Sie mussten mir etwas in den Wodka geschüttet haben oder ich hatte schon wieder eine über den Schädel gekriegt! Die Kopfschmerzen, die ich jetzt hatte, waren jedenfalls nicht mehr normal. Und, verdammt, wo war ich überhaupt?

Rote Socke: Manfred Rebhandl präsentiert seinen neuen Rock-Rockenschaub-Krimi – wo sonst – bei "Literatur im Gemeindebau". 1. Mai, 11 Uhr im Wiener Rabenhof (rabenhoftheater.com).
Foto: Christian Fischer

Seit ein paar Wochen nutzte ich wegen des Baulärms gegenüber jede Gelegenheit, um nicht zu Hause am Brunnenmarkt schlafen zu müssen, und nicht jede dieser Nächte hatte sich zu einem Triumph ausgewachsen. Neulich hatte ich erst sehr spät erkannt, dass Luisa aus Brasilien ... na ja. Sie hatte jedenfalls wirklich sehr gut für einen Mann ausgesehen! Aber, du meine Güte, jetzt war ich bei Jacky, der Taxifahrerin aus dem Kongo, mit der ich gestern in diesen Club in der Innenstadt gefahren war, zusammen mit Ku! Ich schaute auf die Uhr, und tatsächlich: Es war längst Erster Mai geworden.

"Nein, ich habe dich nicht hierher abgeschleppt, Rocky. Du wolltest unbedingt mit zu mir!", antwortete sie auf meine Frage, ob sie vielleicht vor dem Club auf mich gewartet hatte, um genau das zu tun. "Gewartet aber habe ich schon auf dich. Übrigens kannst du froh sein, dass ich dich gerettet habe."

Rettung

"Gerettet? Vor wem denn?" Ich musste wohl irgendwann aus dem Club gerobbt sein, nachdem drinnen das Chaos ausgebrochen war. Angeblich, so Jacky, waren Securitys hinter mir hergelaufen, aber, wie gesagt, entweder lag es am Wodka, dass ich mich an nichts erinnern konnte, oder es lag doch schon an meiner Birne. Jacky, so erzählte sie weiter, hatte mich in meinem kanariengelben Outfit entdeckt und aus der Gefahrenzone gebracht, und so schnell, wie sie Taxi fuhr, konnte man dabei schon von Rettung sprechen.

Aber Jacky war nicht nur Taxifahrerin, sondern auch Konzertpianistin, was sie mir verriet, während wir uns in ihrem großen Bett noch einmal liebten. Ein paar Eigenschaften an ihr würden aber dagegensprechen, dass sie es in Europa bis nach ganz oben schaffen würde: "Hautfarbe, Körpergröße, Herkunftsland. Als wäre ich eine Außerirdische!", stöhnte sie, als ich noch einmal über sie drüberrutschte.

Dabei war sie extra deswegen hierher geflüchtet, weil sie dachte, dass der Laden hier in Europa ein bisschen lockerer und cooler laufen würde als bei ihr zu Hause im Kongo. Aber falsch gedacht! "Na ja", sagte ich. "So ein bisschen außerirdisch bist du ja schon mit deinen Pianistinnenhänden." Um sie dann zu fragen, ob sie vielleicht mal zehn Aspirin für mich hätte. "Und kannst du mir bei der Gelegenheit auch mein Phone bringen? Es muss dort in meiner Hose stecken."

Hammer und Sichel

Das läutete nämlich schon länger in der Arschtasche meiner gelben Jogginghose, die neben dem Bett lag. Dabei war es erst knapp nach halb sechs Uhr früh. Dort lagen auch meine Unterhosen und die Latschen, die ich gestern Abend getragen hatte, aber nicht mein Hoodie. Die Socken, sah ich nun, hatte ich noch an.

Jacky, ganz Feministin, antwortete: "Hol dir dein Scheißphone doch selbst!" Und wackelte nackt zum Flügel, der mitten im Zimmer stand. Den hatte sie von einem alten, einsamen Witwer bekommen, der ihr ein bisschen Deutsch beigebracht hatte und für den sie im Gegenzug den Windeleinkauf erledigte.

Jackys Arsch war ein süßes, glänzendes Äpfelchen, in das ich gerne hineinbeißen wollte, auf ihre linke Arschbacke hatte sie den Hammer tätowiert, auf ihre rechte die Sichel. Sie schwang beide auf den Klaviersessel und fing an, Bella Ciao zu klimpern, driftete dann aber schnell ab in Richtung Nina Simone und Ain’t Got No, I Got Life, in voller Länge.

Mir rollten ein paar Tränen über die Wangen, so gerührt war ich. Gleichzeitig rutschte ich zu meiner Hose hinüber. Jede Bewegung verursachte heftige Schmerzen in meiner Birne, vor allem hinten hinauf. Ich griff in die Arschtasche und ertastete zunächst nur etwas, das wie ein Ohr aussah. Du lieber Himmel, wo hatte ich denn das her?

Ein aufrechter Sozi

Ich steckte es wieder zurück und zog endlich das Phone heraus, drückte auf Grün und sagte: "Gutti?" Es war nämlich Guttmann der Bulle, der bei der Abteilung Mord West der Wiener Kriminalpolizei arbeitete und ein durch und durch aufrechter Sozi war. Seine Eltern hatten früher einen Blumenladen gehabt und waren mal fett im Rote-Nelken-Geschäft gewesen. Das Blumengeschäft war aber irgendwann zusammen mit den Sozis verblüht, und jetzt war nur noch Guttmann fett.

