Peter Henisch schafft literarische Figuren, welche von den Lesern häufig mit dem Auor verwechselt werden.

Zeichnung: Ander Pecher

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Foto: APA/EPA/Martial Trezzini
Wie lang waren Sie eigentlich in Amerika? fragt mich die Frau S., bei der ich meinen Frühstückskaffee trinke. In den Vereinigten Staaten meinen Sie? Nun ja, da war ich drei Mal auf Lesereise.

Aber Sie waren doch als Literaturprofessor dort, sagt sie, Sie haben doch an einem College unterrichtet ... Liebe Frau S., sage ich, das war nicht ich, das war Paul Spielmann.

Und das sind nicht Sie? fragt sie.

Nein, sage ich, das ist der Erzähler.

Also eigentlich doch Sie, sagt sie.

Nein, sage ich, eigentlich nicht. Auch wenn mir dieser Typ vielleicht ein bisschen ähnlich sieht, sollten sie uns zwei nicht verwechseln.

Das fällt mir schwer, sagt sie. Wenn so ein Autor ICH schreibt, dann denke ich, es handelt sich um ihn. Ich hebe an, etwas zu erklären, aber da betritt ein anderer Frühstücksgast den Raum. Und während die Frau S. sich an der Kaffeemaschine zu schaffen macht, fällt mir mein Gastspiel an der Uni in New York ein. Wie ein Student auf mich zutritt, noch vor der Lesung. Und mich fragt, ob ich tatsächlich der Autor bin, der aus dem Buch Schwarzer Peter lesen soll: I thought, you are black.

So was kann also passieren, werde ich zu Frau S. sagen, wenn sie wieder an meinen Tisch zurückkehrt. Und zwar nicht nur in Amerika, wo ich, ich geb es ja zu, nicht ganz so bekannt bin. Nein, auch im eigenen Land ist mir das schon widerfahren. Zum Beispiel vor ein paar Jahren im Burgenland. Und dann könnte ich erzählen, wie ich damals, im Jahr 2000 muss das gewesen sein, in Mattersburg gelesen habe, ja, ich glaube es war Mattersburg. Immerhin ein Autor, von dem das Programmheft behauptete, dass er zu den bekanntesten in Österreich gehöre. Und zwar, stand da zu lesen, vor allem aufgrund des Buchs über meinen Vater, den Pressefotografen Walter Henisch: Peter Henisch, der heute Abend aus seinem Buch Schwarzer Peter lesen wird, hatte die Burgenlandausgabe des Kurier nichtsdestotrotz geschrieben, ist im Jahr 1947 als Sohn einer Wiener Straßenbahnschaffnerin und eines schwarzen Besatzungssoldaten geboren.

Das kommt davon, sagt die Frau S, wenn man einmal, wie heißt das? – authentisch schreiben will und dann wieder nicht. Wie sollen sich denn die einfachen Leute da auskennen? Wenn ich lese, was dieser Manesse oder wie er heißt, also was der treibt mit seinen Chilischoten! Aber so was les ich erst gar nicht. Sagen Sie, ist das am End der Bruder von der berühmten Schwester?

Übrigens, sage ich, um wieder auf mich zurückzukommen, ist dieses Missverständnis damals sogar einer Fernsehjournalistin unterlaufen. Nicht irgendeiner, sondern einer, die mich seit Jahren gekannt hat. Die hat mich angerufen, kurz nachdem das Buch Schwarzer Peter erschienen war. Das hab ich ja gar nicht gewusst! hat sie mit etwas belegter Stimme gesagt, na ja, das ist eine etwas heikle Herkunft – aber würdest du in unserer Sendung darüber reden?

Wie bitte? Ich hab zuerst gar nicht kapiert, was sie meint. Ja, aber so ist das, liebe Frau S., auch sie hat mich mit meinem Protagonisten verwechselt.

Mit wem? fragt die Frau S.

Er heißt Peter Jarosch, sage ich.

Jetzt bringen S’ mich nicht durcheinander, sagt die Frau S., mit Ihren vielen Namen!

Es gibt halt Figuren, sage ich, in deren Haut man schlüpft. Das kann die Haut eines etwas dunkler pigmentierten Besatzungskindes sein, aber auch die Haut eines in die Krise geratenen Rundfunkmitarbeiters ...

Ah ja, der, sagt die Frau S., das Büchel, in dem der auf und davon fährt, hab ich grad erst angefangen. Aber dieser verrückte Kerl hat ja auch was von Ihnen, Sie fahren doch öfter nach Italien, und Führerschein, das hat mir Ihre Freundin gesagt, haben Sie auch keinen!

Ja, sage ich, und immer wenn ich durchdreh und mich trotzdem ans Steuer setz, am liebsten natürlich in einem gestohlenen Auto, entführ ich eine Gymnasiastin. Nein, aber das würde vielleicht doch nicht so gut ankommen. Schon gar nicht bei den Lehrerinnen, die jetzt eingetreten sind, anscheinend ist in der Schule um die Ecke große Pause. Vielleicht sollte ich doch etwas seriöser argumentieren. Als Frühstückskaffeeliterat hat man eine gewisse Verantwortung.

