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Foto: REUTERS/Alexander Demianchuk
"Ein Gespenst geht um in den USA, das Gespenst des Atheismus." So könnte man in Anlehnung an Karl Marx und Friedrich Engels auf den Punkt bringen, was sich seit einigen Monaten in "God's own country" abspielt. Eine einflussreiche Gruppe von Wissenschaftern und Intellektuellen hat begonnen, gegen Gott und die Religionen mobil zu machen, und scheint damit offene Türen einzurennen.

Der Karl Marx des neuen Atheismus heißt Richard Dawkins und ist renommierter britischer Evolutionsbiologe mit Professur an der Universität Oxford. Sein atheistisches Manifest nennt sich The God Delusion (auf Deutsch Der Gotteswahn), erschien vor drei Monaten und steht seit Wochen in allen US-amerikanischen und britischen Bestsellerlisten ganz oben. Das Time-Magazin widmete ihm und der von ihm angeführten Bewegung der "neuen Atheisten" im Spätherbst ebenso eine Covergeschichte wie die einflussreiche Technologiezeitschrift Wired.

Dawkins, der 2005 im Magazin Prospect nach Noam Chomsky und Umberto Eco zum drittwichtigsten Intellektuellen weltweit gewählt wurde (Benedikt XVI. belegte übrigens Platz 17), beschränkt sich bei seinem Kreuzzug gegen Gott nicht allein auf ausverkaufte Vorträge und auf das traditionelle Medium Buch. Der Evolutionsbiologe hat vor einem Jahr im britischen Fernsehen eine zweiteilige TV-Dokumentation mit dem Titel Root of All Evil? präsentiert, bei der es um die destruktive Rolle der Religion in der Moderne ging.

Zudem gründete der Atheist für seine Missionstätigkeit kürzlich auch noch eine eigene Stiftung, die Richard Dawkins Foundation for Reason and Science. Ihre Homepage nützt alle Möglichkeiten des Web 2.0, inklusive Internet-Videos von seinen Lesungen. Und sie verlinkt zu allen möglichen atheistischen Vereinigungen und Initiativen wie der Rational Response Sqad, die zu öffentlichen Blasphemie-Bekundungen aufgerufen hat (siehe Artikel unten).

Eine dieser neuen atheistischen Gruppen, die sich eine strikt naturalistische Weltsicht ohne Gott auf die Fahnen geschrieben hat, nennt sich "Bright". Die 2003 ins Leben gerufene, lose Vereinigung, der neben Dawkins eine ganze Reihe führender Wissenschafter wie Daniel Dennett oder Steven Pinker angehören, hat das Ziel, Atheismus durch diesen neuen Begriff positiv zu besetzen - ähnlich wie das den Homosexuellen mit dem Begriff "Gay" gelang.

Vor allem in den USA sollen dadurch die Akzeptanz für nicht religiöse Menschen erhöht und naturwissenschaftliche Grundeinsichten durchgesetzt werden. Und in beiden Fällen haben Dawkins & Co noch viel Arbeit vor sich: Einer Gallup-Umfrage vom vergangenen Oktober zufolge gehen 53 Prozent aller US-Bürger davon aus, dass die Erde vor 6000 Jahren entstanden ist. Eine rezente Umfrage der Zeitschrift Newsweek wiederum ermittelte, dass 92 Prozent der US-Amerikaner an einen Gott glauben. Dagegen können sich bloß 37 Prozent vorstellen, einen atheistischen Kandidaten ins Präsidentenamt zu wählen.

Um eine Emanzipation des Atheismus geht es auch Richard Dawkins in seiner flott geschriebenen Streitschrift The God Delusion, die gleich auf mehreren Fronten den Kampf mit der Religion aufnimmt. Dafür verlässt der Evolutionsbiologe mitunter auch schon einmal den festen Boden der Naturwissenschaft und begibt sich immer wieder aufs glatte Parkett der Philosophie , wo er nicht immer eine so ganz überzeugende Figur macht.

Gleich in den ersten Abschnitten von The God Delusion nimmt er sich die wichtigsten Argumente für und wider die Existenz Gottes vor, um im vierten Kapitel unter dem Titel "Why there almost certainly is no god" sein Kern- argument zu präsentieren. Das wiederum richtet sich vor allem gegen die Verfechter des Intelligent Design (ID), die vor eineinhalb Jahren im Wiener Erzbischof Kardinal Schönborn einen prominenten Fürsprecher fanden.

Für die ID-Vertreter ist nichts ohne einen Schöpfergott zu denken: Dass die Komplexität des Lebens bloß durch Evolution und Zufall entstanden sei, wie das die Neodarwinisten behaupten, sei ähnlich unwahrscheinlich wie das zufällige Entstehen einer Boeing 747 aus umherfliegenden Trümmern in einem Tornado. Dawkins dreht diese Argumentation einfach um: Denn jeder Gott, der dazu imstande wäre, die Komplexität des Leben zu planen, müsste im Grunde noch komplexer sein als das, was er geschaffen hat - was ihn nicht eben wahrscheinlicher macht.

Mit solchen Spitzfindigkeiten hält sich Dawkins indes nicht allzu lange auf. Vielmehr ist er an der Praxis der Religion interessiert, also zum Beispiel auch an der Frage, warum sie so verbreitet ist. Zu Beantwortung dieser Frage bemüht er einmal mehr seinen privaten Hausgott Charles Darwin und erklärt - wie der Philosoph Daniel Dennett - den allgegenwärtigen Glauben an Gott als evolutionäres Nebenprodukt. Religöse Gedanken sind für Dawkins wie mentale Viren, die sich ähnlich einem Computervirus von Gehirn zu Gehirn verbreiten. Die Kindern vermittelte religiöse Erziehung bezeichnet er gar als geistigen Kindesmissbrauch.

Im Rest des Buchs erklärt der gottlose Prediger, warum es keinen Gott braucht, um ein guter Mensch zu sein, und führt seitenlang Belege dafür an, warum die Religion umgekehrt keine so gute Sache für die Welt ist, und erinnert an all die Verbrechen, die im Namen der Religion und des religiösen Fundamentalismus begangen wurden.

Obwohl ähnlich überzeugend und eingängig geschrieben wie Dawkins bisherige acht Bestseller, wurde The God Delusion nicht nur positiv aufgenommen. Manche Rezensenten kritisieren Dawkins' mangelnde theologische Kenntnisse. Einige Kommentatoren sind aber auch von der Radikalität seines Atheismus verstört.

Der Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal etwa hält den atheistischen Missionseifer seines britischen Kollegen für eine ähnliche Kompetenzüberschreitung wie Kardinal Schönborns Aussagen zur Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie, nur eben in anderer Richtung. Gerd B. Müller, theoretischer Biologe an der Universität Wien, kann dem öffentlich propagierten Atheismus seines engeren Fachkollegen schon mehr abgewinnen - nämlich gerade auch als Vorbeugung gegen religiös motivierte Versuche, sich in Fragen der Wissenschaft einzumischen.

Ist das nun alles eine Debatte, die auf die USA beschränkt bleiben wird? Oder schwappt da etwas herüber nach Kontinentaleuropa - ähnlich wie die Diskussion um Intelligent Design? Noch jedenfalls scheint das Gespenst des radikalen Atheismus in Europa nicht umzugehen. Aber womöglich sind wir gegen diesen mentalen Virus auch immun - weil wir eine weniger radikale Variante längst schon in uns tragen. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21. 1. 2007)