Zur Person

Paul Debbage (56) (l.) ist Professor an der Medizinischen Universität Innsbruck, wo er den Forschungsschwerpunkt "Molecular and Functional Imaging" mitbegründet hat. Seit 2002 entwickelt der gebürtige Engländer Nanopartikel als Kontrastmedien für zukünftige Anwendungen in der Radiologie. Der Wahl-Stamser ist Mitglied der österreichischen Nano- Initiative, der Initiative für Nano-Networking und der europäischen Technologieplattform für Nanomedizin.

Frank Sinner (37) (r.) ist Geschäftsführer des österreichischen Forschungsnetzwerks BioNanoNet-GmbH, leitet das Projekt "Nano- Health" im Rahmen der österreichischen Nano-Initiative und ist Mitglied der europäischen Technologieplattform für Nanomedizin. Seit fünf Jahren ist der Chemiker für den Bereich Bioanalytik am Institut für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement bei Joanneum Research in Graz verantwortlich.

Foto: Standard/Dominic Ebenbichler
Nanotechnologie eröffnet ein neues Kapitel in der Medizin. Bis es Medikamente gibt, werden aber noch Jahre vergehen. Julia Harlfinger bat Chemiker und Nanonetzwerker Frank Sinner und den Zellbiologen Paul Debagge zum Gespräch über Chancen, Realität und Risiken.

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STANDARD: Nanotechnologie wird als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts gepriesen. Wann wird die Nanomedizin in Spital und Arztpraxis Einzug halten?

Sinner: Es gibt zurzeit nur ein einziges medizinisches Produkt auf dem Markt, das auf Nanotechnologie basiert. Und das ist das Brustkrebsmedikament "Abraxane". Es wurde 2005 durch die Food and Drug Administration (FDA), also die amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde, zugelassen. Allerdings sind gegenwärtig bereits über 250 Produkte in der klinischen Evaluierungsphase. Trotzdem wird es erst in zehn bis 15 Jahren wirklich substanzielle Produkte für den Wirkstofftransport durch Nanopartikel geben.

Debbage: Nanopartikel können nicht nur zehntausende Medikamentenmoleküle in sich tragen und gezielt dort im Körper freisetzen, wo sie gebraucht werden. Nanopartikel können auch Signale geben. In der Radiologie, also zu diagnostischen Zwecken, sind eisenhaltige Nanopartikel schon jetzt in Gebrauch. Durch noch spezifischere Nanopartikel wird man in zehn bis 20 Jahren in unterschiedlichsten Gebieten, zum Beispiel in der Kardiologie oder Onkologie, Krankheiten viel früher diagnostizieren können als heute.

STANDARD: Das klingt ein bisschen nach Sciencefiction. Was tut sich in Ihren Labors, damit Nanomedizin in Österreich vorankommt?

Debbage: Meine Arbeitsgruppe forscht an Nanopartikeln, die mithilfe von bildgebenden Verfahren, also Magnetresonanztomografie, Computertomografie oder "Optical Imaging" sichtbar werden. Durch diese Partikel, die wir in Zusammenarbeit mit Kollegen in Österreich und Europa entwickeln, möchten wir das Krankheitsgeschehen im Frühstadium abbilden: zum Beispiel kranke Stellen in den Arterien und im Herz bei kardiovaskulären Erkrankungen. Wir hoffen auch, dass wir Krebsarten des Magen-Darm-Trakts aufspüren können - und zwar durch Nanopartikel zum Schlucken. Allein die Früherkennung von Dickdarmkrebs wäre eigentlich mehr Geld wert als alles, was man bisher in die Nanomedizin investiert hat.

Sinner: Das Institut für Medizinische Systemtechnik und Gesundheitsmanagement am Joanneum Research stellt High-End-Analytik zur Verfügung. Zudem koordinieren wir das Verbundprojekt "Nano-Health", welches zurzeit aus elf Projekten besteht.

STANDARD: Wurden nanomedizinische Produkte in Österreich bereits am Menschen erprobt?

Debbage: Bislang noch nicht. Wir machen in Innsbruck allerdings die ersten Versuche mit Tieren, um für eine künftige klinische Anwendung eine möglichst hohe Sicherheit für den Menschen zu erreichen. Dabei wollen wir folgende Fragen klären: Was passiert mit den Nanopartikeln, wenn sie ins Blut oder in den Darm kommen? Wie lange bleiben die Partikel im Körper der Tiere? Sind sie toxisch? Wir werden unsere Nanopartikel weiter optimieren, damit ihre Verweildauer im Körper kürzer wird, sie aber noch stärkere Signale geben. In den nächsten fünf Jahren wollen wir die ersten Versuche am Menschen machen, natürlich mit allen Sicherheitsmaßnahmen.

STANDARD: Spielt das Abwägen von Risiken eine große Rolle für Forscher aus der Nanomedizin?

Sinner: In der Nanomedizin ist das Sicherheitsdenken ein integraler Bestandteil, denn man will mit den Partikeln ja später in den Menschen gehen. Die einzelnen Schritte sind sehr stark reglementiert, damit die Gefahr einer potenziellen Gesundheitsschädlichkeit auf ein Minimum reduziert wird. Deswegen dauert es ja auch zehn bis 15 Jahre, bis ein neues Medikament auf den Markt kommt.

STANDARD: Was, außer Durchhaltevermögen, ist noch wichtig für den Erfolg in der österreichischen Nanomedizin-Community?

