Sebastian Kurz (rechts) und Heinz-Christian Strache haben sich mehr vorgenommen, als sie nun tatsächlich umsetzen können.

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Die Scheidung ist seit Samstag offiziell eingereicht. ÖVP und FPÖ haben wegen unüberbrückbarer Differenzen oder schlicht zerrütteter Verhältnisse fürs Erste ihre Trennung kundgetan. Zumindest bis zur Wahl im September. So wie bei "echten" Beziehungen muss das noch nicht heißen, dass es für immer "aus" ist. Manche Paare raufen sich nach einer Auszeit auch wieder zusammen. In der Politik ist die Sachlage zwar ein bisschen komplizierter, strukturell sind Koalitionen aber auch eine Art Lebensabschnittspartnerschaft mit Vertrag.

Das Eheversprechen vulgo Regierungsprogramm, dem ÖVP und FPÖ das Motto "Zusammen. Für unser Österreich." gegeben haben, war auf fünf Jahre angelegt. Ab jetzt vier Monate Untätigkeit bis zum Urnengang sind dem p. t. Publikum, um dessen Gunst bis dahin gebuhlt werden muss, eher nicht zuzumuten. Also wird Türkis-Blau bemüht sein, noch einiges von der selbstauferlegten To-do-Liste abzuarbeiten. Vor allem das, was es der Wählerschaft möglichst leicht macht, die Zuneigung auch bei der EU-Wahl zu zeigen.

"Für dieses wunderschöne Land"

Nicht ohne Grund präsentierten sich daher sowohl der gewesene Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bei seinem Abgang als auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei seiner "Genug ist genug"-Rede voller Tatendrang. Strache sagte: "Ja, es gibt noch viel zu tun. Denn wir wollen das Regierungsprogramm ja weiterhin umsetzen." Er bezog sich dabei auf "unsere gelebte Verantwortung für Österreich und seine Bevölkerung". Kurz wiederum nahm ebenfalls Bezug auf das "Reformprojekt" und den "Weg der Veränderung", den er für "dieses wunderschöne Land" eingeschlagen hat – mit der FPÖ.

Was aber können oder wollen die zwei in Trennung befindlichen Koalitionspartner bis zur Wahl noch als Beweis für eine produktive Koexistenz umsetzen?

Die Steuerreform ist zwischen ÖVP und FPÖ zumindest politisch akkordiert und die erste Etappe davon Anfang Mai auch in Begutachtung geschickt worden – darunter die Neuberechnung der Normverbrauchsabgabe für Neuwagen und der motorbezogenen Versicherungssteuer sowie Erleichterungen für Unternehmer.

Wann die weiteren Etappen in Begutachtung gehen, ist unklar. Es hieß "in guter Vorlaufzeit zu ihrem jeweiligen Inkrafttreten" – aus heutiger Sicht alles jenseits der Restamtszeit dieser Regierung. So sollten etwa 2020 die Krankenversicherungsbeiträge für Kleinverdiener sinken, ab 2021 wären auch niedrigere Lohnsteuern bzw. ab 2022 eine Senkung der Gewinnsteuern für Unternehmen angekündigt.

Wahlgeschenkzeiten

Da Wahlkampfzeiten oft zu Wahlgeschenkzeiten mutieren, wird sich zeigen, ob die türkis-blauen Koalitionäre vielleicht noch das eine oder andere steuerliche Goodie hineinpacken, für das sich die Wählerschaft dankbar zeigen könnte.

Nichts – oder noch weniger nichts als schon vor Ibiza-Gate, weil für die Zweidrittelmaterie kein dritter Partner im Parlament absehbar war – wird die Sicherungshaft, die der nun abhandengekommene FPÖ-Chef Strache noch vor drei Wochen beim EU-Wahlkampfauftakt der Freiheitlichen als blauen Politschlager angepriesen hat. Herbert Kickl, "der beste Innenminister der Zweiten Republik", werde Sicherungshaft und wieder Grenzschutz einführen, verkündete Strache da.

Die Abschaffung bzw. Umwandlung der Notstandshilfe in ein neues Arbeitslosengeld – daran entzündete sich schon im Vorfeld massive Kritik – fällt ebenfalls in die Zeit nach dem türkis-blauen Kurzzeitintermezzo. Im Regierungsprogramm ist die Rede von "degressiver Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe". Dieser Programmpunkt war eigentlich für Herbst terminisiert. Da aber könnte schon eine ganz andere Regierung am Ruder sein.

Masterplan auf dem Papier

Die muss sich wohl auch um das große Thema Pflege kümmern. Denn von der versprochenen Pflegereform ist bis jetzt nur ein "Masterplan" auf Papier vorhanden.

Dass sich ein "moderner Bundesstaat" samt "Entflechtung der Kompetenzverteilung" zwischen Bund, Ländern und Gemeinden in vier Monaten nicht realisieren lässt, ist den nun am Absprung befindlichen Koalitionären sicher bewusst. Die türkis-blaue Koalition reiht sich damit ein in eine Reihe von Vorgängerregierungen, die das versprochen und dann doch nicht umgesetzt haben. Das ist aber auch kein wirklich großer "Bringer" im Wahlkampf.

Geht es nach dem expliziten Wunsch des Bundespräsidenten, und das wird es, dann haben ÖVP und FPÖ bis zur Wahl Anfang September noch zwei reguläre Parlamentssitzungen (mit je zwei bzw. drei Tagen) im Juni und im Juli, um gemeinsame Beschlüsse zu treffen. (Lisa Nimmervoll, 20.5.2019)