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Neben dem Menschen zählt der Hirsch zu den wenigen Tierarten mit einem abgesenkten Kehlkopf. Evolutionsbiologen wollen demnächst klären, warum das so ist.

Foto: Dan Kitwood/Getty Images

Der US-amerikanische Evolutionsbiologe W. Tecumseh Fitch forscht seit vielen Jahren über die Evolution der Sprache - und tut dies demnächst in Österreich.

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"Der Mensch ist das einzige Lebenwesen, das ..." In den vergangenen Jahren hat die Wissenschaft etliche Sätze widerlegt, die mit diesen Worten beginnen und die Einzigartigkeit des Homo sapiens behaupten. Werkzeuge benützen zum Beispiel nicht nur wir Menschen, sondern auch Menschenaffen und sogar bestimmte Vogelarten, die mit kleinen Ästen nach Insekten stochern.

Kultur und Tradition haben auch Tiere, wie Verhaltensforscher entdeckten: Auch Primaten können voneinander lernen und Erlerntes weitergeben. Altruismus und Empathie finden sich zumindest bei Menschenaffen und bei Elefanten. Das Selbsterkennen im Spiegel wiederum gibt es bei Primaten, Delfinen und wohl auch bei einigen Rabenvögeln.

Menschliche Exklusivität

Bleibt das Sprechen, auch wenn sich da in den vergangenen Jahren die Grenzlinien zwischen Mensch und Tier verschoben haben. So zählte bis vor kurzem eine mit dem Stimmapparat verbundene anatomische Besonderheit zur Liste der menschlichen Exklusivitäten: nämlich der abgesenkte Kehlkopf, der unsere besonders differenzierte Stimmbildung überhaupt erst möglich macht.

Doch das war nur ein vermeintliches Alleinstellungsmerkmal. Vor einigen Jahren entdeckte der US-amerikanische Evolutionsbiologe W. Tecumseh Fitch nämlich, dass auch bei Hirsch und männlichem Wild ganz generell der Kehlkopf nach Erreichen der Geschlechtsreife nach unten rutscht.

Warum das so ist und welche evolutionären Gründe das hat, weiß auch Fitch (noch) nicht so ganz genau, auch wenn er seine Vermutungen hat: "Wir wissen, dass es beim Röhren der männlichen Hirsche um die Verteidigung des Territoriums und die Partnersuche geht. Wahrscheinlich ist der abgesenkte Kehlkopf ein Trick, um akustisch noch größer und eindrucksvoller zu erscheinen und um damit die Weibchen zu beeindrucken."

Demnächst wird er seine Hypothese in Österreich testen. Denn Tecumseh Fitch - sein Vorname geht übrigens auf seinen Urururgroßvater General William Tecumseh Fitch zurück, der wiederum nach einem Häuptling vom Stamm der Shawnee benannt wurde - tritt im Juni nicht nur eine Professur am aufstrebenden Department für Neurobiologie und Kognitionsforschung der Universität Wien an, er hat auch einen der prestigeträchtigen ERC-Grants gewonnen, mit denen die EU innovative Grundlagenforschungsprojekte großzügig fördert.

Also wird Fitch ab Herbst insgesamt zwei Millionen Euro zur Verfügung haben, um unter anderem zu erforschen, wie das mit dem Röhren genau funktioniert. Geplant ist unter anderem, bei den Junghirschen die Geschlechtsreife mittels chemischer Kastration um ein Jahr hinauszuzögern und zu beobachten, was mit dem Stimmapparat geschieht, oder Hirschkühen Tonaufnahmen vorzuspielen, um ihre Präferenzen festzustellen.

Präferenz für tiefe Stimmen

"Wir wissen, wie Menschen Körpergrößen anhand der Stimmfrequenzen einschätzen", so Fitch, der zurzeit noch an der schottischen Universität St. Andrews forscht. In Versuchen mit Affen konnte er bereits zeigen, dass die Weibchen eindeutig die größeren Männchen bevorzugten. "Vorher müssen wir aber erst einmal klären, was genau mit dem Stimmapparat passiert."

Das ist nur eine der Fragestellungen von Fitchs ERC-Forschungsprojekt, von dem er selbst überrascht war, dass es trotz seines radikal innovativen Ansatzes durchging. Mit insgesamt vier Doktoranden und vier Postdocs wird der Hobbymaler und Hobbymusiker nämlich nicht nur die Wahrnehmung und Verarbeitung akustischer Reize inklusive der Musik (siehe Interview) bei Mensch und Tier vergleichend erforschen. Es soll auch um visuelle Reize gehen, denn auch diese könnten die Frage beantworten, wo unsere Sprache herkommt - und welche neuronalen Grundlagen sie hat.

Der Schlüsselbegriff ist für Fitch, der über die Evolution der Sprache gerade ein Buchmanuskript abgeschlossen hat, die Syntax bzw. die Mustererkennung, was komplizierter klingt, als es ist.

Zweihundert Bildsymbole

Man denke nur daran, dass es trainierte Schimpansen und auch Hunde schaffen, bis zu zweihundert Bildsymbole zu verstehen und sich damit auszudrücken, während sie bei akustischen Äußerungen auf ihre angeborenen Laute beschränkt sind.

Fitch würde deshalb zwar "keine große Summe Geld, aber doch um ein Bier wetten", dass bei den Schimpansen die visuelle Mustererkennung besser ausgebildet ist als die akustische.

Dass der Bonobo Kanzi sogar 400 Symbole verarbeiten und sogar zwei "Wörter" verbinden kann, mache jedenfa lls noch keine Sprache aus, so Fitch: "Wir haben nicht nur 200, sondern 50.000 Wörter. Und vor allem: Wir können daraus Sätze machen und damit unbegrenzt kommunizieren." (Stefan Löffler und Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 01.04.2009)