Giganten der Spielzeugindustrie buhlen um Kinderherzen. Vieles, was Augen zum Leuchten bringt, verstaubt nach kurzer Zeit in einer Ecke.

Foto: Regine Hendrich

Herrlich war sie anzusehen, die Ritterburg aus deutschem Erlenholz. Von Hand geschnitzt, geschliffen, gewachst und geölt. Pädagogisch und ökologisch wertvoller geht nicht, erinnert sich Christoph. Der Wiener Vater liebt schöne Materialien und deren natürliche Alterung – der Sohn hat dafür wenig übrig. "Seit er zwei ist, schleppt er so viele Stecken nach Hause, dass wir ein riesiges Freudenfeuer entzünden könnten", erzählt Christoph, "im Kinderzimmer aber zieht Holz den Kürzeren." Gegen Roboter und Bausteine aus Plastik hatte die edle Wehranlage keine Chance.

Es ist ein Match, das schon millionenfach verloren ging. Werden Kinderzimmer der westlichen Welt mit Spielzeug angefüllt, ist Plastik das Material erster Wahl. Ein in einer modernen Konsumgesellschaft unabänderliches Naturgesetz, um Kinderaugen zum Leuchten zu bringen? Oder überschwemmen Eltern den Nachwuchs unbedacht mit nicht immer billigem, aber oft wertlosem Ramsch?

Knallbunte Kunststoffwelt

Wer mit Barbara Lackner einen Ausflug in die Shopping-City Süd am Rande Wiens unternimmt, lernt die knallbunte Kunststoffwelt in düsteren Farben kennen. Vor Jahren war die Mutter dreier Kinder schon einmal bei Toys R Us, wie der Smyths Toys Superstore damals noch hieß, um einem ihrer Söhne Playmobil-Männchen zu kaufen. Doch jetzt verschlägt es ihr die Sprache, als sie das funkelnde Spielzeugschlaraffenland betritt. "Mir fehlen die Worte", sagt Lackner, die selbst ein kleines Spielwarengeschäft betreibt: "Das ist eine Scheinschönheit, die traurig macht."

Von grell aufgedonnerten Püppchen bis zu Babybespaßungsgeräten, die schrill Melodien trällern, von mit Mixer und Kaffeemaschine ausgestatteten Spielküchen bis zu hochkomplexen Technikbaukästen für Kinder über die Volljährigkeit hinaus: Was sich hier in meterhohen Regalen stapelt, ist großteils aus Plastik.

Eine Holzabteilung gibt es am hinteren Ende eines Korridors zwar auch. Doch allein die mit Schaumstoffpatronen geladenen Maschinenpistolen nehmen mehr Raum ein.

Auslaufmodelle in Kinderzimmern? Spielzeughersteller experimentieren mit alternativen Rohstoffen, um auf herkömmliches Plastik verzichten zu können. Den (Lego-)Stein der Weisen fanden sie bisher nicht.
Foto: Regine Hendrich

Lackner hält vor einer Plastikgitarre inne, die den Kleinkindohren erste Rocktöne verheißt. "Das hat schon etwas Magisches", sagt sie, als sie die vierfärbigen Tasten, Hebel und Knöpfe inspiziert. All diese Geräte fingen zum Leuchten, Fiepen und Dudeln an, ohne dass man wirklich etwas dafür tun müsse: "Das ist die totale Reizüberflutung, die Kinder zu Ausführenden degradiert. Mir scheint, als werden wir früh zu Konsumenten erzogen, statt zu gestaltenden Menschen."

Spielzeug, das nichts kann

Wie sich die 53-Jährige Spielzeug vorstellt, lässt sich 20 Kilometer weiter südlich ausprobieren. In ihrem Einfamilienhaus in Baden hat sie erst Spielgruppen gestartet, um dann aufgrund des großen Interesses an den verwendeten Materialien das kleine Kellergeschäft Kokomoo aufzusperren.

Zu erstehen gibt es etwa das Sortiment des spanischen Erzeugers Grapat, der "Bye Bye Plastic" auf seine Pappschachteln schreibt. Handgemacht sind die in simplen Formen gehaltenen Holzsets – und nicht billig. 66,90 Euro kostet eine Selektion von in hübschen Farben bemalten Ringen, Blättchen und stilisierten Männchen.

