Indigene Stammesgemeinschaften und lokale Behörden haben in abgelegenen Gebieten in den indonesischen Provinzen Papua und Westpapua eigenständig Sperren verhängt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzuschränken. Die Ureinwohner blockierten Straßen, die in ihre Gebiete führen, um die Einschleppung durch Fremde zu verhindern, wie das Onlinemagazin "Mongabay" berichtet. Die Provinzbehörden beschränkten den Schiffs- und Flugverkehr auf Frachttransporte. Eine Verbreitung des Virus hätte im unterentwickelten Westpapua wohl desaströse Konsequenzen.

Die lokal verhängten Maßnahmen gegen Corona wurden von Jakarta scharf kritisiert – nur die Zentralregierung dürfe diese Schritte setzen. Präsident Joko Widodo hatte sich Ende März gegen Sperren ausgesprochen. Die Sorge der Regierung gilt wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Steigende Infektionszahlen

Am Donnerstag stieg die Zahl der Infizierten in Indonesien um 337 auf 3.293, das war der höchste Zuwachs an einem Tag bisher. Auch die Zahl der Toten erreichte am Donnerstag mit 40 Opfern einen neuen Rekordwert für einen einzelnen Tag. Die Dunkelziffer der Infizierten in Indonesien ist darüber hinaus im internationalen Vergleich vermutlich deutlich überdurchschnittlich. Pro eine Million Einwohner wurden hier erst 36 Tests durchgeführt, das Land liegt damit unter den Staaten mit mehr als 50 Millionen Einwohnern auf dem viertletzten Platz.

In den Provinzen Papua und Westpapua gibt es bisher erst einige Dutzend bestätigte Fälle, hier ist allerdings auch kaum eine Infrastruktur vorhanden, um wirksame Maßnahmen gegen die Seuche setzen zu können. In den schwer zugänglichen Gebieten im gebirgigen Regenwald leben mehr als 300 Stämme, die beinahe ebenso viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Diese leben in engen sozialen Bindungen, eine Isolation einzelner Infizierter ist unrealistisch. Das Coronavirus könnte hier im schlimmsten Falle daher ganze Ethnien und einzigartige Sprachfamilien auslöschen.

Gewaltsamer Konflikt

In Westpapua besteht die Gefahr, dass sich das Virus durch nicht auf Papua heimische Arbeiter verbreitet, die auf Plantagen oder im Bergbau tätig sind. Die Corona-Epidemie könnte auf dieser Weise den Westpapuakonflikt weiter anheizen, wenn die einheimische Bevölkerung durch Zugewanderte infiziert wird. Auch durch Angehörige der Armee und der Polizei könnte das Virus eingeschleppt werden. Diese werden sich auch nicht duch blockierte Straßen aufhalten lassen.

Seit im vergangenen Sommer der Konflikt wieder gewaltsam aufgeflammt ist, hat Indonesien die Präsenz seiner Streitkräfte in Westpapua massiv erhöht. Immer wieder kommt es zu Gefechten mit Rebellen. Im Februar wurde in den Bergen Westpapuas ein Armeehubschrauber entdeckt, der im vergangenen Juni abgestürzt war. Zwölf Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Ein Abschuss durch Rebellen ist nicht ausgeschlossen, jedenfalls aber wurden die Waffen aus dem Wrack geplündert, bevor die Armee es fand.

Gefechte mit Rebellen

Anfang März waren fast tausend Einwohner vor Kämpfen zwischen der Armee und der Nationalen Befreiungsarmee Westpapuas (West Papua National Liberation Army, WPNLA, respektive Tentara Pembebasan Nasional Papua Barat, TPNPB) in die Stadt Timika geflohen. Timika liegt direkt an der Abraumhalde der siebzig Kilometer enfernten Grasberg-Mine. Diese ist das größte Goldbergwerk der Welt, darüber hinaus handelt es sich um die Kupfermine mit den geringsten Produktionskosten.

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Ein riesiges Loch im Berg: die Grasberg-Mine.
Foto: Reuters/Antara

Die vom US-amerikanischen Bergbauunternehmen Freeport-McMoRan betriebene Mine ist der größte Steuerzahler Indonesiens und sicherte dem Staat schon zu Zeiten der Suharto-Diktatur fette Einnahmen. 2018 übernahm Indonesien mit seinem staatlichen Bergbauunternehmen PT Indonesia Asahan Aluminium (Inalum) die Mehrheit an der Mine.

Die reichen Erzvorkommen waren schon Ende der 1960er-Jahre mit ein Grund für die indonesische Besetzung und Annexion Westpapuas. Seit damals schwelt der Unabhängigkeitskampf mit unterschiedlicher Intensität. Immer wieder kommt es zu Angriffen auf die Infrastruktur des Bergbaubetriebes.

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Die Grasberg-Mine ist das größte Goldbergwerk der Welt und die Kupfermine mit den geringsten Produktionskosten. Umwelt und Menschenrechte bleiben auf der Strecke.
Foto: Reuters/Antara

Tödlicher Angriff

Am Montag vergangener Woche wurde der Freeport-Sitz in Timika angegriffen. Dabei wurde der neuseeländische Freeport-Mitarbeiter Graeme Thomas Wall erschossen, mehrere andere wurden verletzt. Die Armee machte eine Gruppe der WPNLA für die Attacke verantwortlich.

