Sehr schön ist das geworden. Du machst dich!" In dem Moment, wo dieser Satz fällt, weiß man nicht, ob Hannah Seifert lügt. Aber wenn, dann wäre es eh nur aus Freundlichkeit. Es ist ein Samstagvormittag im Juni, und Seifert springt im Keramikstudio Rami zwischen den Töpferscheiben hin und her. Die 23-Jährige lobt ihre Schüler und greift – wenn not wendig – mit den eigenen Händen korrigierend in die graue, sich um eigene Achse drehende Masse ein. Niemand soll hier ohne Erfolgserlebnis rausgehen. "Töpfern ist ein schwieriges Handwerk", sagt Seifert. "Ich weiß, wie frustrierend das am Anfang sein kann."

Das Keramikstudio liegt in einem hellen Ladenlokal direkt am Volkertmarkt im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Mitten in der Bobo-Zone, wenn man gemein sein wollte. In der Mitte des Raumes stehen Tische, links vor der Fensterfront sind Töpferscheiben aufgereiht, sodass sich das schmutzige Spektakel von außen anschauen lässt. Das Rami versprüht eher den Charme eines hellen Lofts als einer Kellerwerkstatt. Es macht viel Werbung auf Instagram und ist deshalb gerade bei jungen Leuten beliebt. Zehn Lernwillige haben sich an diesem Samstag eingefunden, um den Grundkurs an der Töpferscheibe zu besuchen.

Das Wort "Kurse" wird in diesem Text eine zentrale Rolle einnehmen. Denn die stehen bei jungen Erwachsenen, na ja, hoch im Kurs. Am Abend oder am Wochenende kann man durch sie organisiert für einen Moment in handwerkliche Aktivitäten eintauchen, die in der eigenen Wohnung keinen Platz haben. Sei es das Bespannen von Stühlen, das Rollen von Sushi oder eben das Töpfern. Das ist extrem beliebt. Im Rami ist meist alles zumindest zwei Monate im Voraus ausgebucht.

In ihren Töpferkursen vermittelt Hannah Seifert, dass auch analoge Beschäftigung durchaus etwas Befriedigendes haben kann.
Foto: Heribert Corn

Ein wenig analoger Ton

"Die Leute wollen wieder in Verbindung mit der Natur kommen", sagt Seifert. "Und sie brauchen ein Gegengewicht zu ihrem Beruf." Das scheint zu stimmen, zumindest wenn man sich an diesem Samstagvormittag ein bisschen umhört.

"Mein Job ist sehr digital, ich wollte etwas Analoges zum Ausgleich machen", sagt Alina Götz. Die 27-Jährige, die unter der Woche Videos produziert, müht sich wie alle Teilnehmer ein wenig damit ab, den nassen Klumpen Ton auf der Scheibe zu zentrieren. Das ist die erste Hürde, die sehr viel schwieriger zu meistern ist, als es vielleicht klingen mag. Am Ende schaffen es alle, zur Not mit ein bisschen Hilfe.

Wer sich bereits ein wenig auskennt, kann im Rami die Töpferscheiben stundenweise mieten. Für blutige Anfänger oder Menschen, die sich weiterbilden wollen, gibt es verschiedene Angebote. Vom Wochenendintensivkurs zum Reinschnuppern über mehrwöchige Abendkurse bis zu Spezialinteressen wie dem Schmuckworkshop. Die Teilnehmer sind bunt gemischt: viele Mutter -Tochter-Gespanne, Paare, auch Gruppen von Kolleginnen. Das Geschlechterverhältnis ist extrem unausgewogen, an diesem Samstag sitzen neun Frauen und der Autor an der Töpferscheibe. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Ohne sie muss man aber damit leben können, dass einem eine Teilnehmerin jenseits der 65 freundlich, aber bestimmt erklärt, dass man beim Kneten des Tons so ungefähr alles falsch macht, was man falsch machen kann.

Töpfern wird von den Kursteilnehmern als analoger Ausgleich zum digitalen Arbeitsalltag empfunden.
Foto: Heribert Corn

(Frei-)Zeiten ändern sich

Die Attraktivität, die Kurse wie die im Rami ausstrahlen, kann man schnell und langsam erklären. Die schnelle Version wäre: Sie machen Spaß. Die längere ist ein bisschen komplizierter.

Das Leben der urbanen Mittelschicht im Jahr 2019 kennt mehrere ineinander übergehende Phasen. Nach der Studienzeit und den ersten Jahren im Job, wo man noch körperlich in der Lage ist, quasi direkt vom Barhocker auf den Bürostuhl zu wechseln, mehren sich irgendwann schleichend die Vorzeichen für die nächste Phase. Die ersten Menschen um einen herum kriegen Kinder, auf den Partys sieht man immer weniger bekannte Gesichter, und zunehmend bleiben die Freunde Freitagabend zu Hause, weil sie Samstag früh auf dem Flohmarkt sein wollen. Das Leben in den 20ern ist: "Ich hab eine Flasche Wodka, wo treffen wir uns?" Das Leben in den 30ern ist: "Wir gehen am Wochenende ein Schwein schlachten und Wurst machen" oder "Da kann ich nicht, da haben wir unseren Fermentierkurs".

Dass die Freizeit heute gerne in Kursen verbracht wird, ist natürlich eine subjektive Beobachtung, für die sich aber durchaus Erklärungsansätze finden lassen.