Zum Leben erwecken

Natürlich fragten Eltern oft, warum sie so etwas kaufen sollten, erzählt Lackner – und liefert die Antwort gleich mit: Es seien die einfachen Spielsachen, die es ermöglichten, sich im "freien Spiel" auszudrücken.

"Kinder erwecken Dinge, die alles sein können, aber nichts sein müssen, mit ihrer Fantasie zum Leben", sagt sie und greift zu einem Karton mit in Grüntönen gehaltenen Mandala-Steinen in angedeuteter Zapfenform: "Kinder sortieren sie, bilden Mengen, lassen sie in der Flasche klingen, verwenden sie als Zahlungsmittel oder Futter für die Kuscheltiere, reihen sie zur Allee für die Holzeisenbahn auf." Allerdings reiche es nicht, das Spielzeug einfach in eine Schüssel zu kippen. Eltern müssten dies schon gezielt anbieten.

Zu viel Schrott

Kann Plastikspielzeug all diese Ansprüche denn nicht einlösen? So will Lackner das nicht verstanden wissen. Sie selbst hat Kunststoffprodukte im Angebot, Stapelsteine etwa oder Sandkübel, die dafür aber ziemlich bruchfest sind – und einer ihrer Söhne durfte sich, weil ein Herzenswunsch, sogar eine dieser Spielzeugwaffen zulegen. "Ich seh das nicht schwarz-weiß", sagt sie, "Plastik kann auch seine Berechtigung haben. Aber es gibt halt viel zu viel Schrott davon."

Zwischen Angst und Langeweile: Hier siedelt André Frank Zimpel das ideale Spielzeug an. Es dürfe weder unter- noch überfordern, sagt der Hamburger Erziehungswissenschafter, "sondern muss die Fantasie der Kinder auf Touren bringen".

Die zerlegte Puppe

Spielsachen, die alles vorgeben, engten die Kinder ein und würden rasch uninteressant – man denke an die sündteure Puppe, die auf Knopfdruck die immergleichen Sprüche abspult: "Die Kinder fangen dann an, das Teil zu zerlegen, um Motor und Sprachsensor zu finden. Das freut die Eltern nicht, ist aus meiner Sicht aber konsequent."

Doch so sehr er selbst den Geruch von Holz der ätherischen Öle wegen liebe – eine Frage des Materials sei all das prinzipiell nicht, sagt Zimpel. Aus pädagogischer Sicht gilt für ihn: "Ob Holz oder Plastik, ist egal."

So weit die Theorie. In der Praxis aber bietet das flexible Technopolymer – so der etwas exklusiver klingende Name für das Massenprodukt – die Möglichkeit, Spielsachen bis ins kleinste Detail auszuarbeiten. Die Industrie nützt das weidlich aus. Lego etwa wurde mit universell einsetzbaren Bauklötzen berühmt, aus denen sich immer neue Welten erschaffen lassen. Doch wer heute durch die Geschäfte spaziert, sieht vom Space-Shuttle bis zum Krankenhaus reihenweise mit exakter Anleitung versehene Bausätze, deren Teile kaum zweckentfremdet werden können.

Langeweile belebt das Geschäft

Manches Kind geht in Rollenspielen auf. Oft genug machen Eltern aber auch die Erfahrung, wie der Enthusiasmus beim Aufbau nach Vollendung in Desinteresse umschlägt – und das Werk in einer Ecke verstaubt.

Des einen Leid, des anderen Freud: Die Erzeuger hätten ein Interesse daran, dass Spielzeug rasch langweilig wird, sagt Zimpel, so sei die Nachfrage nach ständig Neuem garantiert. Dass diese nicht versiegt, bilde sich im "Horror" heillos überladener Kinderzimmer ab, so der Pädagoge: "Jedes Teil schreit: ,Mach was mit mir!‘ Das ist für Kinder wie Lärm, der sie in der Entwicklung ihrer Konzentrationsfähigkeit behindert."

