Andreas Treichl: "Zu viel Macht in einer Hand ist ungesund."

Foto: Regine Hendrich

Alpbach/Wien/Frankfurt – Die seit knapp zehn Jahren anhaltende Niedrigzinsphase in Europa wird nach Ansicht von Erste-Chef Andreas Treichl noch lange anhalten. Das werde noch "die nächsten zehn bis 15 Jahre" weitergehen, sagt der Banker am Dienstagabend bei den Wirtschaftsgesprächen des Forums Alpbach.

Durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) sei mit "Zinsen nichts mehr zu verdienen", so der Erste-Group-Chef. Die Österreicher hätten aufgrund der Zinssituation und ihrer Veranlagungsgewohnheiten im vergangenen Jahr weit über fünf Milliarden Euro an Vermögen verloren. Wegen den Niedrigzinsen und eines fehlenden Kapitalmarkts in Österreich – also wegen fehlenden Investmentalternativen – würde "alles in Immobilien gehen", erklärte Treichl. Auch von sehr wohlhabenden Bevölkerungsschichten werde vor allem in Wohnungen und Häuser investiert. "Deswegen wird Wohnraum so teuer, dass Jungfamilien es sich nicht mehr leisten können." Treichl plädierte dafür, für Besserverdiener Investmentalternativen zu finden, damit die Immobilienpreise wieder etwas sinken.

"Kapitalismus muss solidarisch werden"

Der Banker appellierte, das aktuelle Wirtschaftssystem zu reformieren. "Kapitalismus muss solidarisch werden. Ich bin bekennender Kapitalist", sagte Treichl beim Diskussionspanel "Kapitalismus und Demokratie – Ein Machtkampf?" im Tiroler Bergdorf Alpbach. Die Marktwirtschaft müsse weltweit möglichst vielen Menschen zugänglich sein. "Wenn das nicht stattfindet, hat Kapitalismus endgültig ausgedient." Man müsse jungen Menschen, die Möglichkeit geben, dass sie sich ein kleines Vermögen aufbauen können. Das sei aber mit Nullzinsen "sehr, sehr schwer zu erreichen".

Die wirtschaftliche Größe und Macht der US-Tech-Konzerne – etwa Apple, Facebook, Google – bezeichnete der Erste-Group-Chef als "furchterregend" und "unfassbar". "Zu viel Macht in einer Hand ist ungesund." Nachdem Europa den Zug bei Biotech, Fintech, künstlicher Intelligenz und Social Media verpasst habe, müsse die EU die weltweite Marktführerschaft bei Klimaschutzprodukten ("Green Tech") erreichen. "Das wird eine massive Industrie werden. Da kann Europa noch die Führerschaft übernehmen", so Treichl. (APA, 27.8.2019)