Wien – Der Hauptdarsteller in den Videos ist zweimal derselbe. Und doch wirkt es so, als seien es zwei unterschiedliche Personen. Auf seiner Facebook-Seite hat Heinz-Christian Strache am Freitag seinen letzten Eintrag stolz seinem Einsatz für eine "Mindestpension von 1.700 Euro" gewidmet. Darunter ein Video mit ihm, klassisch im Anzug mit Krawatte, randlose Brille, seriös im Rollenfach als Vizekanzler der Republik Österreich. Und als Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs, der verkündet: "Ein fairer Anteil für die Ältere Generation. Wir lassen die Pensionisten nicht links liegen."

Ein paar Stunden später platzte eine innenpolitische Bombe. Ein anderes Video – ein ganz anderes Kaliber als die Social-Media-Filmchen, die HC, wie er sich selbst am liebsten nennt, sonst seinen 777.720 virtuellen "Freunden" vorsetzt – schwemmte da die politische Karriere Straches weg.

A b'soffene G'schicht

Aufgenommen im Sommer 2017, also vor der letzten Nationalratswahl, in einer Finca auf Ibiza, der bekannten Partyinsel, der Lieblingsurlaubslocation des FPÖ-Chefs. Zu sehen, ein anderer, ein ganz anderer Heinz-Christian Strache: In T-Shirt und Jeans, kettenrauchend, auf eine Couch hingefläzt, auf dem Tisch unterschiedlichste Stimmungsmacher in Flaschen, Gläsern, Dosen etc.. Er selbst sollte später zuerst von einem "feuchtfröhlichen" Abend, dann bei seiner Rücktrittspressekonferenz am Samstag von einer "b'soffenen G'schicht" und "typisch alkoholbedingtem Machogehabe" sprechen.

Heinz-Christian Strache bei seiner Rücktrittserklärung – unter anderen flankiert von Außenministerin Karin Kneissl und Verkehrsminister Norbert Hofer, der ihn beerben soll.
Foto: Heribert Corn

Anders als in Video 1 auf seiner Facebookseite wurde er in der Urlaubsatmosphäre von einer versteckten Kamera gefilmt. Straches Hauptgesprächspartnerin ist nicht zu sehen, sie wurde ihm als angebliche Nichte eines russischen Oligarchen mit viel Geld vorgestellt.

Im Hintergrund gibt sein politischer Ziehsohn Johann Gudenus – bis zur Nationalratswahl 2017 Wiener Vizebürgermeister, seit Regierungsantritt der türkis-blauen Koalition FPÖ-Klubchef im Parlament – den Dolmetsch. Der Absolvent der diplomatischen Akademie, der selbst im Russlandgeschäft tätig war, ist des Russischen mächtig. Hatte also die Rolle des Überwinders der "Sprachbarriere", die in einer ersten Stellungnahme gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" und dem "Spiegel", denen das Video zugespielt worden war, als Entlastungsargument in die Runde geworfen wurde.

Die "Süddeutsche Zeitung" und der "Spiegel" bekamen das "Ibizia-Video" zugespielt und berichteten zuerst darüber.
Foto: APA/Punz

Aber so viel Entlastung war gar nicht möglich, wie die Bilder und vor allem die gesprochenen Worte auf dem Tape Belastung darstellten.

Karrierebeginn als jüngster Bezirksrat in Wien

Die politische Barriere, die das Video, in dem Strache wortreich erklärt, wie die vermeintlich investitionswillige Russin eine Parteispende für die FPÖ am Rechnungshof vorbei loswerden könnte, war für Straches Karriere zu hoch. Nach 28 Jahren als FPÖ-Politiker – Strache war mit 21 Jahren jüngster Bezirksrat im Wiener Landtag geworden – endet nun seine Karriere also.

Strache, der sich strategisch geschickt an die Spitze der Freiheitlichen gebracht hat, scheint sich selbst überdribbelt zu haben. In einer erst in diesem Jahr erschienenen Biografie unter dem Titel "HC Strache. Vom Rebell zum Staatsmann" schreibt Autor Martin Hobek über den jungen Strache, dass der "lebhaft die Hauptthese des japanischen Samurai-Philosophen Miyamoto Musashi, über den er soeben ein Buch gelesen hat" so zitierte: "Zuerst muss man sich mit dem Feind verbünden, um den Gegner zu besiegen, und dann mit dem Gegner gemeinsam den Feind vernichtend zu schlagen."

