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Der Türkei droht in diesem Jahr ein noch tieferer Abschwung. An Erdoğan als Heilsbringer glauben viele nicht so recht. Zur Abwanderung von Investoren kommt Kritik im eigenen Land.

Foto: Reuters/UMIT BEKTAS

Die Türkei solle sich an die Regeln des freien Markts halten – das sagte Is-Bank-Chef Adnan Bali der Zeitung Cumhurriyet kürzlich. Was hierzulande harmlos und banal klingt, ist in der Türkei allerdings ein Affront gegen die Regierung. Und die Kritik wächst angesichts der immer schwieriger werdenden wirtschaftlichen Lage des Landes.

Sorge bereitet vielen Unternehmern und Wirtschaftsvertretern die zunehmend interventionistisch werdende Politik von Regierung und Zentralbank. Deren Reserven sind nach zahlreichen Stützungskäufen auf mittlerweile 14 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Sollte ein weiterer außenpolitischer Schock auf das Land zukommen, hat die Zentralbank nicht mehr viel Munition, um die Lira zu stabilisieren.

Stattdessen behilft man sich immer öfter mit kosmetischen, kurzfristigen Aktionen. So hat die türkische Bankenaufsicht Anfang der Woche Banken angewiesen, Transaktionen über 100.000 US-Dollar erst mit einem Tag Verzögerung zu bearbeiten. Auf Devisentransaktionen wurde zudem eine Steuer von 0,1 Prozent eingeführt. Analysten befürchten, dass alles das die Vorstufen zu größer angelegten Kapitalverkehrskontrollen sein könnten. Die aber würden das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort nochmals erschüttern.

Wachsende Kritik

Kein Wunder also, dass sich die Kritik seitens der Wirtschaft mehrt. Erst vor zwei Wochen legte sich der größte Industrieverband des Landes, Tüsiad, mit der Regierung an. Tuncay Özilhan, Vorsitzender der Anadolu Group, eines der größten Unternehmen des Landes, und Tüsiad-Präsident kritisierte die Regierung ungewohnt scharf: Weil die Zentralbank-Reserven zur Neige gehen und die Kaufkraft der Bürger immer geringer werde, verliere das Land an Wettbewerbsfähigkeit. Die türkische Wirtschaft dürfte dieses Jahr um 2,6 Prozent schrumpfen.

Präsident Tayyip Erdoğan blaffte umgehend zurück: "Ein Teil der Business-Community gibt bizarre Äußerungen von sich. Sie sollten ihren Platz kennen." Yiğit Bulut, ein enger Berater Erdoğans, formulierte noch schärfer und bezeichnete den Verband gar als Teil einer "ausländischen Verschwörung".

Noch mehr Unbill

Unterdessen droht der türkischen Wirtschaft eine weitere Eskalation. Da Ankara auf keinen Fall vom Kauf des russischen Abwehrsystems S-400 abrücken will, haben die USA ein Ultimatum gestellt, das in zwei Wochen abläuft. Danach sind Wirtschaftssanktionen sehr wahrscheinlich, die die Lira ein weiteres Mal auf Talfahrt schicken könnten.

Der türkische Aktienindex hat seit März 20 Prozent seines Werts verloren, während die türkische Lira seit Jahresbeginn um rund 15 Prozent nachgegeben hat. Momentan erhält man für einen Euro rund 6,8 türkische Lira. Aufgrund des hohen Leistungsbilanzdefizits ist das Land auf einen steten Zustrom von ausländischem Kapital angewiesen.

Verlorenes Investorenvertrauen

Die Investitionen aber sind aufgrund der politischen Krisen stark zurückgegangen, und dem seit vergangenen Sommer amtierenden Finanzminister Berat Albayrak ist es bisher nicht gelungen, verlorenes Investorenvertrauen zurückzugewinnen. Als einziger verlässlicher Geldgeber ist das Emirat Katar übrig geblieben. Das sicherte nach der Krise vom vergangenen Sommer zu, 15 Milliarden zu investieren. Der Kapitalbedarf Ankaras ist aber ungefähr viermal so hoch.

Immer wieder wird auch ein Engagement des Internationalen Währungsfonds ins Spiel gebracht. Die an Reformen und Sparmaßnahmen geknüpften Kredite des IWF gelten als das beste Rezept, um Schuldenkrisen zu entschärfen. Der letzte große Wirtschaftsaufschwung des Landes von 2002 bis 2008 fand nach einem solchen Programm statt. Bisher aber hat Erdoğan das rigoros ausgeschlossen. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 24.5.2019)