Ich sperre das Vorhängeschloss auf, öffne die Holztüre zu meinem Lagerabteil und stehe plötzlich mitten in meinem alten Leben. Staubiger Holzgeruch umfängt mich, es ist ganz still. Auf acht Quadratmetern haben sie gewartet, die stummen Begleiter meiner Kindheit und Jugendjahre, die Möbel und Erinnerungsstücke aus der alten Wohnung meiner Eltern, die nach dem Tod meines Vaters erdrückend groß war und aufgelöst wurde.

Wohin mit den Sachen?
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Wo jedes einzelne Möbelstück stand, weiß ich noch ganz genau: der alte Spiegel aus dem Vorzimmer, dessen rissigen Goldrahmen meine Mutter repariert hat, die Küchenkredenz, auf deren Marmorplatte noch der von mir verursachte Fleck zu sehen ist, die Kommode mit der einen quietschenden Lade, in der die Bettwäsche aufbewahrt wurde. Die Kisten über Kisten voller Erinnerungen, die gestapelt in einer Ecke stehen. Und sofort ist die Überforderung da, die Freude, längst Vergessenes wiederzusehen, die Wehmut, mit der man an das ehemalige Zuhause denkt, in dem nun eine andere, noch vollständige Familie lebt.

Als würden sie hier auf mich warten, stehen die Fragmente meiner Vergangenheit dicht an dicht und übereinander sortiert im nüchternen Lagerabteil. Sie gehören nicht hierher, sind Fremdkörper in dieser Umgebung. Es ist der Versuch, längst Vergangenes zu konservieren. Nicht alles hat sich verändert, das alte Zuhause ist noch irgendwie hier, und ich bin es auch. Erinnerungen fangen an, mir zu entgleiten, doch was in diesem Abteil sicher verwahrt ist, bleibt mir – so fühlt es sich zumindest an.

Alles bei der Wohnungsauflösung sofort herzugeben und zu verkaufen wäre die eine Option gewesen. Die Entscheidung fiel dann aber auf die andere: alles aufzuheben bis – ja, bis wann eigentlich? 80 Euro kostet die Miete des Abteils im Monat, und das übersteigt in Summe mittlerweile bei weitem den Wert der bis auf weiteres zwischengelagerten Dinge. Es ist nicht billig, an der Vergangenheit festzuhalten. Eine Freundin in derselben Situation brauchte selbst circa fünf Jahre, sich vom Inhalt ihres Lagerabteils zu trennen. Es fühlt sich besser an, leichter, freier, sagt sie. Ich freue mich darauf. (Anya Antonius, 1.11.2019)