Die Kommission will künftig Autobahnfahrer pro gefahrenen Kilometer zur Kasse bitten. Österreich hängt aber am Pickerl.

Foto: APA / Georg Hochmut

Brüssel/Wien – Österreich hat mit seiner Klage gegen die deutsche Pkw-Maut vor dem Europäischen Gerichtshof einen unerwarteten Erfolg erzielt. Berlin, das sich durch die Kommission und den EU-Generalanwalt im Vorfeld bestärkt gesehen hatte, ist nun bitter enttäuscht. Das böse Blut zwischen den Nachbarländern könnte eine Allianz schwächen, die bisher auf EU-Ebene als Bremsklotz gegen europaweite Vorschriften für Mautsysteme aufgetreten war.

Geht es nach Kommission und EU-Parlament, sind sowohl die österreichische Vignette als auch die gescheiterte deutsche Pkw-Maut Auslaufmodelle. Brüssel will, dass alle Länder, die Gebühren für die Straßennutzung einheben, auf ein System umstellen, das nach tatsächlichem Gebrauch abrechnet: eine kilometerabhängige Maut. Das für die Richtlinie verwendete Stichwort "Eurovignette" klingt für österreichische Ohren vielleicht irreführend, das heimische Pickerl gilt schließlich für einen Zeitraum, in dem es "All you can drive" heißt.

Auch mit der deutschen Pkw-Maut wäre eine Autobahnvignette eingeführt worden, die zwar nach Hubraum und Emissionsklasse gestaffelt gewesen wäre, aber auch für bestimmte Zeiträume gegolten hätte.

Wer viel fährt, soll zahlen

Das würde nicht dem Verursacherprinzip entsprechen, argumentiert die Europäische Kommission. Der Entwurf der Eurovignetten-Richtlinie sieht vor, dass bis 2024 bestehende Mautsysteme für Lkws und ab 2028 für Pkws auf kilometerabhängige Nutzung umgestellt werden. Derzeit gilt das nur für Lkws über 3,5 Tonnen. Bestehende Vignettensysteme wie in Österreich wären bis dahin umzustellen. Eine Mehrheit der EU-Länder verwendet bereits derartige Systeme, wie Italien- oder Spanienurlauber wissen.

Bisher haben die EU-Staats- und -Regierungschefs im Rat keine Einigung erzielt. Deutschland und Österreich haben gemauert. Während der österreichischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018 wurde der Vorschlag gar nicht behandelt, erst heuer kam er unter der rumänischen Präsidentschaft wieder auf die Agenda. Beim Verkehrsministerrat am 25. Juni hofft man auf eine Einigung. Dass nun die Berliner Mautpläne überdacht werden müssen, könnte die deutsch-österreichische Blockadehaltung diskreditieren, schätzt ein Beobachter.

Verfechter des Pickerls

Der Widerstand in Österreich kommt etwa von Autofahrervertretern. Der Einwand: Das Motiv für die Einführung der europäischen Mautregeln sei der Erhalt des Wettbewerbs im Transportgewerbe gewesen, betont Bernhard Wiesinger vom ÖAMTC: "Unter den Haltern von privaten Pkws in der EU besteht aber kein Wettbewerbsverhältnis." Daher mache auch eine Einbeziehung in die Richtlinie keinen Sinn, sondern wäre lediglich eine "massive Mehrbelastung" für den Individualverkehr.

Verfechter der EU-Regeln wie der deutsche EU-Abgeordnete Michael Cramer (Grüne) betonen hingegen den ökologischen Aspekt. Vor allem der Kontrast zur umweltfreundlicheren Bahn verärgert ihn: Während jeder Kilometer Schiene bemautet würde, sei der Straßenverkehr vielfach von Gebühren ausgenommen, sagt er dem STANDARD. Die EU könne sich ein Vorbild an der Schweiz nehmen, wo eine leistungsabhängige Maut für Lkws auf allen Straßen eingehoben werde.

Ob die Österreicher auf absehbare Zeit ihre letzte Vignette abkratzen müssen, bleibt vorerst offen. Der Schulterschluss mit Deutschland hat diese Woche aber gelitten. (Leopold Stefan, 19.6.2019)