Berlin – Der offizielle Abgang war kurz und bündig. "Ich habe mich gerade eben im Parteivorstand der SPD verabschiedet. Ich bin zurückgetreten," sagte Andrea Nahles am Montagvormittag. Dann verließ sie das Willy-Brandt-Haus mit unbekanntem Ziel, wünschte den Journalisten aber noch: "Machen Sie's gut!"

Zurück blieb eine immer noch verstörte Spitze der SPD, die den Rücktritt von Nahles als Fraktions- und Parteivorsitzende verdauen, die Weichen für die Neuaufstellung stellen und nicht zuletzt um den Fortbestand der großen Koalition bangen muss. Ein bisschen weiter ist man beim Aufkehren der roten Scherben gekommen. Der Parteivorstand beschloss, dass drei Personen die SPD kommissarisch führen werden: Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz; Manuela Schwesig, Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern, und der scheidende hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel.

Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, und die Regierungschefin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, übernehmen.
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Letzterer, "TSG" genannt, hat dreimal versucht, in Hessen Ministerpräsident zu werden – es ist ihm weder 2009 noch 2013 noch 2018 gelungen. Er zieht sich eigentlich gerade aus der Politik zurück und will im Oktober einen Job als Vorstand in der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit annehmen. Doch solange er noch dabei sei, gelte für ihn das Motto "Einer für alle, alle für einen".

"Sehr emotional"

Malu Dreyer versuchte nach dem "sehr emotionalen Vormittag" samt Nahles-Verabschiedung Zuversicht zu zeigen: "Die Partei ist nicht kopflos und auch nicht führungslos." Allerdings räumte dann auch Schwesig freimütig ein: "Viele Menschen sind enttäuscht und haben sich abgewendet."

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Andrea Nahles ist nicht mehr SPD-Chefin.
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Überraschend war daraufhin die Absage des Trios in Bezug auf den neuen Parteivorsitz. Alle drei wollen nur übergangsweise zur Verfügung stehen, aber nicht bei der Wahl am nächsten Parteitag kandidieren. Bei Dreyer und Schäfer-Gümbel hatte man das so erwartet. Doch Schwesig, der ein gewisser Ehrgeiz nachgesagt wird, war im Namenskarussell immer wieder aufgetaucht. Sie betonte jedoch am Montag, ihr Platz sei in der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern. Finanzminister Olaf Scholz will auch nicht.

Wann es zur Neuwahl kommen wird, ist unklar. Eigentlich ist für Anfang Dezember ein regulärer SPD-Parteitag geplant, es gibt jedoch mehrere Anträge auf ein Vorziehen in den Herbst. Über den weiteren Fahrplan will der SPD-Vorstand am 24. Juni entscheiden.

Selfie-Zeit: Schwesig (li.), Dreyer und die zurückgetretene Nahles.
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Außenminister Heiko Maas (SPD) spricht sich für eine Doppelspitze – wie bei den Grünen – aus. Er brachte auch eine Urwahl ins Spiel: "Wir brauchen eine neue Parteispitze, die eine möglichst breite Unterstützung unserer Mitglieder hat."

Nebst der Vorbereitung des Parteitags hat das kommissarische Führungstrio ein großes Ziel: Die SPD soll in der großen Koalition bleiben. Doch natürlich wird in Berlin vor allem die Frage diskutiert: Hält die "Groko"? Oder wird die SPD-Basis so rebellisch, dass die Spitze dem Druck nachgeben und das Bündnis verlassen muss?

Warnung vor Neuwahlen

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wurde am Montag nach der Klausur ihrer Partei gefragt, ob sie sich auf Neuwahlen einstelle. Ihre Antwort: "Wir haben über dieses Szenario nicht diskutiert. Wie sich die SPD weiter verhalten wird, ist ihre Entscheidung." Intern soll "AKK" vor Neuwahlen gewarnt und darauf verwiesen haben, dass die Grünen in manchen Umfragen nun bereits auch vor der CDU liegen. Deren Chefin Annalena Baerbock stellte klar, dass es nicht einfach einen Wechsel zu Jamaika geben werde: Die Grünen seien kein "Reserverad, das einfach so einspringt".

Die Union hat ohnehin ein paar eigene Baustellen. Sie will sich nun verstärkt den Themen Digitalisierung, Klima und Umwelt, Mobilität sowie gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land widmen. Kramp-Karrenbauer räumte auch eigene Fehler ein. Sie habe Anfang Dezember die CDU übernommen, aber in den vergangenen Monaten habe es nicht genug "Mut und Veränderungsbereitschaft" gegeben. (Birgit Baumann aus Berlin, 3.5.2019)