Ein neues Genre erobert seit einiger Zeit die Games-Welt im Sturm. Sogenannte "Autobattler" schicken Spieler gegeneinander in Taktikschlachten auf einem Schachbrett, auf dem Armeen aus vom Spieler gesetzten Einheiten selbständig Kämpfe gegeneinander austragen.

Ins Rollen gebracht haben den Hype maßgeblich die Hersteller der zwei führenden Mobas. Valve hat eine "offizielle" Adaption des "Auto Chess"-Mods für Dota 2 in Form von Dota Underlords (PC, iOS, Android – Free2Play) umgesetzt. Riot Games hat wiederum das am League of Legends-Universum basierende Teamfight Tactics (PC – Free2Play) nachgelegt. Die Erfinder des Originals, dem schon erwähnten Dota-Mod, haben ebenfalls ein eigenständiges Spiel gebastelt.

Es heißt schlicht Auto Chess (iOS, Android, PC-Version in Arbeit – Free2Play). DER STANDARD hat es getestet und ergründet, was eigentlich hinter dem Phänomen steckt.

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Vorgeschichte

Zuerst noch eine kurze "historische" Abhandlung. Auto Chess wird von Drodo Entertainment entwickelt. Die Programmierer dahinter haben schon vor einiger Zeit damit begonnen, ein eigenständiges Game neben der Dota-Erweiterung zu programmieren.

Als Valve schließlich vorstellig wurde, war das Spiel bereits fast fertig. Statt gemeinsam an einem Spiel zu arbeiten, einigte man sich schließlich darauf, sich gegenseitig bei beiden Games zu unterstützen. Aus diesem Grund schneidet Drodo auch finanziell am Season Pass für Underlords mit.

Screenshot: Autochess

Zug um Zug zur mächtigen Armee

Doch genug der Vorgeschichte. Was ist dieses Auto Chess überhaupt? In diesem Spiel tritt man gegen sieben andere Kontrahenten an und wird Runde für Runde vor Entscheidungen gestellt. Zu Beginn steht man vor einem leeren Schlachtfeld und bekommt eine Auswahl an fünf Figuren, von denen man mit dem anfänglichen Guthabenstand von einem Goldstück eine kaufen sollte.

Die Einheiten verteilen sich in verschiedene Rassen und Klassen, die das klassische Spektrum abdecken. Es gibt klassische Nahkämpfer, die austeilen und relativ viel einstecken können, Fernkampfeinheiten, Magier für Flächenschaden, Assassinen, die die hinteren Reihen des Gegners attackieren und Figuren, die primär den Rest der Armee unterstützen, etwa durch Heilung. Jede Einheit hat einen normalen Angriff und eine Spezialfähigkeit, die sie nach einer gewissen Zeit, sofern sie über ausreichend Mana verfügt, ausführt.

Im ersten Zug bekommt man es mit ein paar schwächlichen Computergegnern zu tun, die man auf jeden Fall besiegt, so man nicht vergisst, eine Einheit zu kaufen und diese auch auf das Schachbrett im klassischen 8x8-Format zu stellen. Für den Sieg erhält man eine Belohnung und stellt sich anschließend mit mehr Gold und einer frischen Auswahl an kaufbaren Figuren den nächsten Computergegnern.

Dies wiederholt sich dann noch ein drittes Mal, ehe man es schließlich in zufälliger Abfolge mit den Armeen der Gegner konfrontiert wird. Aber auch danach gibt es immer wieder eingestreute Runden gegen KI-Gegner. Diese sind insofern von wichtiger Bedeutung, da jeder bezwungene Computerscherge mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit einen Gegenstand fallen lässt, mit dem man eigene Figuren aufrüsten kann.