Eltern gäben sich oft mit dem Glanz in den Augen ihrer Kinder im Moment der Geschenkübergabe zufrieden. Zu wenige stellten sich vorab die Frage, wie lange die Begeisterung denn anhalten wird.

Ohne emotionale Bindung

Bereits vor zehn Jahren belegte eine britische Studie, dass jedes Kind 238 Spielsachen besitzt. "Und das ist nur der Durchschnitt", sagt Jens Junge: "Es ist davon auszugehen, dass in manchen Kinderzimmern heute 500 Spielzeuge herumliegen – damit können Sie einen Laden aufmachen." Der Direktor des Instituts für Ludologie in Berlin empfiehlt Eltern, einen Gutteil in Keller und auf Flohmärkte zu verfrachten: "Kritisch wird es dann, wenn Kinder so viel Spielzeug haben, dass sie zu den einzelnen Dingen keine emotionale Bindung mehr haben. Was nicht benützt wird, soll weg."

"Was ich gegen Langeweile empfehle: Räumt das halbe Spielzeug aus dem Zimmer. Ein Kind ist kein Projekt, das unterhalten werden muss": Spielwarenhändlerin Franziska Fischerlehner
Foto: Regine Hendrich

Wie bei der Frage nach der Qualität gilt auch hier: Überflüssiges Spielzeug muss nicht zwangsläufig aus Plastik sein. Doch es liegt auf der Hand, dass das riesige und zu einem Teil günstige Angebot an Kunststoffartikeln ein Treiber der Überfrachtung ist. In modernen Warenhäusern grüßen gleich nach dem Eingang Regale, in denen jedes Stück zum Schnäppchenpreis zu haben ist.

"Räumt Spielzeug aus"

Francisca Fischerlehner hätte jeden Grund, sich über die Spielzeugschwemme zu freuen. Doch stattdessen spricht die Fachhändlerin, wie sie sagt, "gegen das eigene Geschäft: Das Erste, was ich gegen Langeweile empfehle: Räumt das halbe Spielzeug aus dem Zimmer! Ein Kind ist kein Projekt, das ständig unterhalten werden muss. Langweilt es sich, fällt ihm auch was ein." Ihre eigene Tochter erkor im Kindergartenalter eine Küchenlade mit alten Löffeln zum liebsten Spielzeug aus.

Wiewohl sie Plastik allein nicht als Ursache des Überflusses sieht, hat sich Fischerlehner in ihrer "Spielkiste" in Wien-Währing nachhaltigen und naturbelassenen Spielwaren verschrieben. Illusionen, dass sie dafür das Gros der Familien gewinnen kann, gibt sich die frühere Medienplanerin nicht hin. Ohne die Partnerschaft mit einem Kinderradhersteller käme sie schwer über die Runden, gibt sie offen zu und erzählt von Sandspielzeug aus Algengranulat, das sie einst im Sortiment hatte. "Es sah süß aus, war aber den Leuten zu teuer, was ich verstehe, denn es geht ja auch viel davon verloren."

Mit den gestylten Kinderwelten, die sich in sozialen Medien in zarten Pastellfarben präsentieren, habe die Realität wenig zu tun, meint die Geschäftsfrau. Kinder reflektierten vor allem auf bunte Signalfarben, und da habe Kunststoff vielfach die Nase vorn.

Milliardengewinne mit Bausteinen

Überhandgenommen hat Plastikspielzeug Anfang der Siebzigerjahre, als das Kunststoffspritzverfahren perfektioniert wurde, erklärt Karin Falkenberg, Leiterin des Spielzeugmuseums in Nürnberg und Institutskollegin des Ludologen Junge. Allesamt schlitterten traditionelle Blechspielzeugfabrikanten in die Pleite, oft hinweggefegt von billiger, schneller und bunter produzierender Konkurrenz aus Fernost. Solange der Wohlstand wächst, erfreut sich die Branche eines steten Booms: Allein in Deutschland sind die Umsätze der Spielzeugindustrie seit 2012 um 42 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro gewachsen.

