Krieg in der Ukraine

Leben im Untergrund: Wie Charkiws Bevölkerung in der U-Bahn den Krieg überdauert

Ausgerechnet die Russen treiben die Bewohner der Stadt in die Sowjet-Bunker des Kalten Krieges. Sie leben nun dort – schon seit Monaten

Astrig Agopian
Astrig Agopian

In Hausschuhen und Leggings navigiert Alla Plis durch die feuchtkalten Gänge der U-Bahn-Station Maidan Konstytutsii im Zentrum von Charkiw. An den Wänden kündigen Plakate Veranstaltungen an, die nie stattfanden: das Thomas-Anders-Konzert am 6. März, ein Symphonieorchester zwei Tage danach. Vor einem stillstehenden U-Bahn-Wagon mit der Nummer 5623 hält Plis inne. "5623 – diese Zahl hat mein Leben verändert und ist für mich wie ein Geburtsdatum." Routiniert legt sie ihre Hände flach auf die Schiebetüren, presst die beiden Hälften auseinander und betritt den dunklen und stickigen Wagon, der die Bewohner Charkiws früher, in einer anderen Zeit, von A nach B transportierte. "Vor dem Krieg bin ich nie mit der U-Bahn gefahren, jetzt ist sie mein Leben."