Etwa so: In der Lyrik gibt es das poetische Ich und in der Prosa das prosaische, damit arbeiten wir Autoren halt manchmal. Wenn Goethe "ich" schreibt, meint er ebenso wenig ganz einfach sich selbst wie Karl May. Oder ebenso sehr. Das kommt darauf an ...

Ja? Worauf kommt es an, könnte die Frau S. fragen.

Auf gewisse Diskussionen soll man sich vielleicht besser nicht einlassen.

Vielleicht würde mir Rimbaud aus der Verlegenheit helfen. Je est un autre – oder so.

Wie bitte? fragt die Frau S.

Ich ist ein Anderer. So ein Satz muss einem erst einmal einfallen.

Aber ist das nicht ein Versteckspiel? fragt die Frau S.

Schon, sage ich, ein Spiel ist es immer, auch wenn es manchmal unser Ernst ist. Bisweilen geht es um Leben und Tod, zum Beispiel in Venedig.

Donna Leon, sagt Frau S. Die les ich ganz gern. In ihren Büchern ist es nicht so kalt wie in denen von Mankell. Ich versuche beim Thema zu bleiben. Das wirkliche Ich der Autorin oder des Autors ...

Na, was ist damit? fragt die Frau S.

Nun, vielleicht ist es nicht ganz so wichtig.

Keine falsche Bescheidenheit, sagt die Frau S. Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Auch wahr, könnte ich sagen. Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie reden? Ich bin wahrscheinlich der einzige Autor, der bisher zwei Mal auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis gestanden ist. Leider standen dann jeweils andere auf der Shortlist. Davon ausgehend würden andere gleich ein neues Buch schreiben, wenn nicht sogar zwei.

Ach was, könnte Frau S. mich trösten, alle guten Dinge sind drei. Beim nächsten Mal klappt es vielleicht. Und dann kriegen Sie ein Glas Sekt zum Frühstück. Außerdem muss es ja auch so ganz schön sein, wenn man ab und zu in der Zeitung abgebildelt ist und einen die Leute kennen.

Wissen Sie was? sage ich. Dazu fallen mir drei Geschichten ein.

Erste Geschichte: Vor ein paar Jahren gab es den ersten gesamtösterreichischen Schriftstellerkongress im Wiener Rathaus. Wer dazu eingeladen war, hat per Post ein Ansteckschild mit seinem Namen zugeschickt gekriegt. Dieses Ansteckschild hab ich entweder vergessen oder nicht ernst genommen. Also jedenfalls komm ich zum Rathaus, und da lässt mich der Polizist, der dort am Tor steht, nicht eintreten.

Ihr Namensschild! sagt er.

Das hab ich zu Hause, sage ich.

Das kann ein jeder sagen, sagt er. Steht da wie der Torwächter bei Kafka. Vor dem Gesetz.

Eine richtige Amtsperson. Ohne Namensschild kommen Sie da nicht rein!

Ich hab damals nicht weit vom Rathaus gewohnt, also bin ich nach Haus und hab das Namensschild in einem Kuvert unter der abgelegten Post gefunden. Aber dann, in einer Anwandlung romantischer Ironie, habe ich das Stück Papier mit meinem eigenen Namen herausgenommen und auf die Rückseite E. T. A. Hoffmann geschrieben. Mit dem Schild am Revers bin ich dann zehn Minuten später wieder vor dem Polizisten gestanden. Na also! hat er gesagt. Warum denn nicht gleich?

Zweite Geschichte: Einmal bin ich im Zug zu einer Lesung nach Salzburg gefahren. Ich habe in meinem Gedichtband Hamlet, Hiob, Heine geblättert und Zettel eingelegt. Mir vis-à-vis ist eine junge Frau gesessen, die hat mich gefragt, was ich da tu. Sehen Sie, hab ich gesagt, ich bin ein Autor und lese heute Abend aus diesem Buch, da lege ich Zettel ein, damit ich die richtigen Gedichte finde.

Na so was, hat sie gesagt, Sie sind also ein richtiger Dichter! Sie hat sich dann meinen Namen und den Namen des Buchs aufgeschrieben. Zwei oder drei Wochen später treff ich auf der Josefstädter Straße eine junge Person, die mir erst zuwinkt und mir dann den Weg vertritt. Erinnern Sie sich nicht? sagt sie. Wir kennen uns aus dem Zug. Sie sind doch der Herr Heine!

Dritte Geschichte: Ich gehe durch die Kärntner Straße und spüre plötzlich ein dringendes Bedürfnis. In einer Seitengasse gibt es ein "Wienerwald"-Restaurant. Ich gehe einfach durch die Gaststube und will stracks auf die Toilette. Leider gelingt mir das nicht ganz unbemerkt, als ich an einem Kellner vorbeikomme, sieht er mich auf eigentümliche Art an. Das ist etwas peinlich. Als ich wieder aus der Toilette herauskomme, steht der Kellner mit einem zweiten vor der Tür. Will er mich zur Rede stellen? Nein, er hat einen Kassablock in der Hand und bittet um ein Autogramm. Na schön, ich schreibe rasch meinen Namen hin, die Situation ist mir nach wie vor unangenehm. Aber der Kellner lächelt strahlend. Dankeschön, sagt er, Herr Handke. /ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 6./7.10.2007)