Platzhirsch Lego haben die Lockdowns des Corona-Jahrs 2020 gar zu einem Boom verholfen. Der Umsatz des dänischen Konzerns stieg weltweit um 13 Prozent auf 5,9 Milliarden Euro.

Playmobil meldete 2020 einen Rekordumsatz von 758 Millionen Euro.
Foto: Regine Hendrich

Der Gewinn legte um ein Fünftel auf 1,7 Milliarden Euro zu. 134 neue Läden eröffneten innerhalb nur eines Jahres. Auch der deutsche Rivale Playmobil meldete 2020 einen Rekordumsatz von 758 Millionen Euro. Der US-Riese Mattel mit Klassikern wie Barbie und Hot Wheels baute sein Geschäft zeitgleich um zwei Prozent auf 4,6 Milliarden Dollar aus.

Unverwüstlich

Eltern, Omas und Opas drückten ihre Liebe an geschenkpflichtigen Feiertagen nun einmal über die Zahl der Präsente aus, sagen Falkenberg und Junge. Entpuppt sich vieles davon nicht in kurzer Zeit als unverrottbarer Müll? Man dürfe nicht alles über einen Kamm scheren, relativieren die beiden.

Es sei schon unheimlich, wenn 20 Jahre nachdem ein Frachtschiff vor Cornwall ein paar Container verloren hat, das Meer immer noch vom Salzwasser unversehrte Legoteile an die Küste spüle. Aber gerade Generationen prägendes "Weltspielzeug", worunter auch das deutsche Playmobil fällt, werde weitervererbt und -verkauft: "Das ist ein Unterschied zum Billigfabrikat, das nach dreimal Spielen kaputt ist. Plastik ist nicht gleich Plastik."

Falkenberg und Junge empfehlen, das Bewusstsein früh zu schärfen. Bieten Eltern alternative Materialen an, könne Verständnis für Umweltprobleme wachsen: "Wir sind Gewohnheitstiere. Kinder bekommen mit, dass Holz etwas Wertvolleres ist – und merken sich das auch. Es ist ja doof, wenn etwas gleich wieder auseinanderfällt."

Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit

In so mancher Familie tut sich zwischen Wunsch und Wirklichkeit allerdings eine Kluft auf. Geht es um Lebensmittel oder Textilien, erzählt etwa die dreifache Mutter Vera, habe Bio für sie Vorrang – doch beim Spielzeug sieht sie das weniger eng: "Holz beruhigt unser Gewissen und schaut nett aus. Gespielt wird damit aber nur bedingt."

Schon aus Kostengründen lasse sich Plastik nicht aus den Kinderzimmern verbannen, sagt die Steirerin. Um nicht die Kontrolle zu verlieren, gelten in ihrer Familie aber strenge Regeln: Wegwerfprodukte, von der Monsterpuppe bis zur Wundertüte, sind tabu.

Die Verwandtschaft darf nur auf elterliche Anleitung hin beschenken, wobei meist Bewährtes ergänzt und erweitert wird. Wachsen die Kinder raus oder platzen ihre Zimmer aus allen Nähten, wird verschenkt und am Flohmarkt verkauft. Wichtig sei ihr, sagt sie, dass Spielzeug durch Weitergabe einen Mehrwert habe.

Erst schick, dann sündig

Plastik ist Fluch und Segen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt, diente das damalige Nischenprodukt als Imitat für Seide und Elfenbein. Als entdeckt wurde, dass ein Abfallstoff der chemischen Industrie zur Herstellung taugt, trat der Kunststoff seinen Siegeszug an. Als schick, sauber und modern galt das massenhaft herstellbare Material, ohne das der Konsumboom nach dem Zweiten Weltkrieg undenkbar gewesen wäre.

Allein in Deutschland sind die Umsätze der Spielzeugindustrie seit 2012 um 42 Prozent auf 8,4 Milliarden Euro gewachsen.
Foto: Regine Hendrich

Die Umweltbewegung hat am Image gekratzt – brechen konnte sie das Wachstum nicht. Mittlerweile werden weltweit jährlich 330 Millionen Tonnen Kunststoff produziert, geht aus dem Plastikatlas der den deutschen Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung hervor. Bis 2050 soll sich das Volumen den Prognosen zufolge verdreifachen. Robust und dennoch leicht formbar, ist Plastik der ideale Werkstoff für die Spielwarenindustrie.

