STANDARD: Können Sie ausschließen, dass Sie auf Ihr Mandat verzichten, weil Ihnen die Zukunft der österreichischen Grünen dann doch wichtiger ist, als einer von 751 EU-Parlamentariern zu sein?

Kogler: Ich werde das Mandat mit Sicherheit annehmen. Wir haben ja in Österreich die Spitze erweitert. Insofern kann ich es guten Gewissens annehmen.

Wenn er als Abgeordneter ins Europaparlament geht, werden die österreichischen Grünen ihren Chef seltener sehen. Werner Kogler hat trotzdem "ein gutes Gewissen".
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STANDARD: Bis Sie den Grünen-Vorsitz abgeben, sind Sie zwei Jahre lang in einer Doppelfunktion. Da leidet doch entweder die Arbeit im EU-Parlament oder die Aufgabe bei den Grünen darunter.

Kogler: Ich werde im EU-Parlament nicht der sein, der in fünf Ausschüssen sitzt, ich erhebe nicht den Anspruch, dass die europäische Genesung nur an meiner Person liegt. Aber ich werde einen resoluten und zielstrebigen Parlamentarier abgeben. Zugleich werden wir die Rückkehr in den Nationalrat vorbereiten.

STANDARD: Das wird nur gelingen, wenn die Grünen bis zur nächsten Wahl möglichst sichtbar sind. Wie geht das, wenn ihr Chef zwischen Brüssel, Straßburg, Wien und Graz pendelt?

Kogler: Ich bin dafür bekannt, dass ich auch wochenends arbeite. Von 365 Tagen werde ich locker die Hälfte in Österreich sein. Das geht sich gut aus.

STANDARD: Das Klimathema dominiert die grüne Kampagne. Das Thema ist zwar hochbrisant – aber geht es den Wählern auch emotional nahe?

Kogler: Das hat sich sehr verändert in den letzten drei Jahren. Bei meinen Vortragstouren, an den Unis und in den Wirtshäusern, merke ich richtig, wie das berührt. Wenn man sich nämlich der Einsicht hingibt, dass wir die erste Generation sind, die die Folgen der Klimakrise spürt, und die letzte, die noch etwas tun kann – da kommt man den Leuten emotional sehr wohl nahe.

STANDARD: Gewählt werden dann trotzdem oft die industriefreundlicheren Parteien, auch in Österreich.

Kogler: Mag sein, aber bei der Wahl 2017 waren ja andere Themen dominant. Der Kanzler wird nicht durchkommen, wenn er jetzt weitere fünf Jahre irgendwelche Routen schließen will. Die Klimafrage ist bei jeder Umfrage erstes bis drittes Thema, bei den Jungen garantiert das erste.

STANDARD: Sie kandidieren fürs Europaparlament, für die Umsetzung der Klimaziele sind aber die nationalen Parlamente zuständig.

Kogler: Die EU-Kommission hat aber klare Vorgaben gemacht. Sie sagt: Wie ihr euer Ziel erreicht, ist uns wurscht – aber ihr müsst liefern, sonst gibt's Strafzahlungen aufgrund internationaler Vertragsverpflichtungen. Das werden wir noch stark spüren in Österreich. Die Kommission ist entschlossen, das österreichische Konzept als völlig ungenügend zurückzuweisen. Die Gefahr, dass wir zehn Milliarden zahlen müssen, ist real.

STANDARD: Was muss beim Verkehr passieren, damit wir die Klimaziele erreichen?

Kogler: Wir haben in Österreich eine enorme Zunahme bei den Verkehrsemissionen. Allein bei uns in der Steiermark hat sich der Transitverkehr in wenigen Jahrzehnten verdreifacht – das ist völlig absurd. Was sind also die grünen Konzepte: Die Lkw-Maut hinauftreiben, soweit es geht. Ab 2030 Neuzulassungen der Pkws nur noch abgasfrei. Die Dieselbegünstigung gehört sofort weg – viele Lkws fahren durch Österreich nur deshalb, weil sie hier billigeren Diesel kriegen? Das größte Dieselprivileg ist aber das von Schiffsdiesel und Flugbenzin. Die zahlen ja null, werden teilweise sogar subventioniert! Na das gehört geändert.

STANDARD: Lkw-Maut, teurer Diesel, teures Fliegen – am Ende steigen die Preise, die Konsumenten werden sich bedanken.

Kogler: Ja, sie werden sich bedanken – aber weil sie höhere Nettolöhne kriegen. Unsere Idee ist ja eine richtige Steuerreform: Wenn der Milliardenbetrag X durch Ökologisierung des Steuersystems hereinkommt, wenn wir also das Böse belasten, dann wird der gleiche Betrag X über die Einkommenssteuer zurückgezahlt an die kleinen Einkommensbezieher. Wer keine Lohnsteuer zahlt, kriegt einen Transfer. Das ist 100-mal durchgerechnet worden. Insofern seh ich das locker. Das bringt übrigens auch wirtschaftliche Chancen. Mit den zehn Milliarden, die ich mir an Strafzahlungen erspar, mach ich viel. Chancenreiche Umweltinvestitionen sind das Einzige, wo Europa China noch überholen kann. Deshalb predige ich: Fürchtet euch nicht! Im Gegenteil! Wer vorn investiert, ist vorn dabei.

