In den Romanen der US-Bestsellerautorin Meg Wolitzer geht es immer um weibliche Idenditöten, vier ihrer 13 Romane wurden bereits verfilmt, zuletzt "Die Ehefrau" mit Clenn Close.

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Auch wenn es für einen Schriftsteller ein schöner Gedanke ist, dass man den Großteil seines Lebens der Sache widmet, die einen am meisten fasziniert, habe ich manchmal das Gefühl, ich widme die meiste Zeit dem Bemühen, mich von meinen Ängsten zu befreien. Wenn ich Prosa schreibe, vor allem, wenn es gut läuft, gelingt es mir, mir die Sorgen der Welt vom Leib zu halten.

Das Schreiben ist für mich das Einzige, das funktioniert; die Arbeit wird zu einem luftdichten Behälter. Giftige Dinge dürfen nicht herein; schließlich bin ich mein eigener Türsteher! Ich habe die volle Kontrolle, und in welchem anderen Bereich kann ich das schon behaupten?

Wir können weder andere Menschen noch Beziehungen noch Kinder kontrollieren, nur beim Schreiben gibt es durchgehende Phasen, in denen ich die absolute Bestimmerin bin. Ich schreibe, wie Zadie Smith sagte, um mein In-der- Welt-Sein, mein Empfinden auszuloten. Was bin ich anderes als mein Empfinden: mein Ich, meine Erfahrungen, die Veränderungen, die ich bewirkt und die ich erlebt habe?

Meg Wolitzer, "Das ist dein Leben". Übersetzt von Michaela Grabinger. 24,–Euro / 378 Seiten. Dumont, 2020
Cover: Dumont-Verlag

Neigungswinkel

Manche Schriftsteller schreiben, um sich ihren Geistern zu stellen. So mutig bin ich nicht. Mich muss man gewissermaßen anstechen, wenn ich schreibe. Ich schreibe oder lese auch nicht, um vor irgendetwas zu fliehen. Es gibt kein Entkommen; ich weiß gar nicht, was das heißen soll. Wenn ich arbeite, versuche ich eine Art Neigungswinkel herzustellen, eine schiefe Welt, eine interessante Welt.

Ich mag auch den physischen Akt des Schreibens. Er erfüllt mich mit einer rotwangigen Vitalität, wie eine sportliche Leistung, für die ich belohnt werden will. Ich empfinde eine tiefe Befriedigung, wenn ich mit einem Roman weiterkomme. Mein Mann ist Wissenschaftsautor, und beim Schreiben bin ich seiner Welt am nächsten, der Arbeit an kosmischen Rätseln und Theorien.

Ich spiele gern Scrabble und habe früher Kreuzworträtsel geschrieben. Vor Jahren habe ich mit Jesse Green das Rätsel für das New Yorker 7 Days-Magazin gemacht. Manchmal kommt mir das Schreiben so ähnlich vor: kryptisch, voller Hinweise, unergründlich, elegant.

Wie kommt man aus dem verschlossenen Raum eines vertrackten Romans, der nirgendwohin führt? Man hat mich Luftsprünge machen sehen (na ja, kleine), wenn mir für ein Problem in meiner Geschichte die Lösung eingefallen ist. Die Nuss zu knacken ist eine Aufgabe, die du dir stellst, sonst keiner. Es ist eine sehr persönliche Hausaufgabe.

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Ich schreibe, um Ideen auszutüfteln, die ich im Kopf sowieso ausgetüftelt hätte – um etwas Handfestes daraus zu machen. Schreiben ist die natürliche Ausweitung meines inneren Gequassels. Inneres Gequassel plus Imperativ ergibt ein Buch.

Mutter: Schriftstellerin

Ich wuchs in einer relativ ungewöhnlichen Situation auf: Meine Mutter war Schriftstellerin, wobei sie, im Gegensatz zu mir, erst sehr spät zum Schreiben kam. Ich war sechs oder sieben, als sie ihre erste Kurzgeschichte an die alte Saturday Evening Post verkaufte. Ich habe Freud und Leid ihrer Erfahrungen gesehen. Als ich zu schreiben anfing, schrieb ich für sie.

In der ersten Klasse hatte ich eine Lehrerin, die mir erlaubte, zu ihr ans Pult zu kommen und ihr meine Geschichten zu diktieren, weil sie schneller schreiben konnte als ich. Meine Mutter hat alle Geschichten aufgehoben, und wenn ich sie heute lese, merke ich, dass ich zu schreiben anfing, um die Welt zu verstehen. Später gab es nichts Schöneres, als von der Schule nach Hause zu laufen und Mom zu zeigen, was ich geschrieben hatte, weil ich wusste, dass ich von ihr immer Ermutigung bekam.

Bei einer Lesung meldete sich einmal eine ältere Frau und sagte, ihre Tochter versuche, sich als Drehbuchautorin durchzuschlagen, aber sie fürchte, ihre Tochter würde es nicht schaffen. Ich antwortete ihr, dass sie das Talent ihrer Tochter auf jeden Fall unterstützen müsse; in der Welt gibt es genug Gegenwind, aber als Mutter müsse sie immer zu ihr halten.

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Wahrgenommen werden

Ich studierte an der Brown University bei dem großartigen Schriftsteller John Hawkes, den wir Jack nannten. Eines Tages lief ich ihm auf dem Campus über den Weg, und um ihm zu gefallen, rutschte mir eine Lüge heraus: "Ich habe gerade eine Geschichte fertiggeschrieben." Dann musste ich nach Hause laufen und sie wirklich schreiben.