Screenshot: Autochess

Erfahrung, Items, Synergien

Jede Schlacht in Auto Chess bringt außerdem auch einen Erfahrungspunkt. Hat man genug für den nächsten Levelaufstieg, darf man künftig eine Einheit mehr auf dem Feld platzieren. Gegen Geld (fünf Gold für vier Erfahrungspunkte) lässt sich aber auch Erfahrung kaufen, um diesen Prozess zu beschleunigen. Eben so wenig muss man sich mit dem jeweils angebotenen Figurensortiment zufrieden geben. Gegen einen kleinen Obulus von zwei Gold kann man sich fünf weitere Kämpfer vorschlagen lassen, die das Spiel zufällig aus einem mit allen anderen Spielern geteilten Kartenpool schöpft. Mit steigendem Spielerlevel dort auch seltenere, mächtigere und somit auch teurere Einheiten auf.

Willkürlich sollte man seine Einheiten freilich nicht zusammen würfeln. Die Figuren sollten in Kombination gut miteinander harmonieren. Zu achten ist also nicht nur auf die Mischung aus Offensive und Verteidigung, sondern auch auf die jeweiligen Rassen und Klassen. Denn mehrere unterschiedliche Einheiten der gleichen "Berufsgruppe" oder des gleichen Stammes sorgen für Synergieeffekte. Diese geben etwa ihnen selber oder allem Figuren der eigenen Armee Boni wie mehr Angriffsstärke oder verleihen ihnen Fähigkeiten, wie die Chance, Angriffen auszuweichen. Wer besser vorausplanen mag, kann auch jederzeit einen Blick auf die Aufstellungen seiner Kontrahenten werfen.

Sammeln, sammeln, sammeln

Ein wesentliches Element ist außerdem auch das Hochleveln der Einheiten selber. Hat man drei des gleichen Typs zusammengekauft, kann man aus dem Trio eine Level 2-Version der Figur schaffen, die deutlich bessere Attribute mitbringt. Gelingt es, auf der acht Plätze großen "Ersatzbank" noch zwei weitere Level 2-Ausgaben der Figur zu basteln, kann man eine Level 3-Einheit erzeugen, was gleichzeitig die finale Ausbaustufe darstellt.

Last but not least ist auch das Geldmanagement ein wesentlicher Aspekt. Denn man bekommt Zinsen auf das eigene Guthaben und je höher dieses ist, desto höher bemisst das Game auch den Bonus. Ebenfalls ein Aspekt, den man zwischen Einheitenkäufen und Levelups stets abwägen muss.

Zu Beginn der Partie hat jeder Spieler hundert Lebenspunkte. Verliert man gegen Mitspieler oder KI-Gegner, werden abhängig von der "Höhe" der Pleite Punkte abgezogen. Wer bei Null angelangt ist, scheidet aus – bis am Ende nur noch ein Teilnehmer übrig ist. Wer bis in die letzten Runden durchhält, muss etwa mit einer Spielzeit von 30 bis 40 Minuten rechnen.

Screenshot: Autochess

Was ist gelungen?

Auto Chess bietet eine Kombination aus Rundenstrategie und Sammelkarten und steht stellvertretend für eine frische Spielidee. Die Beschreibung des Prinzips mag auf den ersten Blick kompliziert wirken, doch die Mechaniken sind leicht erlernbar. Möglich macht das auch das Tutorial des Spieles. Ein solches fehlt derzeit übrigens bei Teamfight Tactics, bei Dota Underlords wurde es erst Mitte Juni nachgereicht. Auch kann man recht flott lernen, welche Einheit in etwa wie agiert. Es gibt schnell aufrufbare Tooltips, die Dinge erklären und ein Ingame-Kompendium zum Nachschlagen, auch wenn die teils schludrigen Übersetzungen hin und wieder mehr Fragen aufwerfen, als sie beantworten.

Das Experimentieren mit der eigenen Einheitenaufstellung macht vor allem in den ersten Stunden viel Spaß. Die Grafik ist "nett" und zweckmäßig. Rassen und Klassen werden mit einfachen Symbolen dargestellt, aktive Synergien zusätzlich eingeblendet.

Anrechnen darf man dem Spiel auch, dass es zwar Free2Play ist, aber nur rein kosmetische Dinge (etwa neue Schachbretter, Avatarfiguren oder Icons) käuflich erhältlich sind.

