Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Dienstag, 30. April 2019.

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"So ist Österreich nicht!", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Tag nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos in einem Statement vor den Kameras.

DER STANDARD

Manchmal liest man Texte, die einem Jahre später noch in Erinnerung bleiben. "Silvio, besorg es uns!": Dieser Titel beeindruckt mich auch acht Jahre später noch. Damals wie heute ist er sehr treffend und birgt eine ganze Analyse in einem kurzen Satz. Geschrieben hat ihn die Italien-Korrespondentin der "Zeit", Birgit Schönau, im Jahr 2011. Darin analysiert sie die italienische Öffentlichkeit, die trotz zahlreicher Eskapaden – aktuell waren damals die sexuellen – Silvio Berlusconis noch immer zum damaligen Ministerpräsidenten hielt.

Korruption, Steuerbetrug, sexuelle Nötigung. Berlusconi konnte sich alles erlauben, die Italiener wählten ihn trotzdem. Oder gerade deshalb. Berlusconi gab seinen Wählern lange offensichtlich genau das, was sie brauchten und wollten: Er war das Abbild des perfekten, erfolgreichen Machos, und er unterhielt sie vorzüglich. Und er gab ihnen Hoffnung auf die Änderung des Status quo.

Auch wenn der Berlusconismus eine spezielle Ausprägung des Populismus ist, beobachtet man zum Beispiel auch auf dem Balkan eine ähnliche Facette der populistischen Politik: Immer wieder werden die gleichen Männer an die Macht gewählt. Obwohl sie erwiesenermaßen korrupt sind, sich bereichern, mit ehemaligen Kriegsverbrechern verkehren oder gar selber welche sind.

Das Volk wählt sie, weil sie Angst schüren, Angst vor den Nachbarn, Angst vor dem Einfluss aus dem Ausland. Neben der Angst haben diese nationalistischen Populisten ein weiteres Atout: die Politikverdrossenheit. Ihre Wähler glauben längst, dass Politik verlogen und korrupt sein muss und Machtmissbrauch unvermeidlich. Und weil derartiges Verhalten der Mächtigen in der Regel auch keine rechtlichen Konsequenzen hat, fühlen sich die Wähler in ihren fatalistischen Annahmen immer wieder bestätigt.

"So ist Österreich nicht!", sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Tag nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. So ist österreichische Politik nicht, so sind die Österreicher nicht. Als jemand, der seit Jahrzehnten das politische Geschehen auf dem Balkan verfolgt, beruhigte mich diese Ansage ungemein. So ist unser Land nicht. Hier gibt es noch demokratische Spielregeln und Grenzen. Wer dagegen verstößt oder sich bereit zeigt, in Zukunft Grenzen zu überschreiten und seine Macht zu missbrauchen, wird bestraft.

Eine Woche später, mit den Ergebnissen der EU-Wahl vor Augen, ist meine Ruhe dahin. Die Wähler sehen das offenbar anders als der Bundespräsident. Das Ibiza-Video ist den Resultaten der EU-Wahl nicht anzumerken, sagen die Analysten. Weder die FPÖ noch Sebastian Kurz' ÖVP – vergessen wir nicht, wer die FPÖ in die Regierungsverantwortung geholt hat – wurden vom Wähler abgestraft.

Die Ibiza-Affäre kann als Lackmustest für das Demokratieverständnis der Österreicher verstanden werden. Glauben wir, dass Politik so sein muss, wie die FPÖ sie versteht? Wollen wir an Machtpositionen tatsächlich allen Ernstes Politiker vom Schlag eines Heinz-Christian Strache oder Johann Gudenus sehen? Ich wünschte, der Bundespräsident würde recht behalten. (Olivera Stajić, 28.5.2019)