Kritiker der Moderne: Ivan Illich 1926-2002

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Geboren in Wien, tat der US-Theologe vor allem eines: provozieren. Wien - In seinen letzten Jahren hatte ihm die Öffentlichkeit kaum noch Aufmerksamkeit geschenkt. Obwohl die umstrittenen Reflexionen des vielschichtigen Intellektuellen Ivan Illich, die er in den 70ern publizierte, heute noch Schlagworte sind: Modernisierung der Armut, Herrschaft der Experten, ökologische Beschränkung der Energie. Aber der Montag in Bremen verstorbene Armenpriester, Reformpädagoge und Kritiker der gedankenlosen Selbstverständlichkeiten der Moderne, der keine umfassende Philosophie angeboten, dafür aber sehr gezielt provoziert hatte, war selbst ruhiger geworden. Der radikale Denker, der irrationalen Fortschrittsfeindlichkeit bezichtigt, hatte an der Bremer Universität zuletzt nur noch sporadisch Vorlesungen gehalten. Über Sinn und Wert von "Askese". Ivan Illich starb im Alter von 76 Jahren. So weit hätte es eigentlich gar nicht kommen dürfen: Ärzte hatten ihm bereits 1983 nur noch fünf Jahre gegeben - unter der Bedingung einer radikalen Krebstherapie. Die hat er freilich abgelehnt, denn Illich hatte schon 1976 in seinem Buch Nemesis der Medizin klargestellt, dass Medizin für ihn nur eine der Institutionen sei, die den Menschen von der Technik abhängig machen. Er nahm lieber Opium. Als Sohn eines katholischen Zivilingenieurs aus Kroatien und einer protestantisch getauften Jüdin mit US-Vorfahren 1926 in Wien geboren, besucht Illich ab 1936 das Piaristengymnasium. 1941 wird er hinausgeschmissen. Wegen der NS-Rassengesetze. Hochbegabt, maturiert er bereits 1942 in Florenz. Dort studiert er Geschichte, Kristallografie, Psychologie und Kunstgeschichte, übersiedelt 1943 nach Rom, um sich auf die Priesterlaufbahn vorzubereiten. Er studiert Philosophie und Theologie, wird 1951 in Salzburg promoviert, erhält die Priesterweihe. Der - bald acht Sprachen beherrschende - Theologe wird zwar für den diplomatischen Dienst des Vatikans vorgesehen, bittet aber um Versetzung nach New York. Als Seelsorger in puertorikanischen Slums erwirbt er die US-Staatsbürgerschaft. Nach wenigen Jahren wird er Vizekanzler der katholischen Uni in Puerto Rico. Man nennt ihn bald den Rousseau Lateinamerikas. 1960 gründet Ivan Illich das internationale Forschungszentrum "Cidoc" in Cuernavaca, Mexiko, das ein intellektuelles Zentrum politischer Diskussion und Aktivität gegen die südamerikanischen Militärdiktaturen wird. Illich übt Kritik an den "kulturzerstörerischen" Entwicklungsprogrammen, der ökonomisch-politischen Ausbeutung Lateinamerikas, zieht sich den Zorn der katholischen Kirche zu. 1969 legt er alle priesterlichen Würden ab. Dann entwirft er seine Kritiken, auch am Bildungssystem: Schule sei eine der mächtigsten Fesseln menschlicher Intelligenz und Freiheit. "So wenig Schule wie möglich", fordert Illich in der Entschulung der Gesellschaft (1972), Schüler würden in Schulen nur geschult, Verfahren und Inhalte zu verwechseln. (fei / DER STANDARD, Printausgabe, 5.12.2002)