Kollateralschäden

Doch die Kollateralschäden sind vielfältig. Erzeugt wird Plastik unter hohem Einsatz von Energie und Wasser. Von der Herstellung bis zur Entsorgung sei Kunststoff für fünf Prozent der weltweiten Emissionen des Klimawandeltreibers CO2 verantwortlich, ist dem Plastikatlas zu entnehmen.

Etwa zehn Millionen Tonnen Plastikmüll landeten jährlich in den Meeren, das entspreche einer Lkw-Ladung Plastik pro Minute. Mikropartikel verteilen sich vom pazifischen Tiefseegraben bis zur Todeszone des Mount Everest, von den Mägen der Tiere bis zur menschlichen Plazenta.

Gefährliche Weichmacher

Österreich verwertet nur ein Drittel des anfallenden Plastiks, der Rest wird verbrannt. In Kinderhänden sehen Umweltschützer Spielwaren aus recycelten Stoffen ohnehin nur ungern. Zu groß sei das Risiko, dass darin schädlicher Elektroschrott vermengt wurde.

Schon Spielzeug aus neuem Plastik hat es in sich. Gesundheitsgefährdende Zusatzstoffe wie das vermutlich krebserregende Naphthalin etwa, das die Haut- und Atemwege reizt. Phthalate verwandeln hartes PVC in aufblasbare Planschbecken und Wasserbälle. Die hormonell wirksamen Weichmacher reichern sich in Innenräumen wie in Hausstaub an, gelangen über die Atemluft in den Körper und stehen im Verdacht, Unfruchtbarkeit zu verursachen.

In deutschen Kindergärten wurde im Schnitt eine dreimal höhere Belastung durch die Chemikalie festgestellt als in durchschnittlichen Haushalten, zeigte das Schnellwarnsystem Rapex auf, das die Branche EU-weit auf dem Radar hat.

Wenig Instrumente der Kontrolle

Behörden stoßen beim Versuch, chemische Verbindungen aufzuschlüsseln, rasch an ihre Grenzen. Die Analysekosten sind hoch, die Ergebnisse oft schwammig, die Gesetze kompliziert. Spielwarenhersteller müssen Inhaltsstoffe ihrer Produkte nicht ausweisen, wodurch Konsumenten kein Instrument der Kontrolle haben.

Allein scharfer Geruch weist mitunter auf Qualitätsmängel hin. Doch viele Produzenten wissen aufgrund komplexer internationaler Lieferketten selbst nicht genau, was in ihren Produkten eigentlich drin ist. Zur Verantwortung ziehen lässt sich bei Verstößen in der Regel keiner.

In Österreich fallen Spielwaren unter das Lebensmittelrecht. Ihre Kontrolle obliegt Inspektoren der Lebensmittelaufsicht. 2019 begutachtete die Agentur für Ernährungssicherheit 556 Produkte, geht aus einer aktuellen Anfragebeantwortung des Gesundheitsministeriums hervor. 216 wurden beanstandet, 21 erwiesen sich als gesundheitsschädlich. Bei zehn waren verbotene Weichmacher im Spiel.

Gefahr in der Sandkiste

Seit 2017 gab es hierzulande Rückrufaktionen bei 20 Spielwaren. Plastik wird vielfach Kontamination zum Verhängnis. Erst jüngst wurde deshalb Kinderschmuck eingezogen. Doch auch die Alternative taucht im Sündenregister der Behörden auf: Holzspielzeug steht wegen verschluckbarer Kleinteile regelmäßig am Pranger.

Eltern und Verwandte drücken ihre Liebe gern über die Zahl ihrer Geschenke aus. Jedes einzelne Teil schreit: Mach was mit mir!
Foto: Regine Hendrich

Auch Philipp Bruchbacher hat einen Blick für Gefahren. Sieht er seiner Tochter dabei zu, wie sie am Spielplatz mit fremden Leihgaben sandige Berge versetzt, stechen ihm brüchige Schaufeln und scharfkantige Siebe ins Auge.

