Wo geht's hier zur Medienzukunft – für ORF, "Krone", "Heute" und Co? Antworten liefert die große Etat-Branchenumfrage.

Foto: Newald, Collage STANDARD

Wie geht es weiter mit Österreichs Medien? Mit dem ORF, mit Krone und Heute und Österreich und der Kleinen Zeitung und den Salzburger Nachrichten, mit dem STANDARD und der Presse? Österreichs ältester und größter Online-Branchendienst derStandard.at/Etat feiert am Montag seine ersten 20 Jahre im Netz. Da wollten wir von Österreichs Medienmachern wissen: Wie geht es die nächsten 20 Jahre weiter – was erwartet die Branche?

"Wer wird die Greta Thunberg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein? Wir, die wir heute unsere Werte und Ziele durch die Finger rieseln sehen, werden uns dann am Wegrand beschämt fragen, warum es uns nicht gelang, das Ruder zu wenden." (Aus der Etat-Umfrage – mehr hier)

271 Menschen aus der Kommunikationsbranche haben wir im März und April angeschrieben und um Antworten zu dieser Medienzukunft gebeten – von Medienminister Gernot Blümel bis ORF-Chef Alexander Wrabetz, von Christoph Dichand (Krone) und Eva Dichand (Heute) bis Eugen B. Russ (Russmedia), Armin Thurnher (Falter), Oscar Bronner (DER STANDARD) und Armin Wolf (ORF), von Florian Gschwandtner (Runtastic) bis David Schalko (Superfilm) – die komplette Liste, wen wir gefragt haben, finden Sie hier auf derStandard.at/Etat.

88 antworteten zur Medienzukunft

88 davon haben geantwortet – und wir wissen nicht, wer das war. Denn: Wir wollten möglichst offene Antworten auf unsere Fragen und haben deshalb zu einer anonymen Onlineumfrage eingeladen.

Offene Antworten auf sieben Fragen: Wie wird sich Österreichs Medienlandschaft in den nächsten 20 Jahren entwickeln? Welche Menschen werden sie bestimmen? Woher beziehen die Menschen ihre Infos, womit unterhalten sie sich? Braucht es noch Journalismus und wie finanziert er sich? Was ist der ORF in 20 Jahren? Und: Was gehört sofort geändert?

Das war die einfachste Frage in der – methodenbedingt nichtrepräsentativen – Branchenumfrage. Mit den eindeutigsten Ergebnissen. Was also gehört geändert?

Sofort ändern: Öffentliche Werbemillionen

Öffentliche Werbegelder kommen hier in der Etat-Umfrage am häufigsten – es geht um dreistellige Millionensummen pro Jahr, wenn man alle öffentlichen Auftraggeber von Ministerien bis ÖBB zusammennimmt. Harte Worte fallen in der Umfrage – mehrfach "Inseratenkorruption", "über Werbung gekaufte Redaktionen" und "Mitbestimmung von redaktionellen Inhalten durch Inseratenkauf".

Fast ebenso oft kommt die Forderung nach einer neuen Medien- und Presseförderung – oft statt der öffentlichen Werbebuchungen: "Saubere Presseförderung statt Inseratenkorruption durch die Politik – gilt vom Kurz-freundlichen Boulevard bis zum Falter", schreibt eine/r unter die Sofortmaßnahmen. Die häufigsten Vorschläge hier: Medienförderung auch für digitale Medien, für Qualität, Anschubfinanzierung für journalistische Projekte und Medieninnovationen, Förderung nach medienethischen Kriterien, geknüpft an Teilnahme am Presserat. Aber auch ein Ende der Medienförderungen wird angeregt.

Je drei Teilnehmer/innen verlangen sofort schärfere Gesetze und Maßnahmen gegen Medienkonzentration, gleiche bis "drastische" Besteuerung internationaler Onlineriesen und ein Informationsfreiheitsgesetz. Zwei wünschen sich ein sofortiges Ende von anonymen Postings, eine/r davon "in Zeitungsforen".

Sofortmaßnahmen am ORF

Der ORF – Österreichs weitaus größtes und publikumsstärkstes Medienhaus – beschäftigt ähnlich intensiv in der Etat-Umfrage. Politischer Einfluss auf den ORF fällt besonders häufig auf die Frage nach sofortigem Handlungsbedarf, etwa: "der Missbrauch des ORF durch die Regierung – egal welche Parteien" dort gerade am Werk sind. Menschen mit Politnähe sollten nicht mehr die Mehrheit im ORF-Stiftungsrat stellen.

"Außer Streit stellen"

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nach Ansicht vieler reformiert, aber außer Streit gestellt werden. Einer oder eine wünscht sich möglichst gleich ein Ende der "leidigen Diskussion um den ORF. Man sollte den Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für eine funktionierende Demokratie anerkennen, der zählt doppelt in einem kleinen Land, und ihn staatsfern finanzieren. Und das Wichtigste: dann in Ruhe lassen." Auch hier gibt es Stimmen für Abschaffung.

Und die GIS?

Die Finanzierung des ORF beschäftigt weniger Menschen in der Umfrage – obwohl zuletzt heftig diskutiert wurde über den drängenden FPÖ-Wunsch, die GIS-Gebühr abzuschaffen und den ORF aus dem Budget zu finanzieren, der bei der Bundes-ÖVP durchaus auf Verständnis stößt.

