Brutale Amtshandlung am Rande der Klimademo: Zwei Polizisten schirmen ihre Kollegen ab.

Foto: screenshot/twitter; Klima-Aktivist

Verstörende Bilder waren es, die nach der Klimademo Ende Mai in Wien im Internet verbreitet wurden: Ein Mann liegt auf dem Boden, Polizeibeamte knien auf ihm, einer schlägt auf ihn ein, irgendwo ruft jemand immer wieder: "In die Nieren!" Wie auf eine unsichtbare Anweisung hin, drehen sich einzelne Kollegen von der Szenerie weg, starren stur geradeaus. Andere lugen hin und wieder über die Schulter zurück auf den Mann, der auf dem Boden liegt, und auf die fünf, die ihn fixieren.

Die herumstehenden Beamten wirken fast, als wäre es ihnen unangenehm, die Schläge zu sehen. Oder als wollten sie die Situation abschirmen, sie vor Handykameras und damit vor der Öffentlichkeit verstecken. Ihr Wegsehen wurde in den sozialen Medien massiv kritisiert, als "widerlich" und "unmenschlich" bezeichnet.

Ermittlung gegen Beamten

Gegen den Beamten, der auf den Mann auf dem Boden einschlug, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Anwalt des prügelnden Polizisten wiederum sagt, dieser hätte nur seinen Job gemacht, verdiene gar einen Orden dafür, dass er für "unsere Sicherheit" sorgte. Warum also sollten seine Kollegen einschreiten?

Philipp Sonderegger ist Mitglied des Menschenrechtsbeirats in der Volksanwaltschaft und war Sprecher von SOS Mitmensch. Für das Wegdrehen der Beamten, sagt er, gebe es gute und schlechte Gründe. Die guten seien die Eigensicherung, also "um zu verhindern, dass Umstehende die Amtshandlung vereiteln". Und die schlechten? "Dass sie Medien und Public Watchdogs daran hindern, eine Amtshandlung zu dokumentieren", so Sonderegger.

Es gebe einen Reflex, genau diese Dokumentation zu verhindern, sagt Sonderegger. Schuld an diesem Reflex sei eine "mangelnde Fehlerkultur" bei der Polizei. Einerseits würden Polizisten, gegen die Vorwürfe erhoben werden, ein Stück weit im Regen stehen gelassen, andererseits werde undifferenziert unkorrektes Verhalten gedeckt. Damit werde das Polizeisystem dazu angehalten, Fehler grundsätzlich von sich zu weisen: "Man versucht, alles, was nicht nachweisbar ist, zu leugnen und abzustreiten."

Wer darf dokumentieren?

Vom Innenministerium heißt es dazu auf Anfrage, sämtliche Exekutivbediensteten hätten ihr dienstliches Handeln und Verhalten "selbstverständlich und ausschließlich nach den geltenden gesetzlichen Grundlagen auszurichten", wobei die Verhältnismäßigkeit die oberste Prämisse sei. Dementsprechend könne etwa die "Anwendung von Körperkraft" in einer bestimmten Situation das gelindeste Mittel sein.

Die "Rundumsicherung, unter Umständen, je nach Einsatzlage und Mannstärke, auch mit dem Rücken zum eigentlichen Geschehen beziehungsweise in Richtung Schaulustiger", stelle in einer Amtshandlung "einen ganz normalen Vorgang" dar, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Dem Argument, dass das Abschirmen einer Amtshandlung auch verhindert, dass Außenstehende aufzeichnen, was passiert, entgegnet der BMI-Sprecher: "Die Polizei dokumentiert jeden Einsatz, das muss nicht von außen dokumentiert werden."

Umstehende weggescheucht

Tatsächlich scheuchen einige Beamte im Video von der Klimademo offenbar Umstehende weg. Als einer jener Männer, die mit dem Rücken zum Geschehen stehen, sieht, dass jemand filmt, macht er seinen Kollegen darauf aufmerksam. Kurz danach bricht die Aufnahme ab.

Menschenrechtsanwalt Manfred Nowak war bis 2015 Leiter der Besuchskommission der österreichischen Volksanwaltschaft, die Teil des nationalen Mechanismus zur Verhütung von Folter ist. In dieser Funktion erlebte er mehrmals, wie wichtig Beamten das Abschirmen einer Amtshandlung von Außenstehenden ist – selbst wenn diese von der Volksanwaltschaft kommen.

In seiner Funktion besuchte Nowak Demonstrationen und Einsätze. Immer wieder, so sagt er, wäre es passiert, "dass wir bei Einkesselungen nicht direkt hinkommen konnten, weil Beamte sagten, das sei eine Amtshandlung" .

Es sei schwierig, Misshandlungsvorwürfe aufzuklären, auch um schwarze Schafe herauszufiltern und selbst wenn viele Vorwürfe sich später als falsch herausstellen würden, sagt Nowak. "Bei der österreichischen Polizei herrscht ein starker Korpsgeist, wir beobachten seit 30 Jahren kritisch, dass da gemauert wird, dass gesagt wird 'Nein, das ist falsch' , wenn es einen Misshandlungsvorwurf gibt."

Unabhängige Behörde nötig

Menschenrechtsanwalt Nowak fordert deshalb eine unabhängige Behörde, die solche Vorwürfe untersucht. Aktuell führt die Polizei selbst die Erstuntersuchung durch. Eine unabhängige Verfolgungsinstanz aber müsse weisungsfrei und mit allen Kompetenzen der Polizei ausgestattet werden. Zum Vorfall bei der Klimademo ermittelt aktuell das Referat für besondere Ermittlungen. Es ist Teil der Landespolizei Wien.

"Die Wiener Polizei ist an einer vollständigen, lückenlosen Aufklärung des Vorfalls interessiert", sagte Polizeipräsident Gerhard Pürstl in einem Statement. Im nächsten Schritt werden Zeugen vernommen – egal ob sie mit dem Rücken oder mit dem Gesicht zum Vorfall standen. (Gabriele Scherndl, 21.6.2019)