Jörg Haider 1986 beim Innsbrucker Parteitag.

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Lange tolerierte Sebastian Kurz die blauen Ausritte seines Regierungspartners, bis auch er die Koalition beendete. Im Gastkommentar erinnert sich der Journalist und Medientrainer Peter Pelinka.

Vorweg: Die Erkenntnis bezieht sich auf eine Bundesregierung. Natürlich kann es auf Bezirks-, Orts- oder auch Landesebene fallweise anders aussehen. Aber die FPÖ scheitert immer dann, wenn sie nachhaltig gesamtstaatliche Verantwortung tragen soll. Eine historische Nahbeobachtung.

Der 9. 9. 1986 sollte ein historisches Datum in der österreichischen Nachkriegsgeschichte werden. Als Journalist verfolgte ich in Innsbruck den Bundesparteitag der FPÖ mit. Es ging um eine Richtungsentscheidung: Sollte die kleine Regierungspartei ihre vor drei Jahren fixierte Koalition mit der SPÖ unter Kanzler Fred Sinowatz fortsetzen? Die Vorzeichen dafür standen nicht gut: Das Image der Regierung insgesamt hatte durch diverse Pannen stark gelitten, durch Probleme der SPÖ – Fortsetzung des Konfliktes zwischen Bruno Kreisky und Hannes Androsch, Krise der verstaatlichten Industrie, Nachwehen der Lucona- und Noricum-Skandale -, vor allem aber auch durch "blaue" Probleme.

Permanente Querschüsse

Der 1980 mit liberalem Anstrich angetretene Parteichef Norbert Steger kämpfte mit permanenten Querschüssen des nach Kärnten emigrierten Jörg Haider. Friedrich Peter hat mir später eine Mappe von Materialien übergeben, die – ähnlich vielleicht der Demontage Reinhold Mitterlehners – eine generalstabsmäßige Planung des Coups nachweisen sollten – was die Wandlung des verbitterten Haider-Hassers Steger zum Vertrauensmann des später erfolgreichen Haider-Kontrahenten Heinz-Christian Strache wenigstens psychologisch erklären könnte.

Von der Pressetribüne aus nahm ich die Ereignisse fassungslos wahr: einzelne "Sieg Heil"-Rufe, ein Delegierter, der seine NS-Devotionalien stolz zur Schau trug, schließlich den Triumphator Haider, der von seinen Kärntner Gesinnungsfreunden geschultert wurde. Der auf dem Parteitag mit einer Herzattacke zusammengebrochene Generalsekretär Walter Grabher-Mayer trat dann aus der Partei aus, ebenfalls die Gattin Stegers, der als "Jud" beschimpft und mit dem Vergasen bedroht worden war.

Rechtspopulistischer Erfolgscocktail

Die im Kern noch immer deutschnational-rechtsradikale Parteibasis hatte sich gegen die nur schwach verankerte liberalere Parteielite durchgesetzt. Die Folgen waren von den "Putschisten" nicht ausreichend bedacht worden. Der neue Bundeskanzler Franz Vranitzky löste die Regierungskoalition nach dreieinhalb Jahren auf, mit Haiders Zickzackkurs schienen ihm die Geschäftsgrundlagen dafür nicht mehr gegeben.

Haider setzte 14 Jahre seinen Kreuzzug gegen das tatsächlich in vielen Belangen erstarrte rot-schwarze "System" fort, ebenso skrupellos wie erfolgreich. Er ersetzte den antiquierten Deutschnationalismus durch einen "Österreich-Patriotismus", verlor die diesmal glaubwürdigen liberalen Elemente um Heide Schmidt, mixte aber aus Sozialdemagogie, Anti-EU- und Anti-Ausländer-Agitation einen rechtspopulistischen Erfolgscocktail, welcher nach der Wahl 2000 die FPÖ 2001 in die Regierung spülte, wenn auch nicht ihn als Person.

Historische Chance verpasst

2001 funktionierte eine starke blaue Regierungsbeteiligung nur knapp zwei Jahre: Diesmal revoltierte die FPÖ-Basis unter Anleitung Haiders und mit Unterstützung des aufstrebenden Strache in Knittelfeld direkt. Parteichefin Susanne Riess-Passer, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler sagten Adieu, Kanzler Wolfgang Schüssel ergriff Grasser und die Chance: Die ÖVP erhielt 42 Prozent und damit die Koalitionsfreiheit.

Danach versuchte er mit den kümmerlichen Resten der FPÖ weiterzumachen, der frustrierte Haider verhinderte auch das: Er spaltete die FPÖ und gründete das BZÖ, das an Schüssels Seite noch rascher verblasste als die Rest-FPÖ zuvor. Wieder hatten die Freiheitlichen eine historische Chance verpasst – nicht mit einem liberalen Anstrich, sondern mit einem rechtspopulistischen.

Instabiles Koalitionsgebälk

2018 schien die Ausgangslage günstiger denn je: Strache und Co hatten die Partei mit ihrem rechtspopulistisch-migrationsfeindlichen Oppositionskurs wieder hochgebracht, aber diesmal eine recht geschlossene Parteibasis hinter sich. Die Parteikader sind ideologisch gefestigterer im Sinne der deutschnationalen Burschenschaften, nicht so irrlichternd wie die flachen Haider-Buben – Andreas Mölzer statt Stefan Petzner.

Dazu stand ihnen mit Sebastian Kurz der kommunikationspolitisch geschickteste Politiker nach Kreisky & Haider bei. Lange tolerierte er alle rechtsradikalen Ausritte im Gebälk seines Koalitionspartners – bis zu dem in jeder Hinsicht untolerierbaren Ausflug des offenbar unersättlichen Vizekanzlers samt seinem rechtsextremen Klubchef. Die Geschichte wiederholt sich: Wieder hat ein Kanzler die "Schwächen" des blauen Regierungspartners ausgenutzt und eine Koalition aufgekündigt. (Peter Pelinka, 28.5.2019)