Vonseiten der USA wurde dem türkische Präsident Tayyip Erdoğan zugesichert, es werde vorerst keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Türkei geben.

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Chicken-Game heißt in der Spieltheorie ein Szenario, bei dem zwei Autos auf einen Abgrund zurasen. Derjenige, der zuerst abbremst, verliert. Weicht allerdings keiner aus, stürzen beide in den Abgrund. Der monatelange Poker zwischen der Türkei und den USA um den Kauf des russischen Abwehrsystems S-400 erinnert an dieses Szenario.

Nun hat der türkische Präsident Tayyip Erdoğan unerwartet einen Punkt machen können: Auf dem G20-Treffen in Osaka sicherte ihm US-Präsident Donald Trump zu, es werde vorerst keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Türkei geben. Die Ursache für den Konflikt liege bei der Obama-Administration, diese habe verhindert, dass Ankara das Patriot-System kaufen kann. Trump: "Wir waren unfair zur Türkei."

Die USA fordern von Ankara seit langem, vom Deal mit den Russen abzusehen und stattdessen das US-Produkt Patriot zu erwerben. Russische Militärs könnten Einblick in Nato-Waffensysteme erhalten. Wirtschaftssanktionen und der Rausschmiss der Türkei aus dem F-35-Kampfjet-Programm sollen als Drohkulisse dienen.

Gleichzeitig sind sich die Strategen im Pentagon bewusst, dass zu viel Härte Ankara noch mehr in die Arme Russlands treibt. Sollte die Türkei gar die Nato verlassen, wäre das ein herber strategischer Verlust für das Militärbündnis.

Billiger, ausgereifter

Erdoğan glaubt deswegen, damit durchkommen zu können. Das russische Abwehrsystem ist um eine Milliarde US-Dollar billiger als das amerikanische Konkurrenzprodukt und gilt als technisch ausgereifter. Man müsse deswegen den eigenen Interessen folgen, so Erdoğan.

Gleichzeitig würde ein Konflikt mit den USA das Land teuer zu stehen kommen. Ein Streit im vergangenen Sommer hat eine schwere Währungskrise ausgelöst, von der sich das Land bisher kaum erholt hat. Auch ein Rauswurf aus dem F-35-Programm wäre für Ankara bitter. Erdoğan soll bereits über 1,25 Milliarden US-Dollar in das Programm investiert haben.

Nicht klar ist allerdings, wie viel Gültigkeit Trumps Zusage im japanischen Osaka hat. Sowohl der CHP-Verbindungsmann in Washington, Yurter Özcan, als auch US-Senator Lindsey Graham zweifelten Trumps Autorität in dieser Frage an. Sollte die Türkei die Raketenbatterie aktivieren, erlässt der US-Kongress automatisch Wirtschaftssanktionen gemäß dem Countering America's Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA).

Osaka dürfte vorerst das letzte Treffen zwischen den beiden Staatschefs gewesen sein. Russland liefert das S-400-System in den kommenden Wochen. Im Chicken-Game gibt es jetzt keinen Stopp mehr vor dem Abgrund. (Philipp Mattheis aus Istanbul, 2.7.2019)