STANDARD: Stichwort Agrarförderungen: Wenn es gar keine Subventionen mehr gibt, zahlen die Kleinen drauf.

Kogler: Das sage ich nicht, dass es gar keine Subventionen mehr geben soll.

STANDARD: Sarah Wiener hat es gesagt.

Kogler: Die ist da verkürzt wiedergegeben worden. Wir sagen: In der siebenjährigen Budgetperiode fahren wir die Agrarsubventionen um die Hälfte runter. Was Sarah Wiener meint, ist klar: nicht mehr in die falsche Richtung subventionieren, in die alten Systeme. Wir haben die Chance, in Europa auf nachhaltige Landwirtschaft umzustellen. Dann haben die, die das jetzt schon manchen, wenigstens keinen Nachteil mehr gegenüber gigantischen Tierfabriken und denen, die die Umwelt vergiften.

DER STANDARD führte mit Kogler im April ein Video-Interview, in welchem er über das Überleben der Menschheit und Großbritannien spricht.
DER STANDARD

STANDARD: Sie illustrieren Ihren Plakatspruch "Wer braucht schon Frieden?" mit dem Bild eines Panzers. Ein Symbol – oder warnen Sie tatsächlich vor einem militärischen Konflikt in Europa?

Kogler: Beides. Einerseits geht es um den sozialen Zusammenhalt. Wenn Arme immer ärmer und Reiche immer reicher werden, fliegen uns irgendwann die Trümmer um die Ohren. Ich scheue mich nicht davor, von der Heimat Europa zu sprechen und den Werten, die hier zu verteidigen sind. Ich bin also auch ein Heimatschützer, wenn man so will. Andererseits: Wenn der scharfgestellte Nationalismus zu wirken beginnt, Deutschland den Deutschen, Frankreich den Franzosen, ist die Kriegsgefahr nicht weit weg. Die Rechten reden von ihrem "Europa der Vaterländer" – na, sollen diese Vaterlandskrieger einmal auf die Soldatenfriedhöfe gehen.

STANDARD: Was meinen eigentlich die Grünen, wenn sie eine Kontrolle der europäischen Außengrenzen fordern?

Kogler: Erfassen und registrieren an den Außengrenzen.

STANDARD: Wo liegt diese Grenze aber im Fall der Mittelmeer-Bootsflüchtlinge: in Sizilien? Oder in Libyen?

Kogler: Die Außengrenzen sind ja auch im Meer völkerrechtlich normiert. Die Seenotrettung muss wiederhergestellt werden. Und auch auf dem Meer gilt: Wer aufgegriffen wird, muss ein faires Verfahren bekommen.

STANDARD: Die Menschen sollen also weiterhin in Schlepperboote steigen müssen, um nach Europa zu gelangen?

Kogler: Nein. Das Schlepperunwesen ist uns ein Dorn im Auge. Deshalb muss man anfangen, legale Fluchtwege herzustellen.

STANDARD: Aber wie konkret sollen diese legalen Fluchtwege aussehen?

Kogler: Wir hatten das Konzept des Botschaftsasyls. Das wird nicht immer gleich gut funktionieren, und ich will es auch nicht so hochhängen, weil es illusorisch ist, dass damit das Leid in vollem Ausmaß gelindert wird. Jeder, der behauptet, dass es einfache Lösungen gibt, ist ein Scharlatan.

STANDARD: Wo soll der Antrag behandelt werden?

Kogler: Auf europäischem Boden. Wenn sie am Meer aufgegriffen werden, sind sie da. Nach Libyen zurückschicken geht nicht: Da ist Vergewaltigung und Folter nicht weit.

STANDARD: Wie können die Menschen aus den – von der EU mitfinanzierten – libyschen Lagern befreit werden ?

Kogler: Das hab ich nicht zu Ende gedacht. Was die Menschen aus Subsahara-Afrika betrifft, müssen die Fluchtursachen bekämpft werden. Die EU ruiniert mit ihren Knebelungsverträgen und den subventionierten Agrarexporten die Einkommensquellen der lokalen Bevölkerung.

STANDARD: Würden die Grünen den Ausbau der EU-Grenzkontrolle stoppen?

Kogler: Mit dem Ausbau hab ich überhaupt kein Problem, wenn das funktioniert – im Gegenteil. Ich red ja von Kontrolle – nicht wie Salvini oder Strache, die absichtlich Leute ersaufen lassen wollen oder mit Waffengewalt zurückdrängen. Ich bin für Frontex, wir brauchen es für Kontrolle und Registrierung. Aber schauen wir die Zahlen an: Die Asylanträge in der EU sind auf dem Niveau von 2010. Jetzt kommen schon weit weniger, als Europa brauchen würde, um überhaupt stabile Bevölkerungszahlen zu haben. Das Thema wird völlig verhunzt – auch zum Leidwesen der Wirtschaft. Wir schaffen ja nicht einmal den nötigen Zuzug von Arbeitskräften. Wir schaden uns selber, vor lauter türkis-blauer Hysterie. Probleme herbeireden und nicht an Lösungen interessiert sein – das zieht sich durch. Das ist wirklich verantwortungslos. (Maria Sterkl, 11.5.2019)