Die Protestierenden halten Schilder hoch.

Eine halbe Million Menschen soll demonstriert haben.

Bild nicht mehr verfügbar.

Mehrere hundert Bereitschaftspolizisten riegelten Augenzeugen zufolge das Parlamentsgebäude ab.

Foto: Reuters/THOMAS PETER

Hongkong – Nach friedlichen Massenproteste gegen ein Auslieferungsgesetz in Hongkong ist es in der Nacht zu Montag zu Zusammenstößen von Demonstranten mit der Polizei gekommen. Mehrere hundert Bereitschaftspolizisten riegelten Augenzeugen zufolge das Parlamentsgebäude ab. Sie gingen dort mit Schlagstöcken, Tränengas und Pfefferspray gegen ebenfalls mehrere Hundert Demonstranten vor. Auf beiden Seiten schien es Verletzte zu geben, verbogene Metallabsperrungen zeugten von der Gewalt.

In der größten Demonstration seit Jahren haben Hundertausende Hongkonger gegen die Pläne der Regierung für ein Auslieferungsgesetz demonstriert. Anwaltsverbände, Menschenrechtler und auch ausländische Regierungen sind besorgt über das Gesetz. Es würde den Behörden erlauben, auf Ersuchen chinesischer Stellen Verdächtigte an die Volksrepublik auszuliefern.

Kritiker argumentieren, dass das Justizsystem in China nicht unabhängig sei, internationalen Standards nicht entspreche und politisch Andersdenkende verfolge. Auch werden Angeklagte zu 99 Prozent verurteilt. Es gibt Sorge, dass das Gesetz die Position Hongkongs als asiatische Wirtschafts- und Finanzmetropole untergräbt.

Hunderttausende auf der Straße

Der Protest am Sonntag fand ungewöhnlich großen Zulauf. Nach Angaben der Organisatoren haben rund eine Millionen Menschen daran teilgenommen. Die Teilnahme ist damit größer als bei dem Massenprotest am 1. Juli 2003, der das kontroverse nationale Sicherheitsgesetz zu Fall brachte.

Die frühere britische Kronkolonie wird seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz "ein Land, zwei Systeme" als eigenes Territorium autonom regiert. Die sieben Millionen Einwohner der heutigen chinesischen Sonderverwaltungsregion genießen größere politische Freiheiten als die Menschen in der Volksrepublik, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Mit der lauter werdenden Forderung nach echter Demokratie in Hongkong zieht Peking aber die Zügel enger.

"Machtvolles Werkzeug"

Amnesty International warnte, Ausgelieferten drohten in China "Folter, Misshandlung und unfaire Verfahren". Auch die Zusicherung, dass das Gesetz bei politischer Verfolgung nicht greife, ließ die Organisation nicht gelten. Chinas Behörden brächten regelmäßig legitim scheinende, unpolitische Anklagen vor, "um friedliche Aktivisten, Menschenrechtsverteidiger und solche, die die Regierungspolitik ablehnen, zu verfolgen und zu inhaftieren". Es sei ein "machtvolles Werkzeug", um Kritiker einzuschüchtern.

Mit dem Gesetzesvorhaben hat sich die Peking-treue Regierung von Carrie Lam in eine Zwickmühle manövriert, da der Widerstand in der Bevölkerung groß ist. Es gibt kein Vertrauen in Chinas Justizsystem. Um der Kritik zu begegnen, wurden noch Änderungen aufgenommen. So soll es nur um schwere Verbrechen gehen. Das erwartete Strafmaß muss bei sieben und nicht wie ursprünglich vorgesehen drei Jahren liegen. Während einige Straftatbestände wie Steuer- oder Wertpapiervergehen gestrichen wurden, blieben aber Bestechung und Geldwäsche.

Überstellung eigentlich untersagt

Menschenrechtsgruppen weisen auch darauf hin, dass die zwei UN-Konventionen für bürgerliche Rechte und gegen Folter, an die Hongkong gebunden sei, eigentlich die Überstellung von Personen in Länder untersagten, wo Folter und Misshandlung drohten. Auch die USA oder Kanada haben ihre Sorge geäußert. Sie befürchten, dass britische oder kanadische Bürger in Hongkong betroffen werden könnten.

Die Kommission des US-Kongresses für Wirtschaft und Sicherheit in den Beziehungen zu China warnte, das Gesetz könnte "eine ernste Gefahr für die nationale Sicherheit der USA und seine Wirtschaftsinteressen in Hongkong darstellen". Es könne "Hongkongs Ruf als sicherer Ort für US-amerikanische und internationale Geschäfte schwinden lassen und ein größeres Risiko für US-Bürger und Hafenbesuche in dem Territorium darstellen".

Kanada ist besonders besorgt, weil es jüngst erleben musste, wie China zwei seiner Bürger – unter Spionagevorwürfen – festgesetzt hat, nachdem Kanada auf Ersuchen der USA die Finanzchefin und Tochter des Gründers des Telekomriesen Huawei, Meng Wanzhou, festgesetzt hatte. Ihr wird Bankbetrug bei der Verletzung der Sanktionen gegen den Iran angelastet. Die USA fordern ihre Auslieferung.

Hongkongs letzter britischer Gouverneur Chris Patten warnte, das Auslieferungsgesetz wäre "das Schlimmste", was Hongkong seit der Rückgabe 1997 an China zustoßen könne. In einer Video-Botschaft sprach Patten von einem "schrecklichen Schlag" gegen Hongkongs Rechtsstaatlichkeit, Stabilität, Sicherheit und Position als großer internationaler Handelsplatz. (APA, 9.6.2019)