Der Wiener ist Prokurist des Spielzeugherstellers Gowi, der für sich in Anspruch nimmt, Europas Sandkisten mit rund geformten, unverwüstlichen Werkzeugen zu versorgen. Holz und Metall seien gut und schön, sagt er. Doch wenn sich Kleinkinder gegenseitig Schaufeln auf den Kopf schlagen, gehöre auch deren Gewicht beachtet. "Kunststoff ist leicht, robust und langlebig."

Neustart nach der Pleite

1825 in Graz gegründet, war der Betrieb Ende der 50er-Jahre von Blech auf Kunststoff umgestiegen. Das Geschäft florierte, bis es billige Konkurrenz aus China vernichtete. 2009 schlitterte Gowi mit 100 Mitarbeitern und acht Millionen Euro Umsatz in die Pleite.

Heute ist die Marke mit Sitz in Mariazell in Hand des deutschen Unternehmers Rolf Krämer. Zehn Mitarbeiter setzen zwei Millionen Euro um, produziert wird über Partner zu 80 Prozent in Deutschland und der Slowakei. Abnehmer sind Kindergärten, Fachhändler und ein großer österreichischer Diskonter.

Urwald roden als Alternative

Bruchbacher nennt Plastik lieber Kunststoff – "das ist weniger negativ behaftet" – und zeigt Verständnis für die Kritik an seiner Branche. Dennoch will er Gowi nicht in einen Topf mit der Flut an Spielzeug, die zu mehr als 80 Prozent aus China kommt, werfen lassen: "Wir fertigen in Europa, wir beschäftigen hier Leute, wir zahlen hier Steuern und heben uns von der Massenware ab. Unsere Produkte lässt man nicht am Strand zurück."

2019 schlug Gowi einen Weg ein, auf dem auch zwei Riesen der Branche wandeln. Lego und Playmobil experimentieren mit biologischen Substituten für klassischen Kunststoff. Den Stein der Weisen fanden sie dabei bisher trotz hoher Investitionen nicht. Auch Gowi begann damit, alternative Rohstoffe zu verarbeiten.

Schmale Gratwanderung

Ein Zehntel seines Spielzeugs basiere mittlerweile auf Zuckerrohr, dessen CO2-Fußabdruck besser sei als jener des Erdöls, wie Bruchbacher sagt. Dass auch diese Option eine Kehrseite hat, räumt er offen ein. "Es ist nicht die beste Lösung, sondern ein Zwischenschritt. Es bleibt eine Gratwanderung."

An Alternativen zu Erdöl fehlt es in der Kunststoffherstellung nicht. Doch nachwachsende Rohstoffe wie Mais, Erdäpfel, Rüben, Raps, Palmöl und Zuckerrohr schaffen neue Probleme. Exportländer wie Brasilien roden Urwald, um unter hohem Einsatz von Pestiziden riesige Monokulturen zu züchten.

Je lukrativer das Geschäft, desto mehr Ressourcen werden der Lebensmittelindustrie entzogen – was zur Preissteigerungen und Versorgungsengpässen führen kann. Biologisch am Kompost abbaubar ist Spielzeug deswegen noch lange nicht. Das gilt auch für die Schaufeln und Küberl aus dem Hause Gowi.

Matador auf dem Holzweg

Matador unternahm einen Ausflug in die entgegengesetzte Richtung. Der Medienmacher Kurt Falk hatte den österreichischen Traditionsbetrieb 1978 erworben, um ein Reich so groß wie Lego zu schaffen. Er ersetzte Holz durch Kunststoff – und scheiterte. Die hohen Investitionen zerbröselten, 1987 sperrte Matador von einem Tag auf den anderen zu.

Neben den stillgelegten Maschinen standen noch die Häferln mit eingetrocknetem Kaffee, erinnert sich Michael Tobias, der die Markenrechte des Unternehmens zehn Jahre später erwarb. Der Neueigentümer verschrieb sich wieder strikt dem Holz und produziert heute in Waidhofen im Waldviertel aus heimischer Rotbuche mit zehn Mitarbeitern jährlich gut 50.000 Baukästen. 60 Prozent gehen in den weltweiten Export.

