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Sebastian Kurz hat sich geirrt. (Nicht nur er.) Und zwar gewaltig. Man kann dem Kanzler nicht einmal zugutehalten, er sei nicht gewarnt worden. Es gab ausreichend Hinweise, mit welch zwielichtiger Chaotentruppe er hier eine Koalition eingeht – und wohin das führen wird.

Die Freiheitlichen sind in vielerlei Hinsicht unzuverlässig. Sie haben ein Problem mit ihren deutschnationalen Burschenschaftern und grenzen sich nicht ausreichend von der rechtsextremen Szene ab. Sie sind korruptionsanfällig und politisch, aber auch in ihrer Persönlichkeitsstruktur unberechenbar. Und sie haben keinerlei Scheu, das hinreichend zu belegen.

Kurz hat alle Warnungen in den Wind geschlagen, und so steht er nach kaum eineinhalb Jahren türkis-blauer Regierungsarbeit da und ruft wieder einmal Neuwahlen aus. Er hat seinen Partner, der nunmehr sein politischer Feind ist, falsch eingeschätzt – und versucht daraus Profit zu schlagen.

Unverblümte Wahlkampfansprachen und Selbstlob

Kurz nutzt seine Auftritte als Kanzler, bei denen alle auf eine Erklärung der Geschehnisse warten, für unverblümte Wahlkampfansprachen und verliert sich in Selbstlob. Da ist er nicht der souveräne Regierungschef, sondern ein eifriger Machttaktiker und Parteipolitiker, ganz ohne Genierer.

Die beiden blauen Spitzenpolitiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, der eine Parteichef, der andere Klubchef, haben persönlich und politisch versagt. Das Ibiza-Video ist – bei allen heiteren Aspekten, die es auch gibt – ein beunruhigendes Dokument ihrer Skrupellosigkeit und Dummheit. Kurz hat diesen Leuten und ihrem Gefolge die Republik ausgeliefert, er hat ihnen wichtige Ressorts und alle Nachrichtendienste des Landes anvertraut. Er steht jetzt vor den Trümmern dieser Fehleinschätzung. Dass er daraus Profit schlagen will, indem er die FPÖ, gerade noch sein liebster Koalitionspartner, zu zertrümmern versucht, ist dreist, zeigt aber, welch kühler Machtmaschinist er ist.

Die FPÖ hängt nach den jüngsten Enthüllungen zwar schwer angeschlagen in den Seilen, will Kurz aber nicht ihr Haupt noch hinhalten, dass er darauf sein politisches Geschäft verrichten kann. Mit ihrer Weigerung, Herbert Kickl aus der Regierung zurückzuziehen, und der Drohung, notfalls alle Ämter zu räumen, tun sie ihm aber einen großen Gefallen: Kurz kann jetzt dort den Saubermacher spielen, wo er bis vor wenigen Tagen den Rechtsauslegern noch vertrauensvoll die Pferdestaffel und Geheimdienste überließ.

Auch Kickl steckt tief im Ibiza-Sumpf

Dass Kickl nicht im Amt bleiben kann, ist einleuchtend. Als langjähriger Generalsekretär und Strippenzieher seiner Partei steckt er ebenso tief im Ibiza-Sumpf wie Strache und Gudenus. Der Gedanke, dass Kickl als Innenminister gegen sich selbst ermitteln lässt, ist absurd. Dass die FPÖ das nicht einzusehen vermag, unterstreicht den politischen Irrsinn, der ihr zugrunde lag und liegt.

Dass Kurz schon Wahlkampfreden schwingt und unbestätigte Gerüchte verbreitet, also bereits im Sudelmodus ist, spricht nicht für seine Souveränität als Kanzler. Er muss die Situation in den Griff bekommen, die FPÖ aus den Ämtern, in die er sie gehievt hat, entfernen und mit dem Bundespräsidenten für eine halbwegs akzeptierte Übergangsregierung sorgen. Dann soll gewählt werden. Allein dieser Akt wird eine Befreiung für die Bürger sein. Die Frage, was Kurz danach macht, wenn er mit der FPÖ nicht kann und mit der SPÖ nicht will, wird den Wahlkampf würzen. (Michael Völker, 21.5.2019)