Bei den Kindern sein – eine Erfahrung, die den Vätern niemand mehr nehmen kann. Richtig authentisch ist diese Zeit, wenn Väter in Karenz gehen.

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Das große Problem in Österreich ist, dass die Unternehmen am längeren Ast sitzen, meint Verena Florian.

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Nur jeder fünfte Vater geht derzeit in Österreich in Karenz und bezieht Kinderbetreuungsgeld – mit nur langsam steigender Tendenz. Dieses Jahr stieg die Prozentzahl um genau ein Prozent auf insgesamt 19,02 Prozent. "Viele Unternehmen glauben immer noch, alles breche zusammen, wenn ein Mann in Karenz geht", sagt Autorin und Coach Verena Florian. Im Interview erklärt sie, welche Anreize es von der Politik und den Arbeitgebern braucht, um diese Lebenserfahrung mehr Männern und ihren Familien zu ermöglichen. Für ihr Buch "Mut zum Rollenwechsel" hat sie mit 50 beruflich erfolgreichen Frauen und Männern in Väterkarenz gesprochen.

STANDARD: Sie sprachen mit prominenten Karenzvätern wie dem Journalisten Hans Bürger oder dem Investmentbanker Jörg Asmussen. Diese Männer gelten aber nach wie vor als mutige Pioniere. Was muss sich in Österreich ändern, damit mehr Männer in Karenz gehen?

Florian: Eines vorweg: Asmussen hat gesagt, dass bei seinem Gehaltsniveau 80 Prozent seines Gehalts auch noch für ein gutes Leben reichen, daher war es finanziell einfacher als beim Durchschnitt. Aber es war insofern mutig, weil er dafür einen Karriereboost sausen ließ und die Bandbreite der Reaktionen groß war: von "Du bist ein Vollidiot" bis "Wow, super".

Wir feiern uns als fortschrittlicher Wirtschaftsstandort, sind aber noch äußerst konservativ geprägt. Die Role-Models brauchen daher viele Nachahmer. Realistisch ist das aber nur mit staatlichen Maßnahmen. Auch in Skandinavien, wo Väterkarenz schon in den 1960ern möglich war, war sie von Anfang an mit Anreizen verbunden. Familien hätten viel Geld verloren, wenn sie es nicht genutzt hätten – nach dem Prinzip "Choose it or lose it". Eine isländische Spitzenpolitikerin (dort gehen bis zu 90 Prozent der Väter in Karenz) hat mir erzählt: Sogar in Island hinkt die Kultur den Gesetzen nach. Daher ist es so wichtig, dass die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft.

STANDARD: Ist der Papamonat ein guter Anfang oder nur Kosmetik?

Florian: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei uns passiert viel zu wenig. In Deutschland, wo zwischen 30 und 40 Prozent der Väter in Karenz gehen, ist man schon weiter: Dort haben Väter tatsächlich einen Anspruch auf Karenz, in Österreich nicht. Bei uns haben nur die Beamten Anspruch auf den Papamonat, während die Männer in der Privatwirtschaft keinen Rechtsanspruch haben.

STANDARD: Was haben die Familien von der Väterkarenz?

Florian: Da draußen gibt es viele Männer, die gerne bei den Kindern bleiben wollen. Sie trauen sich nur nicht. Das weiß ich aus meiner Praxis. Deswegen wollte ich dieses Buch schreiben. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Väter sehen, wie viel Arbeit die unbezahlte Arbeit ist, selbst wenn sie nur kurze Zeit in Karenz sind.

Das wirkt sich auch auf die Zeit danach aus, in der die Aufgaben in der Familie fairer aufgeteilt sind. Das ist positiv für die Beziehung und das Zusammenleben. Aber vor allem die Kinder profitieren von den Vätern, die auch im Alltag präsent sind. Sie erleben ein anderes Rollenbild als den abwesenden Vater, der für das Geld zuständig ist. Sehr viele Männer wollen den Druck als alleiniger Ernährer der Familie auch gar nicht mehr.

STANDARD: Warum ist selbst in großen Konzernen noch immer der Glaube verbreitet, der Betrieb breche zusammen, wenn ein Mann in Karenz geht?

Florian: Das große Problem in Österreich ist, dass die Unternehmen am längeren Ast sitzen. Wenn die Chefetage kein Verständnis dafür hat, sieht es für die Väter schlecht aus. Es gibt zwar einen rechtlichen Anspruch auf Väterkarenz und für Väter im öffentlichen Dienst auch einen auf Väterfrühkarenz (Papamonat, Anm.). Aber in der Realität werden sie trotzdem sanktioniert: Mehr als die Hälfte der Männer, mit denen ich gesprochen habe, berichteten von beruflichen Konsequenzen. Etwa, dass sie danach nicht weiter befördert oder sogar gekündigt wurden.

Der Glaube, es bricht alles zusammen, weil einer in Väterkarenz geht, entbehrt jeder faktischen Grundlage. Genauso wie übrigens bei Frauen auch! Das ist ein Drama, bedenkt man, dass hingegen die Fluktuation in Führungspositionen teilweise sehr hoch ist, also bei jenen, die das entscheiden.

