Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt bei einer Tagung der Internationalen Arbeitsorganisation ein Plädoyer für menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Foto: AFP
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Der Präsident der Jubiläumskonferenz richtete sein Wort an die Bundeskanzlerin – auf Deutsch. "Es ist uns eine Ehre", hob der Schweizer Jean-Jacques Elmiger an, als er Angela Merkel begrüßte. Merkel vermerkte die Geste mit stiller Freude, ist das Deutsche doch keine offizielle Sprache der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Wahl des Deutschen aber machte ganz klar: Am Dienstag sollte in Genf ein Heimspiel für die deutsche Bundeskanzlerin stattfinden.

Elmiger leitete als Präsident die Internationale Arbeitskonferenz, die heuer groß feiert: 100 Jahre Internationale Arbeitsorganisation. 100 Jahre Kooperation für eine bessere Welt. Und Merkel, die große Verfechterin der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, sollte als ein Stargast auf der ILO-Konferenz eine Laudatio halten. Es war eine Rede, wie sie die Delegierten erhofft hatten. Viel Lob, viel Ansporn, so gut wie keine Kritik an der alten Dame ILO.

Dienerin Wirtschaft

Die Kanzlerin sagte, die ILO werde heute genauso gebraucht wie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als sie am 28. Juni 1919 durch den Vertrag von Versailles geschaffen wurde. Schon die Gründerväter der seinerzeit neuartigen Organisation hätten es gewusst – und in die ILO-Präambel geschrieben: "Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden." Für Merkel bleibt dieses Prinzip bis in unsere Tage und darüber hinaus gültig. Sie sagte: "Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen, nicht umgekehrt." Das müsse ein zentraler Satz der Globalisierung sein. "Da das internationale System der multilateralen Zusammenarbeit im Augenblick in Gefahr ist, da es viele gibt, die sagen: 'Wir kommen allein besser zurecht', sage ich ausdrücklich: Der Kompromiss ist Teil der internationalen Kooperation", so Merkel.

Seit ihrer Gründung verabschiedete die ILO rund 190 Konventionen, in denen sie Standards und Normen für ein menschenwürdiges Arbeitsleben festlegt: von der Begrenzung der Arbeitszeit über ein Verbot der Diskriminierung bis hin zur Abschaffung der Zwangsarbeit. Doch bei der Umsetzung vieler dieser Konventionen hapert es gewaltig. Einige gibt es nur auf dem Papier.

150 Millionen Kinder schuften

So sind zum Beispiel die schlimmsten Formen der Kinderarbeit gemäß der ILO-Konvention 182 verboten. Noch immer aber müssen über 150 Millionen minderjährige Mädchen und Jungen unter teilweise grausamen Bedingungen schuften, im Bergbau, in Fabriken oder auf Feldern. Die Kleinen, so sagte Merkel, "erleben einen Albtraum".

Damit das Ziel der ILO-Gründerväter, eine menschenwürdige Arbeitswelt zu schaffen, irgendwann verwirklicht werde, mahnte Merkel neue Anstrengungen an. "Es gibt wahnsinnig viel zu tun", appellierte sie an die Vertreter der 187 ILO-Mitgliedsländer. "Damit kämpfen Sie für das Richtige." Am besten, so brachte es die überzeugte Multilateralistin Merkel auf den Punkt, funktioniere das zusammen – und nicht gegeneinander.

Die ILO wurde 1919 gegründet, um den Weltfrieden durch eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen zu sichern. Sie ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Die Länder sind durch Regierungen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände vertreten. Sie erarbeitet möglichst weltweit anerkannte Arbeits- und Sozialstandards, die verhindern sollen, "dass sich einzelne Teilnehmer am internationalen Handel durch Abbau von Arbeitnehmerrechten und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen Vorteile verschaffen", so die ILO. (Jan Dirk Hebermann aus Genf, 11.6.2019)