Während diese anscheinend auch die Verantwortung für den Angriff übernahm, wurden auch Zweifel an der offiziellen Darstellung laut. Ein indonesischer Vertreter von Human Rights Watch, Andreas Harsono, kritisiert, dass es bei derartigen Zwischenfällen kaum zu einer Aufarbeitung durch die Justiz komme.

Harsono erinnert an einen Vorfall im Jahr 2002, als drei Lehrer, darunter zwei US-Amerikaner, in dem Gebiet erschossen wurden. Sieben verhafteten Papuanern wurden Geständnisse abgepresst, doch indonesische Soldaten, die angeblich die bei dem Anschlag verwendete Munition verkauft haben sollen und bei dem Angriff anwesend waren, wurden nicht belangt, sagt Harsono. Erst im Februar war ein Soldat von einem Militärgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden, weil er Munition an papuanische Rebellen verkauft haben soll.

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Im Jahr 2006 wurde Antonius Wamang wegen des Todes von drei Lehrern zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Umstände des Vorfalls, insbesondere die Rolle des Militärs, blieben ungeklärt.
Foto: AP/Alangkara

Zahlreiche bewaffnete Gruppen aktiv

Harsono fordert daher eine Beteiligung Neuseelands an der Aufklärung des Angriffs auf das Freeport-Büro. In Timika seien viele bewaffnete Gruppen aktiv, und viele Personen hätten Bodyguards. Allein Freeport beschäftige dreitausend indonesische Soldaten, um das Unternehmen bei einen Aktivitäten zu schützen. Die Rebellengruppen sind untereinander tief gespalten, diese Rivalitäten weiß die indonesische Armee zu nutzen, erklärt Harsono. Es sei zwar nicht ungewöhnlich, dass Menschen in der Region ermordet würden, doch normalerweise seien nicht Ausländer das Ziel.

Auch ein Abgeordneter des Parlaments der Provinz, Laurenzus Kadepa, fordert von der Regierung eine unabhängige Aufklärung des Vorfalls mit Beteiligung internationaler Experten von den UN und Neuseeland.

Die Grasberg-Mine in Westpapua. Südlich davon liegt die Stadt Timika und die gewaltige Abraumhalde der Mine.

Einen Versuch, die Anliegen der papuanischen Unabhängigkeitsbewegung zu diskreditieren, hält auch Socratez Yoman, Präsident der Allianz der Baptistenkirchen in Westpapua und Aktivist, für möglich. In Neuseeland gebe es starke Unterstützung für den Kampf gegen die Menschenrechtsverletzungen in Westpapua, der Mord an einem Neuseeländer könnte daher darauf gezielt haben, dies zu untergraben, meint Yoman.

Aktivisten werden nicht freigelassen

In der Stadt Wamena in der Provinz Papua wurden unterdessen vergangene Woche wegen der Corona-Krise dutzende Häftlinge freigelassen. Die notorisch überbelegten indonesischen Gefängnisse bieten dem Coronavirus ideale Verhältnisse zur raschen Ausbreitung. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind in Indonesien 270.000 Menschen in Haft, mehr als doppelt so viele, wie die Kapazitäten der Gefängnisse zulassen würden.

Im Februar wurde ein Soldat von einem Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er Rebellen in Papua Munition verkauft haben soll.
Foto: APA/AFP/Narwawan

Weiter in Haft blieb jedoch der Pole Jakub Skrzypski, der wegen Hochverrats eine siebenjährige Haftstrafe absitzen muss. Er war 2018 als Tourist eingereist und soll mit Rebellengruppen in Kontakt gewesen sein. Skrzypski ist der erste Ausländer, der nach den indonesischen Hochverratsparagrafen verurteilt wurde. Gegen das Urteil hatte unter anderem auch das europäische Parlament prostetiert.

Weiter in Haft sind auch jene sechs Westpapua-Aktivisten, denen in Indonesiens Hauptstadt Jakarta der Prozess gemacht wird. Sie hatten im vergangenen August an einer Kundgebung für die Unabhängigkeit Westpapuas teilgenommen, dabei wurde auch die Morgensternflagge gezeigt. Ihnen drohen bis zu zwanzig Jahre Haft.

Den sechs Aktivisten drohen bei ihrem Prozess in Jakarta jahrelange Haftstrafen.
Foto: APA/AFP/Berry

Auch Papua-Neuguinea gefährdet

Der Westpapuakonflikt birgt auch die Gefahr der Einschleppung der Seuche ins benachbarte Papua-Neuguinea. Hier sind erst zwei Corona-Fälle dokumentiert, der erste wurde am 20. März bekanntgegeben. Dabei handelte es sich um einen aus Spanien eingereisten Europäer. Der zweite Fall betrifft eine einheimische Frau, die am Montag positiv getestet wurde, nachdem sie zwei Wochen lang Symptome der Krankheit hatte.

Doch die quer durch die Insel Neuguinea verlaufende 820 Kilometer lange Grenze führt durch unwegsames Gebiet und dichten Regenwald und kann weder von Indonesien noch von Papua-Neuguinea kontrolliert werden. Sowohl Rebellengruppen als auch Schmuggler queren die Grenze regelmäßig. Immer wieder fliehen auch tausende Einwohner Westpapuas vor dem Konflikt mit Indonesien nach Papua-Neuguinea. (Michael Vosatka, 10.4.2020)