Sebastian Kurz hielt in der Stadthalle auch eine Rede

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Solche Bilder ist man in der österreichischen Politik nicht gewohnt: Tausende Christen strecken ihre Arme in die Höhe, um für Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zu beten. "Vater, wir danken dir für diesen Mann, für seine Weisheit", predigt Ben Fitzgerald von der Bühne. "Wir danken dir dafür, dass in diesem Land die Sünde für alle furchtbar ist", und erbitten "viel Schutz" für den Altkanzler, so Fitzgerald weiter.

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Ort der Szene war die Wiener Stadthalle, die von Freitag bis Sonntag mit Christen gefüllt war. An drei Tagen fand dort der überkonfessionelle Event Awakening Austria statt, der von Fitzgerald als Teil von Awakening Europe mitorganisiert wurde. Mit dieser Organisation will der gebürtige Australier Menschen ein "Leben nach Gottes Vorstellung" ermöglichen.

Der einstige Drogendealer behauptet, 2002 in einem Nachtklub Jesus begegnet zu sein. Danach änderte er sein Leben, um zu missionieren. Er reiste nach Nürnberg, wo er das ehemalige Reichsparteitagsgelände der Nationalsozialisten besuchte. Dort hatte er eine weitere Vision, wie er in einem Interview erzählte: "Ich sah all diese europäischen Gesichter: Menschen mit ukrainischem Aussehen, Norweger mit blonden Haaren und blauen Augen – Spanier, Deutsche. Ich sah all diese Europäer in diesem Feld stehen, und sie sagten immer wieder einen Satz: Gott, würdest du dir Europa zurückholen? Hol Europa zurück."

Das Schwert in die Schlacht führen

In diesem Interview sprach Fitzgerald auch davon, dass Muslime die Strategie hätten, Europa "anderen Religionen wegzunehmen". Wenn man "diese heilige Gelegenheit" nutze, werde man eine "hohe Ernte einfahren, sobald man das Schwert in die Schlacht führt", sagte Fitzgerald weiter. Laut dem zum "Spiegel" gehörenden Portal "Bento" forderte Fitzgerald bei der "Holy Spirit Night" in Stuttgart vor tausenden Zuhörern, dass "Deutsche stolz darauf sein sollen, Deutsche zu sein. Wen interessiert Geschichte?"

Das erinnert stark an die identitäre Rechts-außen-Politik, die Altkanzler Kurz in Bezug auf die namensgebende rechtsextreme Bewegung erst vor wenigen Monaten als "widerlich" bezeichnete.

Kurz: "Spontanes Gebet"

Kurz selbst hielt auch eine Rede in der Stadthalle. Am Montag versuchte er sich dann von dem Gebet zu distanzieren. Er sei "immer wieder bei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften" zu Gast und habe dort schon "unterschiedliche Erlebnisse" gehabt, rechtfertigte der ÖVP-Chef am Montag seinen Auftritt.

DER STANDARD

Der Termin sei schon vereinbart worden, als er noch Kanzler war, beteuerte er.

Das bestätigten die Veranstalter am Montagabend auch so. Außerdem teilten sie mit: "Wir hätten auch jeden anderen Bundeskanzler eingeladen, ganz egal, welcher Partei er oder sie zugehört." Durch das starke mediale Echo fühlt sich Awakening Europe Österreich jedenfalls bestätigt, einen Nerv getroffen und ein Bedürfnis erfüllt zu haben.

Ausgemacht sei laut Kurz eine kurze Ansprache vor "Christen aus 45 Nationen" gewesen, von dem Gebet für ihn habe er vorher nichts gewusst. "Ich war selbst etwas überrascht", sagt Kurz. Aber er könne sich "weder Kritik noch Lob" aus der Kirche aussuchen. Insgesamt sei er nicht länger als eine Dreiviertelstunde in der Stadthalle gewesen.