Wir trafen uns regelmäßig in Dirty Willis Swedish Pornhouse, wo er sich am liebsten Big-Mama-Mia-Filme mit Big Mama Mia in der Hauptrolle anschaute. Gutti rief mich immer wieder mal an, wenn es wo einen Mord aufzuklären galt, und bat mich um Hilfe, weil er selbst mit der Welt nicht mehr Schritt halten konnte: Die Knie, der Zucker, das allgemeine Unwohlsein und das Leiden an der Welt setzten ihm zu. Dazu der Druck, der Stress und die Erwartungen an ihn, die er nicht mehr erfüllen konnte. Nicht zu vergessen die Einsamkeit, mit der er nicht zurechtkam.

Alles, was der Kapitalismus zu bieten hatte, drückte auf Gutti drauf. Im Gegenzug ließ er mich zusammen mit der Biene Mayr, seiner Forensikerin, alle zwei Monate in der Asservatenkammer stöbern, und wenn es darin etwas gab, das mir schmecken könnte, dann nahm ich es mit: beschlagnahmte russische Brühe, beschlagnahmte Zigaretten, beschlagnahmtes Bargeld.

Meinen mintgrünen Datsun hatte ich auch von dort, er hatte früher einem Zuhälter gehört. Ich war Gutti also für manches sehr dankbar, für anderes nicht. Zum Beispiel, wenn er mich um diese frühe Stunde bat, in den George-Washington-Hof im zehnten Bezirk zu kommen. "Wir sind im Ulmenhof, wenn du von der Triester Straße kommst, dann musst du zuerst durch den Birkenhof und den Ahornhof, und dann kommst du in den Ulmenhof."

Zum Rathaus marschieren?

Ich fragte: "Willst du von dort aus zum Rathaus marschieren, oder was?" Er aber sagte: "Lass mich in Ruhe mit Rathaus, wir haben hier zwei Morde!" So ein Mord konnte einem den ganzen Ersten Mai vermiesen, zwei trübten die Laune gleich noch mehr. In der Eile kam ich nicht einmal mehr zum Duschen. Andererseits: Warum duschen, wenn man einen gelben Jogginganzug hatte? Ich zog mir die Hose an, während ich gleichzeitig den Messagekanal meines Phones leer räumte.

Am zurückliegenden 20. April hatte ich Dirty Willi zum Geburtstag ein neues Phone geschenkt, weil er mich mit Anrufen über sein altes Nokia genervt hatte. Im Erstberuf war ich Privatdetektiv, im Zweitberuf seine rechte Hand im Pornokino: "Häng die Plakate für die Jack-Schleck-Retrospektive in den Schaukasten! Wo sind die Tit-Ecklung-Filme? Räum die Sportgummis im Buffet nach! Wer hat die angerotzten Taschentücher schon wieder nicht aus dem Kinosaal geräumt?"

Ich hatte mich für ein gebrauchtes Smartphone vom Albaner oben am Neubaugürtel entschieden, mit dem er sich wie ein quengelndes Kind in der U-Bahn beschäftigen sollte. Leider hatte er sehr bald die Kamerafunktion entdeckt und dann auch gleich die Kamera-Reverse-Funktion. Und sehr bald auch den verfluchten Messenger, über den wir normalerweise Lemmys Drogendeals abwickelten.

Irgendwann hatte er seine Hose zu fotografieren begonnen, irgendwann seinen offenen Hosenstall und dann seinen Lümmel, den er aus dem Hosenstall hängen ließ. Weiß der Teufel, warum er mir die Fotos schickte, aber er tat es halt! Und über die Nacht hatten sich wieder ein paar hundert davon in meinem Phone angesammelt.

Lieber alles vergessen

"Was schaust du denn?", fragte Jacky. Und ich sagte: "Dickpics." Sie lachte, als ich ihr Willis Lümmel zeigte, und fasste an meinen, bevor sie ihn noch einmal blies. Dann fragte ich, ob sie meinen Hoodie gesehen hätte. Sie holte ihn aus dem Trockner und meinte, dass sie ihn gleich zur Buntwäsche gegeben hätte, nachdem sie ihn mir vom Leib gerissen hatte, und dann im Schongang bei vierzig Grad gewaschen. "Aber wieso denn gewaschen?", fragte ich. "Weil er voll mit Blut war!" "Echt jetzt?" Das zusammen mit dem Ohr in meiner Hose machte mir ein wenig Sorgen.

Wenn mir in der Nacht der Film riss, dann war ich am Morgen danach selten froh, wenn ich die Teile wieder zusammensetzen konnte. Lieber alles vergessen, als sich an irgendetwas zu erinnern, das war meine Devise. Nun versuchte ich es trotzdem, weil auch ich nicht jeden Tag ein Ohr in der Hose hatte. Die eine Flasche Wodka. Moment! Die zweite Flasche nicht vergessen!

Dazu der Investor (mit seinen Riesenohren) und meine insgesamt aufgewühlt kapitalismusfeindliche Stimmung. Auch nicht ohne: mein Sodbrennen, sobald ich den Investor sah! Dann die Riot Pussies, die sich langsam um den VIP-Bereich des Investors herum sammelten. Und, verdammt, ist dann nicht auch noch der Kanzler neben dem Investor aufgetaucht, was mein Sodbrennen nur noch verstärkte? (Manfred Rebhandl, Vorabdruck, ALBUM, 30.4.2022)