Die sogenannte Tripolje-Kultur breitete sich zwischen 5.000 und 2.700 vor unserer Zeitrechnung in Osteuropa auf den heutigen Gebieten der Ukraine, Moldawiens und Rumäniens aus und ist für ihre für damalige Verhältnisse erstaunlich großen Siedlungen bekannt. So dürfte etwa jene Ansiedlung, deren Überreste in der Nähe des ukrainischen Dorfes Taljanky zu finden sind, eine Fläche von rund 340 Hektar eingenommen und mindestens 15.000 Menschen beherbergt haben.

Etwa so kann man sich eine der Megasiedlungen der Tripolje-Kultur vorstellen. In der ringförmig angelegten Siedlung lebten mindestens 15.000 Menschen.
Illustr.: Kenny Arne Lang Antonsen

Die neolithischen stadtähnlichen Strukturen aus mehreren tausend Häusern geben bis heute Rätsel auf, immerhin gab es damals noch keine staatlichen Strukturen – wie also waren diese Gesellschaften organisiert? Wie liefen dort Entscheidungsprozesse ab? Und vor allem: Warum verschwanden diese Megasiedlungen, die sich zunächst gleichzeitig mit der Urbanisierung Mesopotamiens entwickelten, häufig nach nur wenigen hundert Jahren wieder?

Versammlungshäuser geben Hinweise

Auf einige dieser Fragen könnten nun Wissenschafter Antworten gefunden haben. Ein ukrainisch-deutsches Forscherteam hat für seine im Fachjournal "Plos One" veröffentlichte Studie die soziale Hierarchie und politische Organisation dieser vorstädtischen Gesellschaften rekonstruiert. Den Experten gelang es dabei, anhand der Entwicklung sogenannter Versammlungshäuser die Veränderung von Entscheidungsebenen innerhalb der Großsiedlungen nachzuzeichnen.

Rekonstruktion der Tripolje-Siedlung Maidanetske 1 auf Basis geomagnetischer Untersuchungen.
Illustr.: Christian-Albrechts-Universität Kiel

"Während zu Beginn der Entwicklung der Großsiedlungen mindestens drei unterschiedliche Größenklassen dieser Versammlungshäuser bestehen, gibt es nach circa 300 Jahren nur noch die größten von ihnen", erklärt Robert Hofmann von der Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU). "Offensichtlich wurden die unteren und mittleren Entscheidungsebenen aufgrund innergesellschaftlicher Spannungen ausgeschaltet. Dies führt schließlich zur Auflösung der Großsiedlungen."

Die Versammlungshäuser waren öffentliche Gebäude, die von den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen der Großsiedlungen genutzt und unterhalten wurden. In ihnen fanden integrative Aktivitäten statt, die das Zusammenleben einer solch großen Anzahl von Menschen überhaupt erst möglich machten. Sie wurden für rituelle Handlungen genutzt, und in ihnen wurden Entscheidungen gefällt, die die ganze Kommune betrafen.

Kupferzeitliches Versammlungshaus nach der Freilegung: In einem offenen Hof und einem angrenzenden überdachten Gebäudeteil fand eine Vielzahl unterschiedlicher integrativer Aktivitäten statt.
Foto: SFB 1266

Zentralisierte Macht

In frühen Phasen der Tripolje-Siedlungen finden sich noch kleinere Versammlungshäuser, die vermutlich einzelnen Segmenten der Gesellschaft als integrative Orte zur Entscheidungsfindung auf niedriger hierarchischer Ebene dienten. Wachsende Bevölkerungszahlen und einsetzende Konflikte stärken die Bedeutung zentraler, die ganze Siedlung betreffender Institutionen, die auch baulich in riesigen, teils weithin sichtbaren Versammlungshäusern ihren Ausdruck finden. Dagegen verlieren die kleineren Versammlungshäuser an Bedeutung, bevor sie gänzlich verschwinden. Daraus schließen die Wissenschafter, dass die Macht, die zunächst noch über die Gemeinschaft verteilt war, auf eine zentrale Institution überging.

"Die drastische Zentralisierung und der Wegfall demokratischer Entscheidungsstrukturen auf unterer und mittlerer Ebene waren der Hauptgrund für den Kollaps der Tripolje-Großsiedlungen. Andere Gründe wie die Knappheit an Holz oder die Erschöpfung der Böden können wir ausschließen. Bis zu 10.000 Menschen konnten nicht durch nur eine zentrale Institution gemanagt werden", so Hofmann. Dies hat vermutlich dazu geführt, dass sich die vorstädtischen Strukturen wieder auflösten. (red, 30.9.2019)