Autos.

STANDARD: Wo muss sich die Formel E verbessern?

Wolff: Ich würde mir noch mehr City-Events wünschen. Wir sollten auch die Energieeffizienz mehr ausreizen. Diesen Pfad haben wir in diesem Jahr etwas verlassen. Aber die Formel E hatte in Hongkong ihr 50. Rennen, die Formel 1 in China ihr 1000. Wir sollten den Sport natürlich wachsen lassen.

STANDARD: Für Kritik hat aufgrund der dortigen Menschenrechtslage auch das Rennen in Saudi-Arabien gesorgt. Wie stehen Sie dazu?

Wolff: Ich verstehe die Kritik, aber der Sport soll sich nicht in die Politik einmischen. Der Sport soll Leute zusammenführen und nicht politisch motiviert agieren. Das können wir nicht zulassen. Außerdem waren keine Sanktionen verhängt, die dort ein Sportereignis verboten hätten. In diesem Sinne haben wir dort nichts Kontroverses gemacht.

STANDARD: Die Formel E hätte ein Zeichen setzen können.

Wolff: Es liegt nicht am Sport, eine politische Agenda zu verfolgen Am Ende des Tages ging es darum, ein großes Sportereignis zu veranstalten. Das haben wir gemacht, und von dieser Seite habe ich es unterstützt. Sport und Politik und alles andere müssen getrennt voneinander bleiben. (Andreas Gstaltmeyr aus Monaco, 10.5.2019)