In der Kopftuchdebatte wird Musliminnen häufig unterstellt, das Kopftuch nicht aufgrund einer individuellen Entscheidung zu tragen, sondern um eine politische Gesinnung widerzuspiegeln.

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Religionskritik als Rassismus? Dieser Frage widmeten sich Universitätsprofessor Nikolaus Dimmel und Fachhochschulprofessor Roland Fürst im Gastkommentar. Ihrer Kritik am Report der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus antwortet Rumeysa Dür-Kwieder, Mitarbeiterin ebendort. Eine Replik zu dieser Debatte gibt es auch von Sozialethikerin Ingeborg Gabriel.

Die Arbeit der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus wurde an dieser Stelle von Nikolaus Dimmel und Roland Fürst als intransparent dargestellt, ja sogar die Existenz von antimuslimischem Rassismus überhaupt infrage gestellt. Letzteres stellt nicht nur eine Verhöhnung der Erfahrungen von Betroffenen dar, sondern widerspricht auch Erkenntnissen aus wissenschaftlichen Studien. Die Vorwürfe zeigen auf, wie notwendig jede Arbeit im Bereich der Aufklärung und Sensibilisierung für Rassismus ist. Sie sind auch ein besorgniserregender Hinweis darauf, dass das Narrativ von der "Bedrohung durch 'den' Islam" bereits so verankert ist, dass Angriffe gegen Angehörige dieser Religion als Religionskritik beinahe legitimiert werden. Die Dokustelle, die im Übrigen dieselben Methoden der Datensammlung verwendet wie sämtliche anderen Antidiskriminierungsstellen in Österreich, hat keinen einzigen Fall aufgelistet, der sich im Bereich von Religionskritik bewegt hätte.

Es kann nicht sein, dass Täterinnen und Tätern, die auf offener Straße attackieren, beleidigen und Sachgut beschädigen, die Legitimierung gegeben wird, ihren Hass auszuleben, und Betroffene für den Hass in der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden.

Verbreiteter Alltagsrassismus

Das Absprechen der rassistischen Erlebnisse von Betroffenen ist eine Ausprägung von Alltagsrassismus. Personen, die ohnehin einer Minderheitengruppe angehören, die marginalisiert werden und die stark von sozialer Ungleichheit betroffen sind, berichten häufiger davon, dass ihre Erfahrungen in der Öffentlichkeit bagatellisiert werden. Es wird ihnen vorgeworfen, aufgrund ihrer Kleidungswahl, ihres Lifestyles oder ihrer Identität schuld an ihrer Misere zu sein, und es wird somit das Bild erzeugt, dass Rassismus an ihnen verständlich ist. Häufig werden sie in ein Rechtfertigungseck gedrängt, wo sie sich zu Weltgeschehnissen positionieren müssen.

Politische Gesinnung

Bei anderen Themen werden sie erst gar nicht gehört. In der Kopftuchdebatte etwa wird Musliminnen häufig unterstellt, das Kopftuch nicht aufgrund einer individuellen Entscheidung zu tragen, sondern um eine politische Gesinnung widerzuspiegeln. Muslimischen Frauen wird mit solchen Aussagen sowohl ihre Religiosität als auch ihre Individualität abgesprochen. Auch das Burkiniverbot, das Verbot von Ganzkörperbadeanzügen in einigen Bädern, ist ein konkretes Beispiel einer Fremdbestimmung der Kleidungswahl der Frau.

Betroffenen eine Stimme geben

Einer der Grundwerte der Dokustelle ist die Verteidigung der Meinungsfreiheit, gerade weil es sich um ein schwer erkämpftes Grundrecht handelt und die Voraussetzung für eine pluralistische Gesellschaft bildet. Religion kann kritisiert und Überzeugungen und Handlungen von gläubigen Menschen können abgelehnt werden. Wird jedoch diese Kritik missbraucht, um zu diskreditieren und zu delegitimieren, kann das nicht mehr toleriert werden. Bei Aussagen, die Hass und Feindseligkeit gegenüber Menschen, Gemeinschaften und Institutionen fördern oder gar zu Gewalt gegen diese aufrufen, hilft die Dokustelle den Betroffenen bei der Aufzeichnung dieser Fälle. So wie jede andere Antidiskriminierungsstelle gibt sie Betroffenen eine Stimme. Von ihr zu verlangen, den Standpunkt des Täters oder der Täterin einzuholen, ist genauso absurd, wie wenn man einer von Gewalt betroffenen Frau sagt, man brauche, um sie ernst zu nehmen, die Meinung des Täters. (Rumeysa Dür-Kwieder, 15.5.2019)