Besonders absurd ist, dass Karenzvätern oft nachgesagt wird, sie hätten keine Motivation, ihren Job zu machen. Männer im Sabbatical oder in Bildungskarenz werden meist gar nicht sanktioniert, es gilt eher als cool, haben mir mehrere erzählt. In den Unternehmen braucht es gutes Karenzmanagement. Manche Männer haben ihre Jobs verloren, weil sie in Karenz gegangen sind. Das darf nicht sein.

STANDARD: Wie können Väter gut verhandeln, wenn sie in Karenz gehen wollen?

Florian: Unternehmerisch denken, das Vorhaben so früh wie möglich melden. Ein Vater hat schon Monate vorher alles mit seinem Team besprochen und Projekte so organisiert, dass die (bei vielen Männern) zwei Monate Abwesenheit zu managen sind. Von zertifizierten familienfreundlichen Betrieben wissen wir, dass sie sich sehr früh mit den Frauen zusammensetzen und den Karriereplan besprechen, fragen, was sich die Familien wünschen. Es gibt zum Beispiel geteilte Fulltimejobs, das funktioniert.

Viel zu viele Frauen gehen in Teilzeit und haben geringe Pensionsansprüche, weil noch immer das konservative Mutterideal existiert, bei den Kindern sein zu müssen. Männer in Teilzeit werden hingegen schief angeschaut. Wir werden alle lange arbeiten, das heißt 30 bis 40 Jahre Erwerbsarbeit. Familien mit zwei Kindern brauchen eine Betreuungskette von ca. zehn Jahren. In der Zeit ist es ratsam, halbe-halbe zu machen, die unbezahlte Arbeit gut aufzuteilen.

STANDARD: Welche Hol- bzw. Bringschuld haben Unternehmen? Was müssten sie den Familien bieten, und was haben sie schlussendlich davon?

Florian: Die Bilanzen zeigen, dass sie unfassbar viel davon haben, Karenzen zu ermöglichen. Sie haben die loyalsten Mitarbeiter, wenn sie Eltern Flexibilität und Karenz zugestehen. Das spart viel Geld, weil es weniger Fluktuation gibt. Ich räume auch mit einem großen Vorurteil auf: Die Frauen, die an die Spitze kommen, sind nicht alle gemein und lassen keine andere hinauf. Das ist überhaupt nicht wahr, da sitzen viel mehr Ermöglicherinnen, als man denkt.

STANDARD: Manche Eltern machen sich wegen der Kinder auch selbstständig.

Florian: Sie glauben, es dann wegen der Zeiteinteilung leichter zu haben. Aber Selbstständigkeit birgt auch Risiken, es braucht meist sehr viel Zeit, bis es läuft. Gute Beratung ist da wichtig.

STANDARD: Noch zu einem gesellschaftlichen Aspekt: Mütter werden meist schärfer sanktioniert als Väter, wenn Dritte meinen, diese würden ihre Kinder vernachlässigen.

Florian: Meine These als Historikerin und Coach ist, dass die Prägungen in der Gesellschaft so tief sitzen. Es ist wichtig, Verhaltensmuster im Arbeitsleben und privat zu erkennen und zu trainieren, daraus auszusteigen.

Hans Bürger oder Jörg Asmussen ist es egal, was anderen sagen, aber ein Mann auf dem Land traut sich das nicht so. Er wird von Kollegen komisch angeschaut, wenn er in Karenz gehen will. In der Stadt ist der soziale Druck nicht mehr so groß. Als Mann am Vormittag mit dem Kinderwagen durchs Dorf zu fahren ist immer noch ungewöhnlich.

STANDARD: Stichwort Rabenmütter: Sie schreiben: "Wir sind Rabeneltern und das ist gut so." Was meinen Sie damit?

Florian: Eine Forscherin hat mir erklärt, dass historisch komplett verkehrt herum kolportiert wurde, dass Rabenmütter keine guten Mütter sind. Im Gegenteil: Rabeneltern kümmern sich gemeinsam um den Nachwuchs. Sie erziehen sie zwar früh zur Selbstständigkeit, verhalten sich aber fast wie Hubschraubereltern, füttern sie weiterhin und schützen sie vor Feinden, bis sie wirklich gut fliegen können.

STANDARD: Aus Ihren Karenzväter-Interviews wissen Sie, dass bei deren Entscheidung an erster Stelle der Wunsch stand, bei den Kindern zu sein. Aber zugleich müssen sie es aushalten, wenn ihre Frauen mehr verdienen. Frauen müssen es aushalten, die häusliche Kontrolle abzugeben. Bei den Role-Models in Ihrem Buch mag das so sein, aber sind wir generell schon so weit?

Florian: Einer der Karenzväter war ein 50-jähriger Abteilungsleiter. Seine Chefin hat seine Entscheidung öffentlich wertgeschätzt. Da kamen einige Kollegen zu ihm und haben gesagt, wenn sie das gewusst hätten, wären sie auch in Karenz gegangen. Die Frage ist: Was will ich wirklich, was ist mir wichtiger? Mein privates Leben mit meiner Partnerin oder, dass der Arbeitgeber oder die Nachbarn zufrieden sind. Jeder muss den Schritt selber machen, sich trauen. (Marietta Adenberger, 9.6.2019)

Verena Florian, "Mut zum Rollentausch. 50 beruflich erfolgreiche Frauen und Männer in Väterkarenz erzählen".
22,90 Euro / 264 Seiten. Falter-Verlag, Wien 2019
Buchcover: Falter Verlag