Gläubige im Gebet für Sebastian Kurz
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Auch in der Erzdiözese Wien gibt man sich zurückhaltend. Das Team von Kardinal Christoph Schönborn, der auch auf der Veranstaltung sprach, habe vorab das Setting geprüft und im Sinne einer ökumenischen Veranstaltung zugesagt. Im Organisationsteam waren zwar Katholiken, aber niemand aus der Diözese, sagte Pressesprecher Michael Prüller zum STANDARD. Die Sichtweise, man müsse Europa vom Islam zurückholen, teile man jedenfalls nicht, wenngleich in Europa durchaus eine Schwäche des Christentums festzustellen sei. Gebete für Politiker gebe es im angloamerikanischen Raum immer wieder, im österreichischen Kontext herrsche aber die "kluge Tradition" vor, nicht einseitig zu sein, sagt Prüller.

Kritik hagelte es in sozialen Medien allerdings auch von Kirchenvertretern. Caritas-Präsident Michael Landau verwies etwa auf einen Bibelvers, dem zufolge man "im Verborgenen beten" solle. Diakonie-Präsidentin Maria Katharina Moser warnte auf Twitter davor, dass sich Kirchen hüten sollten, "vor den parteipolitischen Karren" gespannt zu werden. "Für andere beten ist gut – aber es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass das Gebet der Wahlwerbung dient", stellt Moser klar.

Erzkonservative Kreise

Die ÖVP war am Montag sichtlich bemüht, der Aufregung über das Gebet auch in sozialen Medien entgegenzutreten. Doch der Vorgang sorgt dafür, dass Kurz’ Verbindungen zu stark religiösen Kreisen neu unter die Lupe genommen werden. Sein einstiger Kabinettschef und enger Vertrauter Bernhard Bonelli – dessen Trauzeuge Kurz war – studierte auf der IESE Business School in Barcelona, die von Opus Dei betrieben wird. Er selbst bestritt, Mitglied der geheimniskrämerischen Prälatur zu sein, die unter anderem auf Selbstgeißelung setzt. Bonelli – derzeit im Kabinett von Außenminister Alexander Schallenberg tätig – ist Mitbegründer des International Catholic Legislators Network.

Auf seiner Webseite tritt das Netzwerk mit Verweis auf entsprechende Bibelstellen nicht nur gegen Abtreibung, sondern auch gegen die Verhütungspille auf. Ebenso wird die Ehescheidung als "gravierender Verstoß gegen die natürliche Ordnung" gesehen. Die Organisation fordert außerdem, dass "zivile Behörden die Produktion und Verbreitung von Pornografie verhindern sollten". Nach Erscheinen dieses Artikels wurde DER STANDARD vom Bundeskanzleramt kontaktiert, das Wert auf die Feststellung legt, dass Bonelli bei der Gründung des Vereins Kardinal Schönborn geholfen hat und die Webseite nach Bonellis Zeit dort erstellt worden ist.

Außer Bonelli, der zwar im Vereinsregister als Gründer, aber nicht mehr auf der Webseite aufscheint, hat auch der EU-Abgeordnete Lukas Mandl (ÖVP) mit dem International Catholic Legislators Network zu tun. Dieses hat seinen Sitz in Trumau, wo sich wiederum das Internationale Theologische Institut befindet. Dort lehrt die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler.

Ihr Ehemann Martin Kugler war Anfang der 2000er-Jahre Pressesprecher des Opus Dei in Österreich. Gudrun Kugler sprach auch bei Awakening Austria, DER STANDARD konnte sie nicht für eine Stellungnahme erreichen. Auf der Agenda ihrer Tätigkeit im Nationalrat stand in den vergangenen Monaten ein sogenannter "Pornofilter" ganz oben, der den freien Internetzugang zu Pornografie sperren soll – vor allem um Kinder zu schützen. Außerdem widmet sich Kugler dem "Kampf gegen Christenverfolgung". Dieses Thema war auch Kurz als Außenminister ein Anliegen. (Katharina Mittelstaedt, Fabian Schmid, 17.6.2019)