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Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Scholz präsentierten am Freitag ein umfangreiches Klimapaket.

Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke

Müde saßen die Spitzen der großen Koalition am Freitagnachmittag bei der Pressekonferenz in Berlin. "Ich werde den Schlaf wieder nachholen", versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die mit den Vertretern von SPD, CDU und CSU zuvor 18 Stunden durchverhandelt hatte. Doch sie betonte auch: "Es hat Freude gemacht, um den richtigen Weg zu ringen."

Das versuchte die Koalition seit Monaten. "Fridays for Future hat uns alle aufgerüttelt", bekannte Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Warum in Deutschland nun dieses große Klimapaket erstellt wird, erklärte Merkel am Freitag so: "Wir leben heute nicht nachhaltig." Und sie räumte auch ein, dass Deutschland es "leider" und "mit großer Wahrscheinlichkeit" nicht schaffen werde, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2020 auf Basis des Jahres 1990 um 40 Prozent zu reduzieren.

Zertifikatehandel statt CO2-Steuer

Doch das neue Ziel – 55 Prozent bis 2030 – will man nun erreichen, sonst drohen auch hohe Strafzahlungen bei der EU. Künftig wird es einen Preis für den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids in den Sektoren Verkehr und Gebäude geben. Dieser soll nicht – wie zunächst von der SPD gefordert – über eine CO2-Steuer eingeführt werden, sondern über einen Zertifikatehandel, wie es ihn EU-weit schon für die Industrie gibt.

Der innerdeutsche Handel wird 2021 beginnen, allerdings mit einem niedrigen Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne. Dieser soll dann bis 2025 auf 35 Euro steigen und später bei 60 Euro gedeckelt werden. Zum Vergleich: Derzeit wird eine Tonne im europäischen Handel mit 26,30 Euro gehandelt. Die CO2-Bepreisung soll fossile Brennstoffe wie Benzin, Diesel und Heizöl verteuern. Bis zum Jahr 2026 könnten dies zehn Cent pro Liter sein.

54 Milliarden Euro

Damit die Bürgerinnen und Bürger nicht über Gebühr belastet werden, steigt im Gegenzug die Pendlerpauschale. Förderungen gibt es für jene, die eine alte Ölheizung gegen ein klimafreundliches Modell auswechseln. Der Einbau von neuen Ölheizungen soll ab 2026 verboten werden.

Bahnfahren wird billiger, Inlandsflüge verteuern sich, zudem will die Koalition den Ausbau des Ökostroms beschleunigen. Geplant sind auch eine Million Ladesäulen für Elektroautos.

Finanzminister Scholz bezifferte das Paket mit 54 Milliarden Euro bis zum Jahr 2023, an ihrem ausgeglichenen Haushalt will die Regierung dennoch festhalten.

Die Beschlüsse fielen am Freitag, als auch in Berlin und ganz Deutschland für mehr Klimaschutz demonstriert wurde. Die Klimaaktivisten wurden von Merkel explizit gelobt: "Wenn mich etwas beeindruckt, dann ist das, wenn Greta Thunberg sagt 'Unite behind the science'." Sie betonte aber auch: "Politik ist das, was möglich ist." Daher sei das Paket ein "Kompromiss mit Langzeitwirkung". Ein Experten-Gremium soll fortlaufend beurteilen, ob die Maßnahmen wirken.

Greenpeace enttäuscht

Autobauer, der Energiekonzern RWE und die Lufthansa lagen am Nachmittag, nach Bekanntwerden der Maßnahmen, an der Börse im Plus. Enttäuscht hingegen ist die Umweltorganisation Greenpeace, sie spricht von einem "lächerlich niedrigen CO2-Preis".

Auch die Klimaexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kempfert, sagt: "Die Beschlüsse werden nicht ausreichen, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen." Ähnlich sieht es Ottmar Edenhofer, Direktor am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung: "Es ist ein Anfang, aber das reicht nicht aus." Der "sehr niedrige Einstiegspreis" werde "wenig Lenkungswirkung haben".

Gabriel Felbermayer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel betont, es sei zu befürchten, "dass die deutschen Anstrengungen von höheren Emissionen im Ausland kompensiert werden". (Birgit Baumann aus Berlin, 21.9.2019)