Das Innenministerium kündigte am Donnerstagabend in einer Aussendung eine "lückenlose Aufarbeitung der Vorgänge" an. "Diese Aufarbeitung hat zum einen durch die Justiz und zum anderen durch die Dienstbehörde – die Landespolizeidirektion Wien – zu erfolgen."

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Wien – Mit einem Großaufgebot an Polizisten reagierte die Exekutive auf die Ankündigung einer Demonstration gegen Polizeigewalt am Donnerstagabend in Wien. Laut Polizei sollten bei der Kundgebung rund 490 Beamte im Einsatz sein. Der Veranstalter, die Klimaschutzbewegung "System Change, Not Climate Change", hatte im Vorfeld mit rund 1.000 Teilnehmern gerechnet. Der Protestmarsch, der um 18 Uhr beginnen sollte, führt vom Verkehrsministerium im dritten Bezirk über Donaukanal, Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände sowie Landespolizeidirektion Wien zur Abschlusskundgebung im Sigmund-Freud-Park bei der Uni Wien.

Ermittlungen gegen drei namentlich bekannte Beamte

Anlass für den Protestmarsch "Halt gegen Polizeigewalt" waren die Vorfälle rund um eine Klimaschutzdemo am vergangenen Freitag in Wien. Laut Staatsanwaltschaft wird gegen vier Beamte ermittelt, wobei ein Polizist noch ausgeforscht werden muss.

Die Vorfälle im Detail:

· Ein Polizist hat auf einen in Bauchlage fixierten Mann mehrfach eingeschlagen. Gegen ihn wird wegen Körperverletzung ermittelt.

· Ein Aktivist wirft einem Polizisten vor, dass dieser ihm bei der Räumung einer Blockade die Hand gebrochen hat. Gegen den Beamten wird wegen schwerer Körperverletzung unter Ausnützung einer Amtsstellung ermittelt.

· Bei einem weiteren Vorfall wurde ein Demonstrant von Beamten fixiert, wobei sich der Kopf des Aktivisten unter einem Polizeiwagen befand. Der Beamte im Fahrzeug blickte zwar noch nach hinten, fuhr aber dennoch los. Die beiden Polizisten konnten den Demonstranten gerade noch rechtzeitig wegzerren. Ermittelt wird in dieser Causa gegen einen Beamten wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit.

· Der vierte von der Staatsanwaltschaft nicht näher erläuterte Vorfall betrifft zudem eine mögliche Körperverletzung eines noch auszuforschenden Beamten.

Vonseiten der Polizei wurde ein Beamter in den Innendienst versetzt. "Weitere dienstrechtliche Maßnahmen sind derzeit nicht vorgesehen", hieß es von der Landespolizeidirektion am Donnerstag zum STANDARD.

"Lückenlose Aufarbeitung der Vorgänge" angekündigt

Das Innenministerium kündigte in einer Aussendung eine "lückenlose Aufarbeitung der Vorgänge" an. "Diese Aufarbeitung hat zum einen durch die Justiz und zum anderen durch die Dienstbehörde – die Landespolizeidirektion Wien – zu erfolgen". Zudem kündigte das Ministerium an, dass nach den Ergebnissen weiterer Ermittlungen "die allenfalls zusätzlich erforderlichen dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen werden".

Menschenrechtsprofessor Manfred Nowak forderte erneut die Einrichtung einer unabhängigen Behörde zur Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei. "Die Videos an sich sind kein Beweis für eine unmenschliche Behandlung, aber sie sind ein Indiz dafür, dass etwas falsch gelaufen sein könnte", sagte er zur APA.

Auch wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren an sich gezogen habe, sei die Erstuntersuchung "wieder durch die Polizei gemacht" worden. Das reiche nicht, kritisierte Nowak. Und: "Es ist viel zu spät reagiert worden." Die von ihm geforderte Untersuchungseinheit müsse außerhalb der Weisung des Innenministeriums angesiedelt sein – gleichzeitig aber polizeiliche Funktionen haben und Polizisten auch festnehmen dürfen.

Die Staatsanwaltschaft Wien betonte, dass sämtliche Vernehmungen in den angesprochenen Fällen unter Beteiligung des zuständigen Staatsanwaltes stattfinden und die Verdachtsbeurteilung "ausschließlich" der Behörde unterliege. Sämtliche Schritte der Kriminalpolizei würden in Absprache mit der Staatsanwaltschaft durchgeführt. Aufseiten der Polizei werden die Erhebungen vom Referat für besondere Ermittlungen geführt.

Kaum Anklagen nach Misshandlungsvorwürfen

Dass Anzeigen wegen Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei nur wenig Aussicht auf Erfolg haben, zeigte zuletzt eine Studie des an der Uni Wien angesiedelten Austrian Center for Law Enforcement Sciences (Ales). Es wurden insgesamt 772 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten aus Wien und Salzburg aus dem Zeitraum zwischen 2012 und 2015 analysiert. Diese beinhalteten rund 1500 Fälle.

Das Ergebnis: In Salzburg wurden alle 233 Verfahren eingestellt, in Wien wurde in sieben Fällen Strafantrag an das Gericht erhoben. Es kam allerdings zu keiner Verurteilung. Zumeist wurde den Beamten vorgeworfen, geschlagen zu haben.

Daraus könnte man schließen, dass die Vorwürfe eben haltlos waren. Menschenrechtsexperten sehen das aber anders. Zuletzt hielt etwa das UN-Antifolterkomitee 2015 seine Besorgnis bezüglich der großen Diskrepanz fest. (Vanessa Gaigg, Lara Hagen, David Krutzler, 6.6.2019)