Dass Spielzeug den Nachwuchs vor allem ruhig stellen soll, hält der Betriebswirt für Unsinn. Nicht nur bei Kindern fördere Spiel Fingerfertigkeit, räumliches Denken und Kreativität. Matador mit seinen Hämmern und Zangen kommt auch in der Geriatrie wie in Seniorenheimen zum Einsatz, um manuelle Fähigkeiten und Feinmotorik zu schulen.

Nachhaltigkeit im Kinderzimmer

An Stolpersteinen fehlte es dem Spielzeug aus der Kaiserzeit seit seiner Wiederbelebung vor 25 Jahren nicht. Die Wahl des richtig gewachsenen Baumes sei eine Wissenschaft, seufzt Tobias, verarbeitet würden die Holzeile auf fünf Hundertstelmillimeter genau. Letztlich schütze ihn die komplexe Fertigung aber vor Plagiaten.

Trittbrettfahrer seien allesamt wieder vom Markt verschwunden – dafür tauchten neue Kunden auf. Sei Nachhaltigkeit in den Kinderzimmern jahrzehntelang nur ein Lippenbekenntnis gewesen, fließe der Grundsatz heute in die Kaufentscheidung vieler Eltern ein: "Die Trends der Zeit sprechen für Holz, unser Markt wächst."

Das erlebt auch Johannes Schüssler, der in zweiter Generation ein Spielwarengeschäft in Frohnleiten in der Steiermark führt. Der Branchenobmann in der Wirtschaftskammer sah schon viele Puppenküchen aus Holz in Schönheit sterben. Nun beobachtet er ein Umdenken, dem aber Grenzen gesetzt sind. Familien legten vermehrt Wert auf naturbelassene und regionale Fabrikate, doch letztlich sei es wie bei Lebensmitteln: "Nur Bio und Rindfleisch können sich die wenigsten leisten."

Plastik für alle sozialen Schichten

Hier trifft sich Unternehmertum mit pädagogischer Expertise. Bei allen ökologischen Nachteilen dürfe eines nicht unterschätzt werden, sagt der Erziehungswissenschafter Zimpel: "Die preiswerte Produktion in großen Mengen erlaubt allen gesellschaftlichen Schichten Zugang zu Spielzeug."

Dabei gehe es nicht bloß um Zerstreuung: Der Experte verweist auf Untersuchungen aus Berliner Hinterhöfen der Zwanzigerjahre, wonach Kinder aus Arbeiterfamilien intellektuell zurückfielen, weil ihnen Raum und Möglichkeiten zum Spielen fehlten. Während sich Altersgenossen aus der Mittelschicht vor der Schulpflicht nach Herzenslust im Spiel ausleben konnten, mussten Kinder aus schlechter situierten Familien Zeitungen austragen und kleine Arbeiten verrichten.

"Ein demokratischer Akt"

"Sie hatten nicht die gleichen Chancen, ihre Fantasie zu flexibilisieren und ihre mentale Stärke auszubauen", sagt Zimpel: "Stellt ein Spielzeugproduzent heute Plastikbausteine her, dann ist das irgendwo auch ein demokratischer Akt."

Petra fügt dem pragmatische Gründe hinzu. Beim Spielzeug, das sie überwiegend aus zweiter Hand kauft, habe sie schon viele ihrer ökologischen und nachhaltigen Grundsätze über Bord geworfen, erzählt die Mutter aus Niederösterreich. Klar habe sie keine Freud mit dem "Plastikklumpert" ihres Sohnes – und alles, was grell blinke und Lärm mache, komme ihr nichts ins Haus. Aber bei allen haptischen Nachteilen im Vergleich zu Holz, spiele es halt ansonsten alle Stückerl. Vor allem bei bunten Bausteinen komme man um die Kunststoffindustrie schwer herum.

Kinder von Plastik fernzuhalten funktioniere einfach nicht, resümiert Petra: "Irgendwann sind wir doch alle einfach nur froh, wenn unser Kind spielt und eine Ruh gibt." (Gerald John, Verena Kainrath, 3.7.2021)