2004 – angekommen an der Spitze der Wiener FPÖ: Heinz-Christian Strache nach seiner Wahl als neuer Landesparteiobmann.
Foto: APA/Pfarrhofer

Dicke Kohle, gute Freunde

Jetzt hat Strache zuvorderst einmal sich selbst vernichtend geschlagen. An einer Front, die er nicht als solche erkannt hat, in einer Art, in der er sich selbst jedoch in einer Weise zu erkennen gibt, die ihm viele seiner politischen Feinde schon in der Vergangenheit hinter vorgehaltener Hand als Zeichen für die mangelnde charakterliche Eignung für die Rolle in der ersten Reihe unterstellt haben: Strache gibt sich auf dem Video angeberisch, großmännisch, weltläufig, großspurig. Auf Du und Du mit den Reichen, auch mit Künstlern und vor allem den Wichtigen, in Russland, in China, auch aus Österreich: "Die Hunde haben dicke Kohle."

Über den illegalen Diamantenhandel der Russen weiß er, wie die "Süddeutsche Zeitung" aus noch unveröffentlichten Video-Passagen zitiert, genauso gut Bescheid wie über die beste Form der Geldanlage – und die schlechteste: "Kroatien ist eine Scheiße, eine Scheiße". Auch Serbien kann er nicht wirklich als Ort für die Aufbewahrung größerer Geldreserven empfehlen. Dort seien Freunden von ihm "die Firmen unter dem Arsch weggezogen worden", zitiert die SZ.

Dass er auf den noch unveröffentlichten Teilen des über sechs bis sieben Stunden gehenden Videos "geile" und "lässige" Leute sowie "Trottel" und mit Journalisten "die größten Huren auf dem Planeten" ausmacht, passt in das Stimmungsbild, zu dem auch das taxierende Einschätzen der umworbenen Geldgeberin in spe gehört, wenn Strache Gudenus zuraunt: "Bist du deppert, die ist scharf", heißt es in der SZ-Beschreibung des besagten Abends im Sommer 2017.

Strache als Jugendlicher bei Wehrsportübungen.
Foto: Süddeutsche Zeitung

Rechtsextreme Vergangenheit

Strache ist damit nicht über den Stein gestolpert, den er seit Jugendtagen vor sich herrollt -oder der ihn politisch immer wieder einholt: Er war nämlich als junger Mann tief in die rechtsextreme Szene verwickelt. Als Teenager – der die Handelsschule abgebrochen, eine Ausbildung als Zahntechniker absolviert, die Studienberechtigungsprüfung erworben und einen kurzen Abstecher an die Uni Wien gemacht hat, um dort Geschichte zu studieren, aber nie abzuschließen, sondern sich fünf Jahre als selbstständiger Zahntechnikunternehmer verdingte – verbrachte er einen Teil seiner Freizeit bei wehrsportähnlichen Übungen im Wald. Überliefert sind auch Szenen wie der "Drei Bier"-Gruß, mit dem Strache drei Hopfengetränke geordert haben wollte, den andere jedoch als "Kühnen-Gruß", die Abwandlung des verbotenen Hitlergrußes, interpretierten.

Auch privat führten ihn seine Wege buchstäblich in eine rechte Umgebung, konkret während der siebenjährigen Beziehung mit der Tochter des prominenten Neonazis Norbert Burger. Erst in der vergangenen Woche drohte der im Jänner aus der Haft entlassene Neonazi Gottfried Küssel mit Enthüllungen aus dieser Zeit. Strache habe "nie unsere Blutgruppe gehabt, aber im stillen Kämmerlein hat er den großen Nationalsozialisten gespielt. Da gab es einige lustige Auftritte, über die will ich jetzt aber nicht reden, vielleicht brauchen wir das nochmal ...," zitierte das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands aus dem Interview mit einem deutschen rechtsextremen Druckwerk.

Mit Mitte 20 saß Strache im Wiener Landtag, mit 35 war er Landesobmann der innerparteilich traditionell starken FPÖ Wien, ein Jahr später hatte er die Bundespartei übernommen, 2006 führte der die Freiheitlichen im Parlament als Klubchef, und nach einem weiteren Jahrzehnt hatte er es ins Vizekanzleramt geschafft, dank Sebastian Kurz, der die ÖVP übernommen hatte und nach der Wahl mit dem blauen Frontmann die türkis-blaue Koalition schmiedete.

Koalition mit einem, der "wie eine Hülle" wirkt

Strache wurde also Stellvertreter jenes Mannes, über den er, wie die "Süddeutsche Zeitung" aus einer Begegnung mit dem FPÖ-Chef in einem Innsbrucker Wirtshaus berichtet, noch im September 2017 – die Wahl war am 15. Oktober – gesagt hatte: Kurz wirke "wie eine Hülle" auf ihn. SPÖ-Chef Christian Kern sei ihm sympathischer. Strache deponierte damals jedoch auch: "Mein Anspruch war immer, nicht zu trennen, sondern Brücken zu bauen."