Sinner: Einerseits sind wir auf eine nachhaltige finanzielle Förderung angewiesen. Anderseits ist man bei langfristigen Unternehmungen von der interdisziplinären Zusammenarbeit unterschiedlichster Spezialialisten abhängig, etwa Chemiker, Biologen, Mediziner, Pharmazeuten. Im europäischen Kontext sollte man unbedingt die Stärke von Österreich ausnutzen: Weil wir klein sind, kennen wir uns und reden miteinander.

STANDARD: Warum stehen Forscher aus der Nanomedizin relativ oft in der Öffentlichkeit obwohl es noch gar keine konkreten Produkte gibt?

Debbage: Wir erforschen Neuland. Und für die Bürger bringt Neuland immer einen Hauch Gefahr mit sich. Gleichzeitig wollen die meisten Menschen eine frühere Diagnose und eine genauere, bequemere, effektivere Behandlung. Daher müssen wir die Öffentlichkeit über unsere Arbeit informieren. Horrorstorys in den Medien schaden der Forschung und schüren Ängste.

Sinner: Heutzutage kann man als Forscher nicht mehr allein im stillen Kämmerlein sitzen. Man muss auch medienpräsent sein, um die guten Ergebnisse zu verkaufen und um weiterhin öffentliche Fördergelder zu bekommen. Man muss allerdings schon sehr, sehr vorsichtig sein und ehrlich kommunizieren, um keine falsche Hoffnungen bei kranken Menschen zu wecken. Immer wieder tauchen in den Medien Bilder von Nanorobotern auf, die im Blutstrom zum Herz schwimmen, um dort etwas zu reparieren. Auf der Basis des heutigen Wissenstandes ist dies aufgrund physikalischer Gegebenheiten aber unmöglich.

STANDARD: Wie unbedenklich sind denn frei erhältliche Nanoprodukte wie Nahrungsergänzungs- oder Hautpflegemittel für den menschlichen Körper?

Debbage: Nano ist eigentlich in allem, was wir essen. Im Grunde könnte jeder Käsehersteller für sein Produkt mit der Vorsilbe "Nano" werben. Allerdings: Die Proteinpartikel im Käse sind natürliche Nanopartikel. Künstliche, von Menschenhand entworfene Nanopartikel als Zusatz in Nahrungsmitteln müssen immer deklariert werden.

Sinner: Der Konsument kann gar nicht nachvollziehen, ob "Nano" überhaupt drin ist, wo "Nano" draufsteht, zum Beispiel bei Putzmitteln oder Kosmetika. Die Auflagen für solche Produkte sind bei Weitem nicht so streng wie in der Medizin. Die Entscheidung für oder gegen ein Nanotechnologie-Produkt ist für mich eine Kosten-Nutzen-Abwägung: In der Medizin sollen mithilfe der Nanotechnologie Krankheiten behandelt werden, die sehr schlechte Prognosen haben. Dort kann man meiner Meinung nach ein - wenn auch minimalisiertes - Risiko eingehen. Ob man zum jetzigen Zeitpunkt und beim jetzigen Wissenstand unbedingt einen Lippenstift benutzen will, wo Nanotechnologie drin ist, muss jeder selbst entscheiden.

STANDARD: Die Nanomedizin macht Hoffnung auf die Heilung von einigen der häufigsten tödlichen Krankheiten: Wenn Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes 'repariert' sind - woran werden wir in Zukunft leiden und sterben?

Sinner: Das sind sehr ernste Erkrankungen, deren Behandlung noch lange schwierig sein wird. Aber die gesunde, krankheitsfreie Zeit wird sich verlängern, das heißt: Wir werden länger gesund sein.

Debbage: Auch im Zeitalter der technologisierten Medizin werden im Alter verschiedene Organsysteme ausfallen. Man kann natürlich versuchen, diese Systeme - jedes für sich - zu reparieren. Die Gesellschaft wird sich allerdings mit der Kosten-Nutzen-Frage auseinandersetzen müssen. Lohnt es sich noch, so viel Gesellschaftsgeld auszugeben? Diese Frage steht zwar heute schon im Raum, durch die Nanomedizin wird sie intensiviert.

STANDARD: Intensiviert haben sich auch die Diskussionen rund um die Kosten unseres Gesundheitssystems. Werden durch die Nanotechnologie etwa medizinische Luxusmethoden entwickelt, die viel zu teuer sind?

Sinner: Finanzielle Entlastung wird die Nanomedizin vermutlich keine bringen. Es ist ja Hightech-Medizin.

Debbage: Ich sehe schon Möglichkeiten, wie Nanomedizin helfen könnte, Kosten zu sparen: Man könnte viel mehr prophylaktisch unternehmen. Durch die Frühdiagnostik ließen sich teure Therapiemaßnahmen vermeiden, zum Beispiel bei Diabetikern, deren Krankheit in der Regel viel zu spät festgestellt wird.

Sinner: Nach einer Chemotherapie würde man genau beobachten, ob der Krebs wieder ausbricht. Erkennt man ihn früh, kann man mit guten Chancen neu therapieren.

Debbage: Möglicherweise wird es auch ein Blutscreening geben, das Brustkrebs oder Darmkrebs feststellen kann. Auch bei einer Früherkennung von Arteriosklerose könnte man die Betroffenen rechtzeitig warnen, ihren Lifestyle zu verbessern - etwa nicht mehr zu rauchen oder sich ab sofort bewusster und gesünder zu ernähren.

STANDARD: Wer wählt aus, welche Erkrankungen erforscht werden?

Sinner: Meist die Industrie, die sich in diesen Bereichen auch wirklich einbringen will. Das ist natürlich ein Vorteil. Der Nachteil ist, dass nur Krankheiten ausgewählt werden, die wirtschaftlich interessant sind. Seltene Krankheiten werden vernachlässigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.11.2006)