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Sebastian Kurz wird in einer neuen Biografie gehörig umschmeichelt.

Foto: Reuters/Foeger

Rechtzeitig vor der Nationalratswahl erscheint kommenden Mittwoch die erste Heiligenlegende über Sebastian Kurz. Verkauft wird die umfangreiche Lobeshymne allerdings als "offizielle Biografie", da sie vom porträtierten ÖVP-Obmann selbst autorisiert worden sei. Das Buch stammt aus der Feder von Judith Grohmann, einer Wiener Journalistin und Autorin, die seit 2016 mit Kurz in Kontakt steht.

Mit der ersten Begegnung von Grohmann und Kurz beginnt auch der schwülstige Prolog, der stilistisch eher an einen gymnasialen Erlebnisaufsatz erinnert. Detailreich ("In einer Pause beschloss ich, noch einen Schluck Kaffee zu trinken") schildert Grohmann ihren ersten Eindruck vom Objekt ihres Porträts: "Er sah aus dem Fenster und blickte gedankenversunken in die Ferne. Ob er uns wahrgenommen hatte, war fraglich." Zwei Zeilen später erschien Kurz der Autorin abermals "in Gedanken versunken". Für die spannungsgeladene Frage nach dem Grund der Kurz'schen Gedanken hat die Autorin allerdings sogleich eine gewagte Vermutung parat: "Der junge Außenminister war konzentriert und überdachte eine Angelegenheit, die ihn offenbar stark beschäftigte." Aha.

Baby auf der Überholspur

Im ersten Kapitel rekonstruiert Grohmann die ersten Schritte im Leben des Sebastian Kurz. Bedeutungsschwanger wird zur Geburt des späteren Kanzlers hingeleitet, die gleichsam den Mittelpunkt der Weltgeschichte bildet: "1986 war ein Jahr, in dem auch international sehr viel geschah (...) Und dieses spannende Jahr war erst acht Monate alt, als Sebastian Kurz in Wien geboren wurde." Dieser entpuppte sich – wie könnte es anders sein – "als ein Baby, das auf der Überholspur fuhr". Mit einem Jahr habe Kurz bereits die ersten kompletten Sätze gesprochen und "stellte damit viele andere Kinder in den Schatten", wie die Autorin zu berichten weiß.

Generell wird man Grohmann eine differenzierte Charakterzeichnung nicht vorwerfen dürfen. Den jungen Sebastian beschreibt seine schriftstellerische Verehrerin als "souverän", "wissbegierig", "ehrlich". Andererseits aber auch als "kommunikatives Talent", "authentisch", "ambitioniert", "entschlossen" und "bravourös".

Toller Charakter

Da überraschen dann auch die Wesenszüge des heutigen ÖVP-Obmanns nicht. Dieser habe eine "offene Art", "vermeidet Worthülsen", sei außerdem "sachlich und höflich", verkörpere "strategischen Weitblick", "ist rhetorisch geschickt", "arbeitet hart und ist eloquent", "besitzt ein großes Talent, den Menschen zuzuhören". Aufmüpfige Leser, die es noch immer nicht so recht glauben wollen, werden von der Autorin im Fortgang mit weiteren Kurz-Komplimenten traktiert, damit nur ja keine Zweifel aufkommen. Er sei "respektvoll im Ton, extrem freundlich, immer taktvoll", "ein bodenständiger Mann" und "außerdem sehr naturverbunden".

Zur Auflockerung dieser abwechslungsreichen Zuschreibungen beglückt Grohmann die Leser en passant mit tiefschürfenden lokalkundlichen Exkursen: "Die Bewohner Wiens – egal ob wohlhabend oder nicht – besuchen allesamt sehr gerne und auch oft klassische Konzerte."

Sobald es konkreter wird, wird es schnell einmal falsch. Laut Grohmann gab es 2000 eine Wahl, die Wolfgang Schüssel gewann (Seite 16) – tatsächlich fand besagte Wahl 1999 statt, und Schüssel wurde Dritter. Einen Klubobmann hält sie für ein Regierungsmitglied (Seite 34) und Hütteldorf für einen Wiener Bezirk (Seite 22).

In der ÖVP wurde die Biografie vorab gelesen

Ansonsten erfährt man bei Grohmann kaum Neues. Am interessantesten ist da noch die Schilderung jener Phase, in der Kurz 2011 mit nur 24 Jahren zum Integrationsstaatssekretär ernannt wurde. Glaubt man seiner Biografin, so hatte Kurz das Amt zunächst nicht annehmen wollen, da er sich selbst für zu jung und unerfahren hielt. Erst nach telefonischer Überzeugungsarbeit durch Josef Pröll und Michael Spindelegger ließ sich der damalige JVP-Chef zum Eintritt in die Regierung umstimmen. Doch selbst hier kann die Autorin ihr skurriles Faible für nebensächliche Trivialitäten nicht unterdrücken: "Allerdings erreichte er (Sebastian Kurz, Anm.) in dieser Nacht nicht alle seine Gesprächspartner telefonisch. Aus diesem Grund hinterließ er unzählige Nachrichten auf deren Handys."

Das Ende der Biografie fällt mit der unmittelbaren Gegenwart des Wahlkampfs zusammen. Hier übernimmt Grohmann nonchalant das Opfer-Narrativ der Volkspartei und stilisiert Kurz zur Zielscheibe von "Dirty Campaigning, Affären und damit einhergehenden Verleumdungen". Doch all das soll den Blick auf das große Ganze nicht trüben. Es wäre nicht Grohmann, würde sie nicht am Ende noch zur hochtrabenden Reflexion ausholen: "Was soll einmal in den Geschichtsbüchern über Sebastian Kurz stehen? Dass er als junger Politiker eine neue Politik des 21. Jahrhunderts geschaffen hat? Dass er einen Umbruch in der EU-Politik schaffte, der wertvoll war und der die Weiterentwicklung eines Landes bedeutete?" Für die Autorin steht die Antwort wohl schon fest.

All jene, die Substanzielles über Sebastian Kurz lesen wollen, sollten anderweitig Ausschau halten und können getrost einen weiten Bogen um dieses Buch machen. Fragt sich nur noch, wieso sich die ÖVP dazu hinreißen ließ, ein derartiges Buch als "offizielle Biografie" firmieren zu lassen. Aus ÖVP-Kreisen konnte der STANDARD in Erfahrung bringen, dass Grohmann tatsächlich Zugang zu Kurz und seinem familiären Umfeld hatte und dass das Buch seitens der ÖVP auch gegengelesen wurde. Glücklich scheint man in der Lichtenfelsgasse allerdings nicht zu sein. (Theo Anders, 6.9.2019)