Larry Niven & Edward M. Lerner: "Die Flotte der Puppenspieler"
Broschiert, 428 Seiten, € 9,20, Bastei Lübbe 2008.
38 Jahre ist es mittlerweile her,
dass eine der ganz großen Science Fiction-Sagas des 20. Jahrhunderts ihren
Anfang nahm: "Ringworld". Benannt nach einem von unbekannten Erbauern angelegten
gigantischen künstlichen Habitat, das wie ein dünnes Segment einer Dyson-Sphäre
sein Zentralgestirn im Abstand der Erde von der Sonne umgibt und das
Dreimillionenfache der Erdoberfläche an Lebensraum bietet. Die nachgebildete
Erdoberfläche ist übrigens Teil der zahllosen Topografien der Ringwelt - und
eines ihrer vielen Geheimnisse, die eine gemischt menschlich-außerirdische
Forschungsexpedition im 29. Jahrhundert zu lösen versucht. Seitdem hat der
kalifornische Star-Autor Larry Niven - erst in langen, später immer kürzeren
Intervallen - in einer ganzen Reihe weiterer Romane seinen fiktiven
Bekannten Weltraum ausgeweitet und das Beziehungsgeflecht der darin
lebenden Völker näher beschrieben.
Im 700 Jahre zuvor spielenden Prolog des aktuellen
Romans "Fleet of Worlds" ist dieser Bekannte Weltraum noch deutlich
kleiner - und die Besatzung des menschlichen Generationenschiffs "Long Pass"
entsprechend verblüfft, als sie von einem unbekannten Objekt überholt
werden, obwohl sie doch immerhin mit 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit
unterwegs sind. Es kommt zur ersten folgenreichen Begegnung zwischen Menschen
und den Puppenspielern - jener technologisch avancierten Zivilisation, die ihren
Spitznamen ursprünglich erhielt, weil ihre beiden Köpfe Handpuppen ähneln. Doch
assoziieren "Ringwelt"-LeserInnen ihn längst viel stärker mit den manipulativen
Umtrieben der Spezies, von denen in diesem Roman einige mehr entschleiert
werden. Und wir begegnen einem alten Bekannten wieder: dem Puppenspieler Nessus,
der im Ursprungsroman von 1970 (und dem Handlungsjahr 2855) die Expedition zur
Ringwelt veranlasst hatte.
Nach den Maßstäben seines Volks, das sich nicht wie
wir aus Gruppen-, sondern aus Herdentieren mit ausgeprägtem Fluchtinstinkt
entwickelt hat, ist Nessus absolut wahnsinnig - geht er doch hin und wieder
Risiken ein: undenkbar für den Durchschnittsbürger seiner Spezies. Nach
menschlichen Maßstäben ist er immer noch unfasslich vorsichtig bis feige. Nessus
neigt zu manisch-depressiven Phasen - und dass er sich Hälse über Köpfe in Nike,
einen aufsteigenden Politiker der Experimentalisten-Partei, verliebt,
destabilisiert sein seelisches Gleichgewicht zusätzlich. 2650, also
handlungszeitlich immer noch Jahrhunderte vor der Entdeckung der Ringwelt, sieht
er sich mit den Folgen der im Prolog geschilderten Ereignisse konfrontiert: Die
Nachfahren der "Long Pass"-Besatzung, die nun als "Kolonisten" in der
Weltenflotte der Puppenspieler leben, versuchen ihren Ursprung zu
rekonstruieren und geraten dadurch in Konflikt mit ihren übermächtigen Nachbarn.
Und es zeigt sich, dass diese nicht nur aufgrund der schon 1970
erwähnten kosmischen Katastrophe mitsamt ihrem ganzen Planetenverbund die Flucht
aus der Galaxis angetreten haben.
Dass "Ringwelt" Space Opera der allerersten
Güteklasse war und immer noch ist, hat mehrere Gründe. Zum einen erweist es sich
als guter Griff, dass Niven, der die physikalischen Daten seiner fantastischen
Welt(en) nach kritischer Betrachtung mehrmals ergänzen und ändern musste, für
den vorliegenden Band mit Edward M. Lerner kooperierte, welcher nicht nur
Schriftsteller, sondern auch Physiker ist. So spielen in der Regel missachtete
Details hier eine Rolle: etwa dass ein einziges kleines und technisch
rückständiges Raumschiff, auf relativistische Geschwindigkeit gebracht, die
gesamte Heimatwelt der Puppenspieler mitsamt ihrer eine Billion
zählenden Bevölkerung vernichten könnte. - Und immer wieder faszinierend auch
die Schilderung der Puppenspieler selbst, eine von Nivens besten Schöpfungen:
Eine Superzivilisation, die auf Feigheit basiert, und die nicht nur ihre
gesamte Technik auf Risikovermeidung abgestellt hat, sondern die auch
rücksichtslos andere, nur wegen ihres Entwicklungsstandes potenziell
gefährliche, Zivilisationen manipuliert, sie ins Chaos stürzt oder gegeneinander
in Kriege treibt. "Angewandte Sozialwissenschaft" nennt sich das - und wo die
nicht mehr greift, bleibt immer noch der Völkermord durch einen ferngesteuerten
Kometen als Alternative. Und doch vermag man die Puppenspieler nicht
gänzlich unsympathisch zu finden - obwohl sie in ihren Taten die klischeehaften
Alien-Bösewichter anderer AutorInnen bei weitem übertreffen.
Kurz gesagt: "Die Flotte der Puppenspieler" ist ein
willkommenes Wiedersehen mit einer der besten Weltenschöpfungen der
Weltraum-Science Fiction. NeueinsteigerInnen empfehlen sich als Einstieg
vielleicht eher die ursprünglichen Romane - auch weil dort das alles
überstrahlende Mysterium der Ringwelt selbst behandelt wurde. Hier kommt sie
nicht vor, im Vordergrund stehen dagegen Intrigenspiele und Einblicke in die
Kultur der Puppenspieler, also ergänzende Einsichten für solche, die mit
Nivens Schöpfung bereits vertraut sind. Doch wird dieser Band ohnehin Appetit
auf rückwirkendes Nachlesen machen.