2008 – als Gegner bei der Nationalratswahl 2008, Jörg Haider als BZÖ-Chef, Heinz-Christian Strache als FPÖ-Chef.
Foto: Heribert Corn

In der Vergangenheit hat er hingegen sehr wohl gezeigt, dass er notfalls, wenn es um seinen politischen Aufstieg geht, auch Brücken abreißen kann. Auch jene zu seinem ersten politischen Idol Jörg Haider. In der Ära Schwarz-Blau wurde HC Strache nämlich zum schärfsten parteiinternen Konkurrenten Haiders, der die Geschicke der ÖVP-FPÖ-Regierung damals nur aus der Ferne als Kärntner Landeshauptmanns mitbestimmen konnte. Die Implosion der alten Haider-FPÖ beim Delegiertentreffen von Knittelfeld war maßgeblich auch Heinz-Christian Strache zu verdanken. Haider wich dem innerparteilichen Druck aus, indem er mit dem BZÖ einen neuen Ableger in orange gründete.

Partymacher, Rapper, Vizekanzler

Seit damals, seit 2005, war Strache mehr oder weniger unumstrittener Frontmann der FPÖ. Er stilisierte sich zum Rächer der Unzufriedenen, der sich Zu-kurz-gekommen-Wähnenden, der Frustrierten. Er gab den coolen Partymacher, zog durch Clubs und Discos, rappte in den Wahlkämpfen in Lederjacke und hinter verspiegelter Ray-Ban-Sonnenbrille. Strache wollte die Antithese zur klassischen Politik verkörpern. Später folgte eine Metamorphose auf öffentlicher Bühne: Habituelle Annäherung an das Bild des seriösen Politikers, leise, gewählte Worte. Der geschiedene Vater zweier Kinder aus erster Ehe heiratete wieder und wurde zu Jahresbeginn erneut Vater eines Sohnes.

Aus heutiger Sicht mutet es wie eine Ironie in dieser ironiefreien Geschichte an, dass der FPÖ-Chef vor der Nationalratswahl 2006 just folgende Zeilen "rappte": "Skandale, Bestechung, Korruption und Verrat, das sind die Eckpfeiler in unserem Staat. So sehen das die Herrschaften im Parlament. Es wird Zeit, dass da jemand dagegen anrennt. ... Dafür sind wir da, ich und meine Effen." Und weiter: "Die Wahrheit kommt irgendwann ans Licht, da nutzt es nichts, wenn der Kanzler spricht: ,Böse Menschen, rechte Recken'."

Der Inner Circle der rechten Recken

Zentraler Teil der ihn umgebenden "Recken" war ein Team, das den freiheitlichen Maschinenraum am Funktionieren hielt. Herbert Kickl, auch Straches "Hirn" bezeichnet, dichtete griffige Wahlkampfslogans rund um die bewährten Themenkomplexe gegen die EU, gegen den Islam, gegen die Ausländer, gegen "die da oben", gegen das "System" – der anderen, vor allem der großen Koalition, für die die "alte" ÖVP und die SPÖ. Harald Vilimsky, jetzt EU-Spitzenkandidat, und Norbert Hofer, Verkehrsminister, der gern in die Hofburg wollte, gehörten ebenfalls zum Inner Circle, auf den Strache baute und den er vertraute.

2016 – schon einmal sorgte Russland für Erklärungsbedarf. Im Dezember zogen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und der Wiener Vizebürgermeister Johann Gudenus eine "Bilanz der Moskaureise".
Foto: APA/Neubauer

Und eben Johann Gudenus, der zweite FPÖ-Mann in tragender Rolle des "Ibiza-Films", der nun ebenfalls seinen Rücktritt erklärte. Gudenus, vor allem aber Hofer nannte Strache im "Lockvogelvideo" übrigens als potenzielle Nachfolger an der Parteispitze. Damals, in dieser Sommernacht im Jahr 2017 auf der Baleareninsel, fügte er laut SZ-Darstellung hinzu, dass er eigentlich gedenken, die Partei noch die nächsten zwanzig Jahre zu führen.

Es wurden nicht 20 Jahre, sondern nur noch knapp zwei Jahre, bis Heinz-Christian Straches Politparty – buchstäblich und selbst eingestanden – blau auf einer Couch in Ibiza endete. (Lisa Nimmervoll, 18.5.2019)