Die Freizeitgestaltung in der westlichen Welt hat sich verändert, sagen zumindest Trendforscher. Weg von reiner Erholung von der Arbeit, hin zu einer aktiven, aber loseren Gestaltung. "Mit der Individualisierung (…) werden die Lebensentwürfe dabei immer individueller und flexibler: Statt des einen lebenslangen Hobbys werden Freizeitinteressen und -aktivitäten häufiger gewechselt, oft auch parallel verfolgt, dafür aber weniger dauerhaft und verbindlich", wie es das Zukunfts institut im Jahr 2018 schrieb.

Hier spielt auch die "Eventi sierung" hinein: Hobbys werden nicht mehr jahrelang wöchentlich mittwochs um 18.30 Uhr ausgeübt, sondern zu kurzweilig interessanten Ereignissen, die auch auf Instagram entsprechend präsentiert werden können. In Verbindung mit dem Verfall der klassischen Statussymbole und demografischen Veränderungen (mehr urban lebende Singles und Kinderlose, die auch irgendwie ihre Samstage füllen müssen) ist es nicht verwunderlich, dass den Anbietern von Kursen die Türen eingerannt werden.

Sinnliche Erfahrung

Am frühen Vormittag sind im Rami die ersten Schüsseln und Aschenbecher fertiggetöpfert. Letzteres ist ein wenig die Reiß leine der Tonproduktion: Wenn man die Tonmenge falsch einschätzt oder die Fähigkeiten nicht ausreichen, kann man immer noch einen Aschenbecher daraus machen, der verzeiht fast alles. Die Schürzen, Hände und Gesichter der Teilnehmer sind mittlerweile mit dicken Streifen von grauem, nassen Ton bedeckt. Es wird viel gelacht. Alles glitscht, schwappt und klebt. Eine herr liche Sauerei.

Töpfern gilt im Allgemeinen als sinnlich. Zum einem in der Bedeutung von: Man arbeitet mit den Händen, taucht tief ins Material ein, spürt das Naturprodukt.

Zum anderen hat Töpfern aber natürlich auch etwas ein klein wenig Verführerisches. Und das nicht erst, seit der von den Toten zurückgekehrte Patrick Swayze in Ghost halbnackt hinter Demi Moore an der Töpferscheibe Platz nahm. Es hilft dabei nicht unbedingt, dass in dem Kurs ständig Sätze wie "Einfach Druck an der Seite ausüben und hoch- und runterziehen" oder "Die Technik liegt in den Fingerspitzen, aber der Daumen muss auch etwas tun" fallen.

Ein Wochenende lang dauert der Töpferkurs im zweiten Bezirk, meist ist er zwei Monate im Voraus ausgebucht.
Foto: Heribert Corn

Es wäre leicht, hier einen süffisanten Text über eine Generation zu schreiben, die sich nicht mehr allein beschäftigen kann, in Kurse rennt und dabei auch noch andauernd Selfies machen muss. Aber das wäre nicht nur simpel wie fies, sondern würde auch ein paar wichtige Aspekte unter den Tisch fallen lassen.

Erstens macht Töpfern an der Scheibe wirklich Spaß. Unter der fachgerechten Anleitung im Rami bringt man es nach einer kurzen Frustrationsphase schnell zu Erfolgserlebnissen. Und am Ende kann man im Normalfall sogar etwas mit nach Hause bringen, zum Beispiel ein paar Espressotassen oder Wassernäpfe für die Katzen. Oder hoffnungslos Patscherte eben einen Aschenbecher. Ähnliches gilt mutmaßlich auch für die Bierbrau-, Knödel- und Möbelbaukurse. Im besten Fall kommt man zu einem neuen Hobby, im schlimmsten Fall hat man ein, zwei Tage mit fröhlicher Aktivität gefüllt.

Die Angebote ermöglichen auch Stadtmenschen, in Techniken hineinzuschnuppern, die ihnen früher verborgen geblieben wären. Für manche ist es wirklich ein einmaliges Event, andere wollen durchaus dabeibleiben. Wie Alina Götz zum Beispiel. "Ich wollte das schon auf der Uni, immer mal töpfern. Es hat sich aber nicht ergeben", sagt sie. "Ich möchte auf jeden Fall weitermachen."

Abdrehen und Brennen

Am Ende des zweiten Tags des Töpferintensivkurses liegen die Erzeugnisse der Teilnehmer auf Brettern ausgebreitet auf den Tischen in der Mitte des Raumes. Sie haben das "Abdrehen" bereits hinter sich. Bei diesem Arbeitsschritt kommen die angetrockneten Schüsseln und Tassen erneut auf die Scheibe. Mit Werkzeugen entfernt man dann überschüssigen Ton, macht die Keramik insgesamt leichter, schöner und kann – falls gewünscht – auch Verzierungen einarbeiten. Manche Werke, die in den letzten zwei Tagen entstanden sind, schauen aus, als hätte sie ein Fünfjähriger getöpfert (die des Autors), manche sind deutlich professioneller (alle anderen). Die Schüsseln sind fertig zum Brennen, die Glasur erfolgt in einem anderen Kurs.

Der Autor ist fertig und zufrieden mit seiner Tonschüssel.
Foto: Heribert Corn

Während die Teilnehmer ihre Töpferscheiben reinigen, macht sich auf den Gesichtern über wiegend ein zufriedenes Grinsen breit. Traurig geht hier heute keiner raus. Die Entscheidung, mittels eines Intensivkurses einen Blick in das Handwerk zu werfen, scheint sich gelohnt zu haben. Und auch Hannah Seifert wirkt zufrieden mit ihrer Intensivklasse. Vielleicht hat sie ja am Anfang doch nicht gelogen. (Jonas Vogt, 7.7.2019)