Später im Schriftstellerleben, wenn man regelmäßig veröffentlicht wird und nicht mehr ganz so besessen davon ist, bestimmten Leuten zu gefallen, kommt nicht dieser eine große Heureka-Moment wie bei der taub-blinden Schriftstellerin Helen Keller, als sie das Wort für Wasser lernte, sondern eine Reihe von Momenten – das aufregende Gefühl, nicht mehr ins Leere zu schreiben, sondern wahrgenommen zu werden.

Meinen ersten Roman verkaufte ich für 5000 Dollar an Random House, als ich noch in Brown studierte. Achtzehn Monate später kam er heraus. Eigentlich wollte ich nach dem Bachelor in Stanford weiterstudieren, aber ich beschloss, nach New York zu ziehen und auszuprobieren, ob ich das Zeug zur Schriftstellerin hatte.

Ich wohnte im Village und ernährte mich von indischem Take-away. Ich dachte nicht ans Geld. Ich dachte nur daran, dass ich einen Roman verkauft hatte und Schriftstellerin sein wollte. Kurze Zeit später bekam ich ein Stipendium der Künstlerkolonie MacDowell.

Es ist so lange her, ich war damals noch mit meiner Gitarre mit den No-Nukes-Aufklebern unterwegs, und in MacDowell setzte ich mich unter einen Baum und spielte The Water Is Wide. Distanziere ich mich heute von dem Mädchen von damals? Auf keinen Fall. Als Schriftstellerin haben wir die Pflicht, mit unserer Lächerlichkeit zu leben.

Cover: Verlag

Dankbar und glücklich

In den nächsten Jahren verkaufte ich meine Romane für minimal steigende Vorschüsse. Es waren andere Zeiten, und ich wäre nie auf die Idee gekommen zu fragen, wie viele, oder wie wenige, Exemplare verkauft wurden. Ich hatte das Gefühl, ich war erfolgreich, einfach weil ich veröffentlicht wurde.

Ich war dankbar und glücklich. Ich dachte nie darüber nach, dass mein Glück in Gefahr sein könnte, was es immer ist. Einige der Schriftsteller, mit denen ich groß wurde, verschwanden wieder von der Bildfläche. Fanden sie keinen Verlag mehr? Hatten sie zu schreiben aufgehört? Bei manchen weiß ich es wirklich nicht.

Ich hatte nie Geld, bis 1992 eines meiner Bücher verfilmt wurde. Das Timing war perfekt. Ich hatte gerade ein Baby bekommen und hatte keine Ahnung, wie ich Schreiben und Elternschaft unter einen Hut bringen sollte. Der Filmdeal kaufte mir Zeit. Er verschaffte mir eine Pause vom Hamsterrad des Schreibens und des Unterrichtens.

Platz im Hamsterrad

Heute habe ich meinen Platz im Hamsterrad längst wieder eingenommen, weil eines meiner Kinder im College ist und das zweite auf dem besten Weg dahin. Mein Mann ist auch Autor, und so führen wir beide dieses unsichere Leben mit einem Fuß auf der Bananenschale. Wir tun, was wir können. Es ist anstrengend, aber es macht Spaß.

Einmal saß ich auf dem Weg zu irgendeiner Veranstaltung mit lauter Schriftstellern im Auto, und wir sprachen auf dem Rücksitz über unsere Niederlagen und Enttäuschungen. Irgendwann drehte sich der Fahrer um und rief: "Ihr seid alle so gut! Wofür schämt ihr euch eigentlich?" Wir mussten über uns selbst lachen. Aber wir wussten, dass wir ein Gefühl beschrieben, das viele Schriftsteller kennen. (...)

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Kraftstrotzende Romane

Ich teile mein Schriftstellerleben in die Zeit vor und nach Die Ehefrau ein. Mir gefällt nur wenig von dem, was ich vorher geschrieben habe. Damals lebte ich in einer Welt der Sätze, die mir manchmal gefielen, aber die mich nicht glücklich machten. Ich war befangen, hielt mich am Lyrischen fest, war als Schriftstellerin gehemmt und zurückhaltend. Ich fürchtete, dass das, was ich schrieb, nicht genug Kraft besaß.

Die Bücher, die ich damals gerne las, waren viel stärker als die, die ich schrieb. Auch wenn ich Vorbehalte gegen Philip Roths Bücher habe, liebe ich das Kraftstrotzende seiner Romane. Was hielt mich davon ab, mit derselben Inbrunst zu schreiben, die ich beim Lesen empfand? Diese Frage packte ich an, als ich Die Ehefrau schrieb.

Wir leben nicht in besinnlichen Zeiten, aber das Schreiben ist eine besinnliche Erfahrung, selbst wenn die Vorstellung, dass etwas wohlüberlegt und langsam abläuft, statt sich sofort zu entfalten, nicht zur heutigen Schnelllebigkeit passt. Ich beneide Menschen, die mehr finanzielle Sicherheit haben, weil der Druck, Geld verdienen zu müssen, manchmal eine Belastung ist. Aber ich weiß auch, welches Glück ich habe, dass ich mich als Schriftstellerin durchsetzen konnte. Das war nie eine Selbstverständlichkeit. (Meg Wolitzer, 1.120.2020)

Übersetzung: Sophie Zeitz

Der leicht gekürzte Text von Meg Wolitzer stammt aus dem neuen Essayband, der Texte von 24 bedeutenden Schriftstellerinnen, u. a. von Eva Menasse, Joan Didion, Elfriede Jelinek und Hilary Mantel, versammelt:

Ilka Piepgras (Hg.), "Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben". 23,70 Euro / 286 Seiten. Kein-&-Aber-Verlag, 2020