Was ist weniger gelungen?

Ein kleineres Defizit des Games ist sein Interface. Auch auf einem Tablet verdeckt die Figurenauswahl praktisch das gesamte Schachbrett. Das Menü für aufgesammelte Gegenstände hingegen ist vergleichsweise fummelig. Es wirkt insgesamt wie ein wenig durchdachter Hybrid aus Touch- und Mausmenüs, was gerade unter dem Zeitdruck, der zwischen den Kämpfen herrscht, nervig sein kann.

Wirklich frustrieren können in diesem Spiel allerdings Zufallsfaktoren, von denen es nicht gerade wenige gibt. Welche Figuren man zur Auswahl bekommt? Zufall. Bekommen meine Kämpfer durch ihren Synergieeffekt ein Schild? 30-Prozent Chance? Spiele ich im nächsten Zug gegen den aktuellen Führenden und sein mächtiges Deck oder den letzten, der schon aufgegeben hat und seine Armee gar nicht mehr ausbaut? Man weiß es nicht. Und werfen die KI-Gegner Gegenstände ab, die gut zu meinen Einheiten passen? Werfen sie überhaupt Gegenstände ab? Auch das sieht man erst, wenn es soweit ist.

Zwar sind gewisse Zufallsfaktoren in einem Spiel wichtig, um es nicht komplett berechenbar zu machen. Bisweilen entsteht aber der Eindruck, dass es nicht die vom Spieler setzbaren Handlungen (Welche Figuren kaufe ich? Wo am Feld platziere ich sie? Spare ich Gold an?) sind, die letztlich über den Gesamterfolg entscheiden. Spätestens wenn man seit mehreren Spielzügen und dutzenden Rerolls vergeblich auf die letzte Einheit wartet, um eine Figur endlich auf Level 3 heben zu können, kann der Frustfaktor beachtlich werden.

Ein Umstand, der aber auch Drodo aufgefallen zu sein scheint. Denn kurz vor Abschluss des Test wurde in einem Update die Einheit "Strange Egg" eiingeführt. Diese ist zwar mit fünf Gold recht teuer, kann aber als "Joker" eingesetzt werden, wenn auf das Levelup einer Figur nur noch eine gleiche Einheit fehlt. Ob diese Maßnahme ausreicht, um den Zufallsaspekt in diesem Punkt einzudämmen, bleibt abzuwarten.

Nach dem Ende (oder vorzeitigen Ausscheiden) kann man alle relevanten Statistiken in einer Übersicht betrachten.
Screenshot: Autochess

Fazit

Auto Chess zeigt einmal mehr, dass Fan-Ideen das Zeug dazu haben, für Bewegung im Spielemarkt zu sorgen. Dabei kombiniert es Zugänglichkeit und recht hohe Spieltiefe nach dem Prinzip "leicht zu lernen, schwer zu meistern". Die taktischen Optionen sind theoretisch groß – Einheitenabstimmungen, Synergieeffekte, Aufstellung, Levelaufstiege und Goldmanagement -, allerdings rücken sie aufgrund zahlreicher Zufallsfaktoren immer wieder in den Hintergrund.

In den schlechtesten Momenten hat man als Spieler das Gefühl, komplett machtlos zu sein, weil das Game einem scheinbar einfach nicht geben "will", was man braucht, um erfolgreich zu sein. In den besten Momenten freut man sich wie ein irres Genie, dass der eigene Masterplan voll aufgegangen ist, während man mit der eigenen Armee die Mannschaft des letzten Gegners im finalen Match verräumt.

Es gibt also sehr gute Ansätze, aber definitiv auch noch Baustellen. Wer neugierig ist, sollte sich das Game auf jeden Fall einmal zu Gemüte führen, denn Ansehen kostet hier immerhin ja nichts. Wem Mobile Games nicht so sehr behagen (der Betatest der PC-Version soll bald starten), kann sich stattdessen auch Dota Underlords oder Teamfight Tactics ansehen, die im Kern das gleiche Spielprinzip umsetzen. (Georg Pichler, 11.07.2019)