"2020 zeigt die Life Corporation Amazon das erste Implantat, das Content direkt ins Hirn projiziert. Dagegen gibt es Proteste auf der ganzen Welt." (Aus der Etat-Branchenumfrage – mehr hier)

Da kommen einige Plädoyers für eine Haushaltsabgabe unabhängig vom tatsächlichen Empfang. Auch Stimmen für Budgetfinanzierung – "mit Verfassungsmehrheit abgesichert und valorisiert". Nachsatz: "Innerhalb von zehn Jahren sollte der ORF Jahr für Jahr zehn Prozent weniger Werbevolumen haben, bis er am Ende werbefrei ist." Nicht nur Antworten wie diese sprechen gegen überproportional viele ORF-Mitarbeiter in der Etat-Umfrage – und wenn, dann zeigen die Befragten realistischen Pessimismus.

Der ORF in 20 Jahren

Wie sieht die Branche die Zukunft des ORF in 20 Jahren? Nur ein Viertel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer kreuzte an, der öffentlich-rechtliche Rundfunk werde auch 2039 noch Österreichs größtes Medienunternehmen sein. Das ist er seit Jahrzehnten und auch heute – mit einer Milliarde Euro Umsatz doppelt so groß wie die größten privaten Medienunternehmen.

Der ORF wird laut Etat-Branchenumfrage 2039 noch immer großteils aus Gebühren finanziert, aber deutlich kleiner sein und auf österreichische und öffentlich-rechtliche Inhalte fixiert. Finanzierung aus dem Staatsbudget erwarten 17 der 88.

Unterhaltung: Netflix, Amazon, Disney und Youtube

Eindeutige Ergebnisse liefert die Etat-Branchenumfrage zur Zukunft der (medialen) Unterhaltung: Die liefern in 20 Jahren vor allem kostenpflichtige Streamingdienste wie Netflix, Amazon Prime oder Spotify, dahinter kostenlose Streamingangebote mit dem heutigen Beispiel Youtube aus dem Google-Konzern Alphabet. Lineares Fernsehen und Radio kreuzte hier nur ein Drittel der Streamingpropheten an.

"Der fiktionale Bereich wird von Konzernen wie Apple, Google oder Netflix fast komplett abgedeckt – ich rechne hier mit Fusionen und dem Entstehen noch dominanterer Multimediakonzerne": Fiction sehen einige in der Etat-Umfrage praktisch komplett zu Streamingdiensten wandern. Linearem Fernsehen bleiben Live-Events.

Hier sind wir schon mitten in den Textantworten auf die schwierigste der sieben Etat-Fragen: "Wie sehen Sie Österreichs Medienlandschaft in den nächsten 20 Jahren?" Ein kleiner Auszug der Antworten (eine große Auswahl im Wortlaut finden Sie hier auf derStandard.at/Etat):

Video bekommt laut Etat-Umfrage mehr Gewicht in der Unterhaltung, aber auch für den Medienkonsum insgesamt. Spracheingabe wird zum Standard – "kein Wischen, kein Klicken, keine Programmiersprache".

Gedruckte Magazine haben laut Etat-Umfrage in Österreich eher keine große Zukunft ("Der Falter löst auf längere Sicht das Profil ab").

Zu Tageszeitungen streuen die Antworten – wohl auch einiger Zeitungsmacher – weit. Von der gedruckten Zeitung als "Premiumprodukt" bis zum Auslaufmodell: "Morgen wird ein kleines bisschen schlechter als heute. Zumindest für die Print-Tageszeitungen. Sie werden sich denken, auch heute habe ich immer noch genug, auch wenn es weniger als gestern ist. Irgendwann wird dieses Spiel nicht mehr funktionieren."

Die einen bescheinigen großen Zeitungshäusern Zukunft – der Krone oder der Styria (Kleine Zeitung, Die Presse) –, andere regionalen. Das "beste" digitale Geschäftsmodell, etwa für 2029, wenn "große Zeitungen enden", sieht eine/r beim STANDARD.

DER STANDARD (Online und Print) wurde am häufigsten bei den Infoquellen der Zukunft ungestützt genannt. Das mag daran liegen, dass einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeladen waren. Oder daran, dass die Branche STANDARD liest – vielleicht auch wegen derStandard.at/Etat.

Auch dieser Branchendienst wird übrigens, wie viele Medien, laut Umfrage in Zukunft auch mithilfe künstlicher Intelligenz befüllt. Der Umfrageteilnehmer fügt freundlicherweise an, dass das ob der heute bei Etat handelnden Personen gar nicht so einfach werden dürfte.

Die große Etat-Branchenumfrage liefert aber auch breitere Formeln für den Zukunftserfolg in der Medienbranche. Zum Beispiel: "Medien, die sich ihren LeserInnen verpflichtet fühlen und in der Tiefe qualitativen Journalismus bringen, werden gewinnen."

Benko und Mateschitz

Breit und recht einhellig verweisen die Befragten auf einen längst greifbaren Trend: Unternehmen, politische Parteien und Interessengruppen werden selbst zu Medienunternehmen. Und: "Branchenfremde" Unternehmer, Milliardäre, vielleicht auch Mäzene werden Medienmacher und Medienbesitzer. Oder sind es längst.

"Mehr branchenfremde Firmen präsentieren Medienangebote. Unterhaltung kommt von finanzstarken Plattformen, Kommunikation ungefiltert direkt von Politik und Firmen." (Aus der Etat-Branchenumfrage – mehr hier)

Das zeigt sich auch deutlich auf die Etat-Frage: Wer wird Österreichs Medienbranche in den nächsten 20 Jahren bestimmen? Meistgenannt: Krone-Investor René Benko und Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz – und vielfach die Bosse der Tech-Riesen wie Jeff Bezos (Amazon).

Wer in Zukunft bestimmt, kann man aber auch so sagen: "Entscheidend werden Leute sein, die wir heute noch nicht kennen, die sich aber bereits jetzt über uns wundern. Wir sollten uns also dringend mit ihnen verbünden." (Harald Fidler, 17.5.2019)